Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

wünschet das Ende der Messe,
aus einem gewissen Zustande entstanden, hernach
durch die schwache Leibes-Disposition unterhalten
und fortgesetzet würden.

Anno 1704.
§. 55.

Der Georgii Tag siel dazumahl in die Messe,
oder wohl gar in die Zahl-Woche. Jch sehnte
mich, daß die Messe bald möchte ein Ende ha-
ben. Das Lermen, und Wemmern der Leute
zu solcher Zeit ist einem Melancholico und An-
gefochtenen höchst zuwider. Wo ich speisete,
kunte man kaum sitzen vor der Menge der Meß-
Leute, und es wurde mir offt so angst und so heiß
um den Kopff, daß es nicht viel fehlte, daß ich
nicht zu schreyen anfieng. Denn gleichwie ein
Studirender nicht wohl meditiren kan, wenn
Leute, welche lermen, reden und turniren, ihm
den Kopff voll machen: also ist es nicht Wun-
der, wenn angefochtene Menschen, die mit
Sünde, Tod und Hölle ringen, gleich den Me-
lancholicis, gerne alles um sich ruhig und stille
haben wollen. Denn sie haben gar zu viel zu
meditiren, und zu sorgen, wie sie ihre Dinge
mit GOtt ausmachen, und ihres Jammers los
werden wollen. Bey den sterbenden habe ich
dergleichen auch wahrgenommen; und mag
manchem da wohl ein schlechter Gefallen geschehen,

wenn
P 4

wuͤnſchet das Ende der Meſſe,
aus einem gewiſſen Zuſtande entſtanden, hernach
durch die ſchwache Leibes-Diſpoſition unterhalten
und fortgeſetzet wuͤrden.

Anno 1704.
§. 55.

Der Georgii Tag ſiel dazumahl in die Meſſe,
oder wohl gar in die Zahl-Woche. Jch ſehnte
mich, daß die Meſſe bald moͤchte ein Ende ha-
ben. Das Lermen, und Wemmern der Leute
zu ſolcher Zeit iſt einem Melancholico und An-
gefochtenen hoͤchſt zuwider. Wo ich ſpeiſete,
kunte man kaum ſitzen vor der Menge der Meß-
Leute, und es wurde mir offt ſo angſt und ſo heiß
um den Kopff, daß es nicht viel fehlte, daß ich
nicht zu ſchreyen anfieng. Denn gleichwie ein
Studirender nicht wohl meditiren kan, wenn
Leute, welche lermen, reden und turniren, ihm
den Kopff voll machen: alſo iſt es nicht Wun-
der, wenn angefochtene Menſchen, die mit
Suͤnde, Tod und Hoͤlle ringen, gleich den Me-
lancholicis, gerne alles um ſich ruhig und ſtille
haben wollen. Denn ſie haben gar zu viel zu
meditiren, und zu ſorgen, wie ſie ihre Dinge
mit GOtt ausmachen, und ihres Jammers los
werden wollen. Bey den ſterbenden habe ich
dergleichen auch wahrgenommen; und mag
manchem da wohl ein ſchlechter Gefallen geſchehen,

wenn
P 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0277" n="231"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">wu&#x0364;n&#x017F;chet das Ende der Me&#x017F;&#x017F;e,</hi></fw><lb/>
aus einem gewi&#x017F;&#x017F;en Zu&#x017F;tande ent&#x017F;tanden, hernach<lb/>
durch die &#x017F;chwache Leibes-<hi rendition="#aq">Di&#x017F;po&#x017F;ition</hi> unterhalten<lb/>
und fortge&#x017F;etzet wu&#x0364;rden.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Anno</hi></hi> 1704.<lb/>
§. 55.</head><lb/>
        <p>Der <hi rendition="#aq">Georgii</hi> Tag &#x017F;iel dazumahl in die Me&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
oder wohl gar in die Zahl-Woche. Jch &#x017F;ehnte<lb/>
mich, daß die Me&#x017F;&#x017F;e bald mo&#x0364;chte ein Ende ha-<lb/>
ben. Das Lermen, und Wemmern der Leute<lb/>
zu &#x017F;olcher Zeit i&#x017F;t einem <hi rendition="#aq">Melancholico</hi> und An-<lb/>
gefochtenen ho&#x0364;ch&#x017F;t zuwider. Wo ich &#x017F;pei&#x017F;ete,<lb/>
kunte man kaum &#x017F;itzen vor der Menge der Meß-<lb/>
Leute, und es wurde mir offt &#x017F;o ang&#x017F;t und &#x017F;o heiß<lb/>
um den Kopff, daß es nicht viel fehlte, daß ich<lb/>
nicht zu &#x017F;chreyen anfieng. Denn gleichwie ein<lb/><hi rendition="#aq">Studi</hi>render nicht wohl <hi rendition="#aq">mediti</hi>ren kan, wenn<lb/>
Leute, welche lermen, reden und turniren, ihm<lb/>
den Kopff voll machen: al&#x017F;o i&#x017F;t es nicht Wun-<lb/>
der, wenn angefochtene Men&#x017F;chen, die mit<lb/>
Su&#x0364;nde, Tod und Ho&#x0364;lle ringen, gleich den <hi rendition="#aq">Me-<lb/>
lancholicis,</hi> gerne alles um &#x017F;ich ruhig und &#x017F;tille<lb/>
haben wollen. Denn &#x017F;ie haben gar zu viel zu<lb/><hi rendition="#aq">mediti</hi>ren, und zu &#x017F;orgen, wie &#x017F;ie ihre Dinge<lb/>
mit GOtt ausmachen, und ihres Jammers los<lb/>
werden wollen. Bey den &#x017F;terbenden habe ich<lb/>
dergleichen auch wahrgenommen; und mag<lb/>
manchem da wohl ein &#x017F;chlechter Gefallen ge&#x017F;chehen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">P 4</hi></fw><fw place="bottom" type="catch">wenn</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0277] wuͤnſchet das Ende der Meſſe, aus einem gewiſſen Zuſtande entſtanden, hernach durch die ſchwache Leibes-Diſpoſition unterhalten und fortgeſetzet wuͤrden. Anno 1704. §. 55. Der Georgii Tag ſiel dazumahl in die Meſſe, oder wohl gar in die Zahl-Woche. Jch ſehnte mich, daß die Meſſe bald moͤchte ein Ende ha- ben. Das Lermen, und Wemmern der Leute zu ſolcher Zeit iſt einem Melancholico und An- gefochtenen hoͤchſt zuwider. Wo ich ſpeiſete, kunte man kaum ſitzen vor der Menge der Meß- Leute, und es wurde mir offt ſo angſt und ſo heiß um den Kopff, daß es nicht viel fehlte, daß ich nicht zu ſchreyen anfieng. Denn gleichwie ein Studirender nicht wohl meditiren kan, wenn Leute, welche lermen, reden und turniren, ihm den Kopff voll machen: alſo iſt es nicht Wun- der, wenn angefochtene Menſchen, die mit Suͤnde, Tod und Hoͤlle ringen, gleich den Me- lancholicis, gerne alles um ſich ruhig und ſtille haben wollen. Denn ſie haben gar zu viel zu meditiren, und zu ſorgen, wie ſie ihre Dinge mit GOtt ausmachen, und ihres Jammers los werden wollen. Bey den ſterbenden habe ich dergleichen auch wahrgenommen; und mag manchem da wohl ein ſchlechter Gefallen geſchehen, wenn P 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/277
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/277>, abgerufen am 22.11.2024.