Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

Furcht gehabt hatten.
von der That enthalten, wenn der Verstand
noch gegenwärtig, und die Imagination starck,
wie soll man die That hemmen können, wenn
der Verstand nicht mehr vorhanden? Ohn-
gefehr vor 26. Jahren war ich über Nacht bey
guten Freunden geblieben, wo ich wenig ge-
schlafen. Jch speisete damahls zu Mittage,
wo ich zu kam. Jch gieng den Tag drauf
auf der Peters-Straße in ein Wirths-Haus,
und setzte mich an einen Tisch, und wartete,
bis man mir Essen brächte. Der Kopff war
schwach, die Imagination also starck; ich saß
halb träumend, und halb wachend da. Jn-
dem sehe ich auf einem andern Tische, weit von
mir, einen alten Mann sitzen, der wegen Alters
mit den Händen und Fingern auf die höchste
Weise zitterte, als man sichs nur einbilden kan.
Er konte vor Zittern kaum mit Mühe die
Speise in den Mund bringen. Da er schier
fertig mit essen, ließ er sich ein klein Gläsgen,
oder Stempchen Brandtewein bringen, wel-
ches gantz voll war. Jch sahe wie im Trau-
me zu, und dachte: wie will doch der Mann
das Gläsgen Brandtewein in Mund bringen
und austrincken? Er hubs mit Zittern auf,
und ehe ich michs versahe, so stürtzte ers mit
Grimm und Ungestüm in Mund hinein, daß
ich darüber gantz erschrack, und auffuhr. Weil

mein

Furcht gehabt hatten.
von der That enthalten, wenn der Verſtand
noch gegenwaͤrtig, und die Imagination ſtarck,
wie ſoll man die That hemmen koͤnnen, wenn
der Verſtand nicht mehr vorhanden? Ohn-
gefehr vor 26. Jahren war ich uͤber Nacht bey
guten Freunden geblieben, wo ich wenig ge-
ſchlafen. Jch ſpeiſete damahls zu Mittage,
wo ich zu kam. Jch gieng den Tag drauf
auf der Peters-Straße in ein Wirths-Haus,
und ſetzte mich an einen Tiſch, und wartete,
bis man mir Eſſen braͤchte. Der Kopff war
ſchwach, die Imagination alſo ſtarck; ich ſaß
halb traͤumend, und halb wachend da. Jn-
dem ſehe ich auf einem andern Tiſche, weit von
mir, einen alten Mann ſitzen, der wegen Alters
mit den Haͤnden und Fingern auf die hoͤchſte
Weiſe zitterte, als man ſichs nur einbilden kan.
Er konte vor Zittern kaum mit Muͤhe die
Speiſe in den Mund bringen. Da er ſchier
fertig mit eſſen, ließ er ſich ein klein Glaͤsgen,
oder Stempchen Brandtewein bringen, wel-
ches gantz voll war. Jch ſahe wie im Trau-
me zu, und dachte: wie will doch der Mann
das Glaͤsgen Brandtewein in Mund bringen
und austrincken? Er hubs mit Zittern auf,
und ehe ich michs verſahe, ſo ſtuͤrtzte ers mit
Grimm und Ungeſtuͤm in Mund hinein, daß
ich daruͤber gantz erſchrack, und auffuhr. Weil

mein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0378" n="332"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Furcht gehabt hatten.</hi></fw><lb/>
von der That enthalten, wenn der Ver&#x017F;tand<lb/>
noch gegenwa&#x0364;rtig, und die <hi rendition="#aq">Imagination</hi> &#x017F;tarck,<lb/>
wie &#x017F;oll man die That hemmen ko&#x0364;nnen, wenn<lb/>
der Ver&#x017F;tand nicht mehr vorhanden? Ohn-<lb/>
gefehr vor 26. Jahren war ich u&#x0364;ber Nacht bey<lb/>
guten Freunden geblieben, wo ich wenig ge-<lb/>
&#x017F;chlafen. Jch &#x017F;pei&#x017F;ete damahls zu Mittage,<lb/>
wo ich zu kam. Jch gieng den Tag drauf<lb/>
auf der Peters-Straße in ein Wirths-Haus,<lb/>
und &#x017F;etzte mich an einen Ti&#x017F;ch, und wartete,<lb/>
bis man mir E&#x017F;&#x017F;en bra&#x0364;chte. Der Kopff war<lb/>
&#x017F;chwach, die <hi rendition="#aq">Imagination</hi> al&#x017F;o &#x017F;tarck; ich &#x017F;<lb/>
halb tra&#x0364;umend, und halb wachend da. Jn-<lb/>
dem &#x017F;ehe ich auf einem andern Ti&#x017F;che, weit von<lb/>
mir, einen alten Mann &#x017F;itzen, der wegen Alters<lb/>
mit den Ha&#x0364;nden und Fingern auf die ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
Wei&#x017F;e zitterte, als man &#x017F;ichs nur einbilden kan.<lb/>
Er konte vor Zittern kaum mit Mu&#x0364;he die<lb/>
Spei&#x017F;e in den Mund bringen. Da er &#x017F;chier<lb/>
fertig mit e&#x017F;&#x017F;en, ließ er &#x017F;ich ein klein Gla&#x0364;sgen,<lb/>
oder Stempchen Brandtewein bringen, wel-<lb/>
ches gantz voll war. Jch &#x017F;ahe wie im Trau-<lb/>
me zu, und dachte: wie will doch der Mann<lb/>
das Gla&#x0364;sgen Brandtewein in Mund bringen<lb/>
und austrincken? Er hubs mit Zittern auf,<lb/>
und ehe ich michs ver&#x017F;ahe, &#x017F;o &#x017F;tu&#x0364;rtzte ers mit<lb/>
Grimm und Unge&#x017F;tu&#x0364;m in Mund hinein, daß<lb/>
ich daru&#x0364;ber gantz er&#x017F;chrack, und auffuhr. Weil<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mein</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0378] Furcht gehabt hatten. von der That enthalten, wenn der Verſtand noch gegenwaͤrtig, und die Imagination ſtarck, wie ſoll man die That hemmen koͤnnen, wenn der Verſtand nicht mehr vorhanden? Ohn- gefehr vor 26. Jahren war ich uͤber Nacht bey guten Freunden geblieben, wo ich wenig ge- ſchlafen. Jch ſpeiſete damahls zu Mittage, wo ich zu kam. Jch gieng den Tag drauf auf der Peters-Straße in ein Wirths-Haus, und ſetzte mich an einen Tiſch, und wartete, bis man mir Eſſen braͤchte. Der Kopff war ſchwach, die Imagination alſo ſtarck; ich ſaß halb traͤumend, und halb wachend da. Jn- dem ſehe ich auf einem andern Tiſche, weit von mir, einen alten Mann ſitzen, der wegen Alters mit den Haͤnden und Fingern auf die hoͤchſte Weiſe zitterte, als man ſichs nur einbilden kan. Er konte vor Zittern kaum mit Muͤhe die Speiſe in den Mund bringen. Da er ſchier fertig mit eſſen, ließ er ſich ein klein Glaͤsgen, oder Stempchen Brandtewein bringen, wel- ches gantz voll war. Jch ſahe wie im Trau- me zu, und dachte: wie will doch der Mann das Glaͤsgen Brandtewein in Mund bringen und austrincken? Er hubs mit Zittern auf, und ehe ich michs verſahe, ſo ſtuͤrtzte ers mit Grimm und Ungeſtuͤm in Mund hinein, daß ich daruͤber gantz erſchrack, und auffuhr. Weil mein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/378
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/378>, abgerufen am 25.11.2024.