Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

wird aber am Trinitatis-Feste
zur Beichte gewesen, dieses mahl aber gieng ich
in der Thomas-Kirche. Mein ordentlicher
Beicht-Vater, Herr Lic. Horn, war kranck,
und konte nicht Beichte sitzen, muste also bey
Herr D. Seeligmannen beichten. Jch hatte
bisher lange Zeit vor großer Hertzens-Angst kei-
ne Thränen vergießen können; denn es schiene,
als ob der Himmel, und mein Hertz eisern wä-
ren; und nun, da ich beichten solte, konte ich
anfangs kein Wort vorbringen, sondern fieng
vor Betrübniß meiner Seelen an zu weinen.
Jch kan mich nicht mehr besinnen, ob ich fähig
gewesen, meine Beichte ordentlich abzulegen;
so viel erinnere ich mich doch, daß mich bald an-
fangs der Herr Doctor versicherte, diese Thrä-
nen wären vom Geiste GOttes gewürcket, und
eine Anzeige einer aufrichtigen Buße. Weil
ich dabey abscheulich im Gesichte aussahe, so
glaube ich, daß er selbst im absolviren perturbi-
ret wurde, indem er von der praemeditirten Ab-
solution
also abzugehen genöthiget wurde, und
die Sachen, die er mir zum Troste vorsagte,
eben in keiner sonderlichen Ordnung zusammen
setzte. Endlich faste er einen größern Muth,
und fieng mit beweglicher Stimme an und
sprach: Jch nehme alles, was des Herrn
Magisters Hertze drückt, alle seine Sün-
den, die er iemahls begangen, sie mögen so

groß
Q 4

wird aber am Trinitatis-Feſte
zur Beichte geweſen, dieſes mahl aber gieng ich
in der Thomas-Kirche. Mein ordentlicher
Beicht-Vater, Herr Lic. Horn, war kranck,
und konte nicht Beichte ſitzen, muſte alſo bey
Herr D. Seeligmannen beichten. Jch hatte
bisher lange Zeit vor großer Hertzens-Angſt kei-
ne Thraͤnen vergießen koͤnnen; denn es ſchiene,
als ob der Himmel, und mein Hertz eiſern waͤ-
ren; und nun, da ich beichten ſolte, konte ich
anfangs kein Wort vorbringen, ſondern fieng
vor Betruͤbniß meiner Seelen an zu weinen.
Jch kan mich nicht mehr beſinnen, ob ich faͤhig
geweſen, meine Beichte ordentlich abzulegen;
ſo viel erinnere ich mich doch, daß mich bald an-
fangs der Herr Doctor verſicherte, dieſe Thraͤ-
nen waͤren vom Geiſte GOttes gewuͤrcket, und
eine Anzeige einer aufrichtigen Buße. Weil
ich dabey abſcheulich im Geſichte ausſahe, ſo
glaube ich, daß er ſelbſt im abſolviren perturbi-
ret wurde, indem er von der præmeditirten Ab-
ſolution
alſo abzugehen genoͤthiget wurde, und
die Sachen, die er mir zum Troſte vorſagte,
eben in keiner ſonderlichen Ordnung zuſammen
ſetzte. Endlich faſte er einen groͤßern Muth,
und fieng mit beweglicher Stimme an und
ſprach: Jch nehme alles, was des Herrn
Magiſters Hertze druͤckt, alle ſeine Suͤn-
den, die er iemahls begangen, ſie moͤgen ſo

