Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

viel aber doch hernach
mit solchem Vorgeben, und wäre alles nichts
anders, denn Schwindel. Aber, dacht ich,
du armer Mensch, die Leute, die zu keinem
Fenster treten, und hinaus sehen dürffen, wissen
gar wohl was Schwindel ist, und wie der Schwin-
del von dieser Plage unterschieden ist. Jch habe
bey 13. Jahren her offters genug Schwindel ge-
habt, davor erschrecke ich aber gar nicht, als
welchen ich clare und distincte von dem Bilde
des Stürtzens distinguiren kan. Schwindel
in der Stube, oder bey dem Ofen bekommen, ist
gar ein ander Ding, als das lebendige Bild ohne
allen gegenwärtigen Schwindel bekommen, den
Kopff mit der höchsten Hefftigkeit an den Ofen
anzustossen.

Doch so ist es, sowol junge, als alte Leute,
und wenn sie noch so viel studiret hätten, wenn
sie glauben und zugeben sollen, wovon sie selbst
noch keine Erfahrung haben, so verlachen sie
alles, was sie hören, und was man ihnen saget.
Es hat hier bald die Beschaffenheit, als wie mit
denen, die noch niemals rechte Angst wegen be-
gangener Sünde gehabt; so, daß sie wohl ei-
nige Wochen, und noch länger, in großer Trau-
rigkeit sich befunden, und hernach durch den
Glauben an den HErrn CHristum wieder ein
fröliches Hertze bekommen hätten. Sie treiben ein
pures Gespötte mit denen, so vom Buß-Kampffe,

und
X 3

viel aber doch hernach
mit ſolchem Vorgeben, und waͤre alles nichts
anders, denn Schwindel. Aber, dacht ich,
du armer Menſch, die Leute, die zu keinem
Fenſter treten, und hinaus ſehen duͤrffen, wiſſen
gar wohl was Schwindel iſt, und wie der Schwin-
del von dieſer Plage unterſchieden iſt. Jch habe
bey 13. Jahren her offters genug Schwindel ge-
habt, davor erſchrecke ich aber gar nicht, als
welchen ich clare und diſtincte von dem Bilde
des Stuͤrtzens diſtinguiren kan. Schwindel
in der Stube, oder bey dem Ofen bekommen, iſt
gar ein ander Ding, als das lebendige Bild ohne
allen gegenwaͤrtigen Schwindel bekommen, den
Kopff mit der hoͤchſten Hefftigkeit an den Ofen
anzuſtoſſen.

Doch ſo iſt es, ſowol junge, als alte Leute,
und wenn ſie noch ſo viel ſtudiret haͤtten, wenn
ſie glauben und zugeben ſollen, wovon ſie ſelbſt
noch keine Erfahrung haben, ſo verlachen ſie
alles, was ſie hoͤren, und was man ihnen ſaget.
Es hat hier bald die Beſchaffenheit, als wie mit
denen, die noch niemals rechte Angſt wegen be-
gangener Suͤnde gehabt; ſo, daß ſie wohl ei-
nige Wochen, und noch laͤnger, in großer Trau-
rigkeit ſich befunden, und hernach durch den
Glauben an den HErrn CHriſtum wieder ein
froͤliches Hertze bekommen haͤtten. Sie treiben ein
pures Geſpoͤtte mit denen, ſo vom Buß-Kampffe,