groß
Q 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0293" n="247"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">wird aber am <hi rendition="#aq">Trinitatis-</hi>Fe&#x017F;te</hi></fw><lb/>
zur Beichte gewe&#x017F;en, die&#x017F;es mahl aber gieng ich<lb/>
in der <hi rendition="#aq">Thomas-</hi>Kirche. Mein ordentlicher<lb/>
Beicht-Vater, Herr <hi rendition="#aq">Lic. Horn,</hi> war kranck,<lb/>
und konte nicht Beichte &#x017F;itzen, mu&#x017F;te al&#x017F;o bey<lb/>
Herr <hi rendition="#aq">D.</hi> Seeligmannen beichten. Jch hatte<lb/>
bisher lange Zeit vor großer Hertzens-Ang&#x017F;t kei-<lb/>
ne Thra&#x0364;nen vergießen ko&#x0364;nnen; denn es &#x017F;chiene,<lb/>
als ob der Himmel, und mein Hertz ei&#x017F;ern wa&#x0364;-<lb/>
ren; und nun, da ich beichten &#x017F;olte, konte ich<lb/>
anfangs kein Wort vorbringen, &#x017F;ondern fieng<lb/>
vor Betru&#x0364;bniß meiner Seelen an zu weinen.<lb/>
Jch kan mich nicht mehr be&#x017F;innen, ob ich fa&#x0364;hig<lb/>
gewe&#x017F;en, meine <hi rendition="#fr">Beichte</hi> ordentlich abzulegen;<lb/>
&#x017F;o viel erinnere ich mich doch, daß mich bald an-<lb/>
fangs der Herr <hi rendition="#aq">Doctor</hi> ver&#x017F;icherte, die&#x017F;e Thra&#x0364;-<lb/>
nen wa&#x0364;ren vom Gei&#x017F;te GOttes gewu&#x0364;rcket, und<lb/>
eine Anzeige einer aufrichtigen Buße. Weil<lb/>
ich dabey ab&#x017F;cheulich im Ge&#x017F;ichte aus&#x017F;ahe, &#x017F;o<lb/>
glaube ich, daß er &#x017F;elb&#x017F;t im <hi rendition="#aq">ab&#x017F;olvi</hi>ren <hi rendition="#aq">perturbi-</hi><lb/>
ret wurde, indem er von der <hi rendition="#aq">præmediti</hi>rten <hi rendition="#aq">Ab-<lb/>
&#x017F;olution</hi> al&#x017F;o abzugehen geno&#x0364;thiget wurde, und<lb/>
die Sachen, die er mir zum Tro&#x017F;te vor&#x017F;agte,<lb/>
eben in keiner &#x017F;onderlichen Ordnung zu&#x017F;ammen<lb/>
&#x017F;etzte. Endlich fa&#x017F;te er einen gro&#x0364;ßern Muth,<lb/>
und fieng mit beweglicher Stimme an und<lb/>
&#x017F;prach: <hi rendition="#fr">Jch nehme alles, was des Herrn<lb/>
Magi&#x017F;ters Hertze dru&#x0364;ckt, alle &#x017F;eine Su&#x0364;n-<lb/>
den, die er iemahls begangen, &#x017F;ie mo&#x0364;gen &#x017F;o</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">Q 4</hi></fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">groß</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0293] wird aber am Trinitatis-Feſte zur Beichte geweſen, dieſes mahl aber gieng ich in der Thomas-Kirche. Mein ordentlicher Beicht-Vater, Herr Lic. Horn, war kranck, und konte nicht Beichte ſitzen, muſte alſo bey Herr D. Seeligmannen beichten. Jch hatte bisher lange Zeit vor großer Hertzens-Angſt kei- ne Thraͤnen vergießen koͤnnen; denn es ſchiene, als ob der Himmel, und mein Hertz eiſern waͤ- ren; und nun, da ich beichten ſolte, konte ich anfangs kein Wort vorbringen, ſondern fieng vor Betruͤbniß meiner Seelen an zu weinen. Jch kan mich nicht mehr beſinnen, ob ich faͤhig geweſen, meine Beichte ordentlich abzulegen; ſo viel erinnere ich mich doch, daß mich bald an- fangs der Herr Doctor verſicherte, dieſe Thraͤ- nen waͤren vom Geiſte GOttes gewuͤrcket, und eine Anzeige einer aufrichtigen Buße. Weil ich dabey abſcheulich im Geſichte ausſahe, ſo glaube ich, daß er ſelbſt im abſolviren perturbi- ret wurde, indem er von der præmeditirten Ab- ſolution alſo abzugehen genoͤthiget wurde, und die Sachen, die er mir zum Troſte vorſagte, eben in keiner ſonderlichen Ordnung zuſammen ſetzte. Endlich faſte er einen groͤßern Muth, und fieng mit beweglicher Stimme an und ſprach: Jch nehme alles, was des Herrn Magiſters Hertze druͤckt, alle ſeine Suͤn- den, die er iemahls begangen, ſie moͤgen ſo groß Q 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/293
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/293>, abgerufen am 24.11.2024.