und
X 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0371" n="325"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">viel aber doch hernach</hi></fw><lb/>
mit &#x017F;olchem Vorgeben, und wa&#x0364;re alles nichts<lb/>
anders, denn Schwindel. Aber, dacht ich,<lb/>
du armer Men&#x017F;ch, die Leute, die zu keinem<lb/>
Fen&#x017F;ter treten, und hinaus &#x017F;ehen du&#x0364;rffen, wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gar wohl was Schwindel i&#x017F;t, und wie der Schwin-<lb/>
del von die&#x017F;er Plage unter&#x017F;chieden i&#x017F;t. Jch habe<lb/>
bey 13. Jahren her offters genug Schwindel ge-<lb/>
habt, davor er&#x017F;chrecke ich aber gar nicht, als<lb/>
welchen ich <hi rendition="#aq">clare</hi> und <hi rendition="#aq">di&#x017F;tincte</hi> von dem Bilde<lb/>
des Stu&#x0364;rtzens <hi rendition="#aq">di&#x017F;tingui</hi>ren kan. Schwindel<lb/>
in der Stube, oder bey dem Ofen bekommen, i&#x017F;t<lb/>
gar ein ander Ding, als das lebendige Bild ohne<lb/>
allen gegenwa&#x0364;rtigen Schwindel bekommen, den<lb/>
Kopff mit der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Hefftigkeit an den Ofen<lb/>
anzu&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Doch &#x017F;o i&#x017F;t es, &#x017F;owol junge, als alte Leute,<lb/>
und wenn &#x017F;ie noch &#x017F;o viel <hi rendition="#aq">&#x017F;tudi</hi>ret ha&#x0364;tten, wenn<lb/>
&#x017F;ie glauben und zugeben &#x017F;ollen, wovon &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
noch keine Erfahrung haben, &#x017F;o verlachen &#x017F;ie<lb/>
alles, was &#x017F;ie ho&#x0364;ren, und was man ihnen &#x017F;aget.<lb/>
Es hat hier bald die Be&#x017F;chaffenheit, als wie mit<lb/>
denen, die noch niemals rechte Ang&#x017F;t wegen be-<lb/>
gangener Su&#x0364;nde gehabt; &#x017F;o, daß &#x017F;ie wohl ei-<lb/>
nige Wochen, und noch la&#x0364;nger, in großer Trau-<lb/>
rigkeit &#x017F;ich befunden, und hernach durch den<lb/>
Glauben an den HErrn CHri&#x017F;tum wieder ein<lb/>
fro&#x0364;liches Hertze bekommen ha&#x0364;tten. Sie treiben ein<lb/>
pures Ge&#x017F;po&#x0364;tte mit denen, &#x017F;o vom <hi rendition="#fr">Buß-Kampffe,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 3</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0371] viel aber doch hernach mit ſolchem Vorgeben, und waͤre alles nichts anders, denn Schwindel. Aber, dacht ich, du armer Menſch, die Leute, die zu keinem Fenſter treten, und hinaus ſehen duͤrffen, wiſſen gar wohl was Schwindel iſt, und wie der Schwin- del von dieſer Plage unterſchieden iſt. Jch habe bey 13. Jahren her offters genug Schwindel ge- habt, davor erſchrecke ich aber gar nicht, als welchen ich clare und diſtincte von dem Bilde des Stuͤrtzens diſtinguiren kan. Schwindel in der Stube, oder bey dem Ofen bekommen, iſt gar ein ander Ding, als das lebendige Bild ohne allen gegenwaͤrtigen Schwindel bekommen, den Kopff mit der hoͤchſten Hefftigkeit an den Ofen anzuſtoſſen. Doch ſo iſt es, ſowol junge, als alte Leute, und wenn ſie noch ſo viel ſtudiret haͤtten, wenn ſie glauben und zugeben ſollen, wovon ſie ſelbſt noch keine Erfahrung haben, ſo verlachen ſie alles, was ſie hoͤren, und was man ihnen ſaget. Es hat hier bald die Beſchaffenheit, als wie mit denen, die noch niemals rechte Angſt wegen be- gangener Suͤnde gehabt; ſo, daß ſie wohl ei- nige Wochen, und noch laͤnger, in großer Trau- rigkeit ſich befunden, und hernach durch den Glauben an den HErrn CHriſtum wieder ein froͤliches Hertze bekommen haͤtten. Sie treiben ein pures Geſpoͤtte mit denen, ſo vom Buß-Kampffe, und X 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/371
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/371>, abgerufen am 25.11.2024.