Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

und hat deswegen viel Sorge:
wesen, daß ich mich vor nichts so sehr, als vor
dem Pro, und Contra hütten müssen, und vor dem
Streit, den die Gedancken im Haupte haben,
wenn der Mensch in einer Sache zu keiner Re-
solution
kommen kan, auch allemal, so offt ich
das Unglück gehabt, in dergleichen Zufälle, und
Umstände zu gerathen, der Verwirrung des
Gemüthes nahe gewesen, und iedesmahl die er-
sten Anwandlungen davon gespühret habe. In
ictu pulicis Deum invocare
ist zwar ein Sprüch-
wort, mit welchem man derjenigen spottet, die
bey allen Kleinigkeiten bald so ängstlich thun, als
ob sie in ein Bocks-Horn kriechen wolten; aber
schwachen Gemüthern kan man es in Wahrheit
nicht verargen, wenn sie auch bey dergleichen ge-
ringen Umständen, als der ietzt angeführte mei-
nige war, zum Gebete, und in demselben zu
demjenigen ihre Zuflucht nehmen, der der
Schwachen Stärcke ist. Jch that es, und,
ich glaube, wenn du um mich gewesen wärest, du
würdest gesagt haben, du hättest dein Lebe-Tage
keinen ärgern Poltron gesehen. Doch der
Mensch muß seyn, wie ihn GOtt geschaffen hat,
möchte ich auch hier mit den gemeinen Leuten
sprechen.

Anno
L 4

und hat deswegen viel Sorge:
weſen, daß ich mich vor nichts ſo ſehr, als vor
dem Pro, und Contra huͤtten muͤſſen, und vor dem
Streit, den die Gedancken im Haupte haben,
wenn der Menſch in einer Sache zu keiner Re-
ſolution
kommen kan, auch allemal, ſo offt ich
das Ungluͤck gehabt, in dergleichen Zufaͤlle, und
Umſtaͤnde zu gerathen, der Verwirrung des
Gemuͤthes nahe geweſen, und iedesmahl die er-
ſten Anwandlungen davon geſpuͤhret habe. In
ictu pulicis Deum invocare
iſt zwar ein Spruͤch-
wort, mit welchem man derjenigen ſpottet, die
bey allen Kleinigkeiten bald ſo aͤngſtlich thun, als
ob ſie in ein Bocks-Horn kriechen wolten; aber
ſchwachen Gemuͤthern kan man es in Wahrheit
nicht verargen, wenn ſie auch bey dergleichen ge-
ringen Umſtaͤnden, als der ietzt angefuͤhrte mei-
nige war, zum Gebete, und in demſelben zu
demjenigen ihre Zuflucht nehmen, der der
Schwachen Staͤrcke iſt. Jch that es, und,
ich glaube, wenn du um mich geweſen waͤreſt, du
wuͤrdeſt geſagt haben, du haͤtteſt dein Lebe-Tage
keinen aͤrgern Poltron geſehen. Doch der
Menſch muß ſeyn, wie ihn GOtt geſchaffen hat,
moͤchte ich auch hier mit den gemeinen Leuten
ſprechen.

Anno
L 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0213" n="167"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und hat deswegen viel Sorge:</hi></fw><lb/>
we&#x017F;en, daß ich mich vor nichts &#x017F;o &#x017F;ehr, als vor<lb/>
dem <hi rendition="#aq">Pro,</hi> und <hi rendition="#aq">Contra</hi> hu&#x0364;tten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und vor dem<lb/>
Streit, den die Gedancken im Haupte haben,<lb/>
wenn der Men&#x017F;ch in einer Sache zu keiner <hi rendition="#aq">Re-<lb/>
&#x017F;olution</hi> kommen kan, auch allemal, &#x017F;o offt ich<lb/>
das Unglu&#x0364;ck gehabt, in dergleichen Zufa&#x0364;lle, und<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde zu gerathen, der Verwirrung des<lb/>
Gemu&#x0364;thes nahe gewe&#x017F;en, und iedesmahl die er-<lb/>
&#x017F;ten Anwandlungen davon ge&#x017F;pu&#x0364;hret habe. <hi rendition="#aq">In<lb/>
ictu pulicis Deum invocare</hi> i&#x017F;t zwar ein Spru&#x0364;ch-<lb/>
wort, mit welchem man derjenigen &#x017F;pottet, die<lb/>
bey allen Kleinigkeiten bald &#x017F;o a&#x0364;ng&#x017F;tlich thun, als<lb/>
ob &#x017F;ie in ein Bocks-Horn kriechen wolten; aber<lb/>
&#x017F;chwachen Gemu&#x0364;thern kan man es in Wahrheit<lb/>
nicht verargen, wenn &#x017F;ie auch bey dergleichen ge-<lb/>
ringen Um&#x017F;ta&#x0364;nden, als der ietzt angefu&#x0364;hrte mei-<lb/>
nige war, zum Gebete, und in dem&#x017F;elben zu<lb/>
demjenigen ihre Zuflucht nehmen, der der<lb/>
Schwachen Sta&#x0364;rcke i&#x017F;t. Jch that es, und,<lb/>
ich glaube, wenn du um mich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re&#x017F;t, du<lb/>
wu&#x0364;rde&#x017F;t ge&#x017F;agt haben, du ha&#x0364;tte&#x017F;t dein Lebe-Tage<lb/>
keinen a&#x0364;rgern <hi rendition="#aq">Poltron</hi> ge&#x017F;ehen. Doch der<lb/>
Men&#x017F;ch muß &#x017F;eyn, wie ihn GOtt ge&#x017F;chaffen hat,<lb/>
mo&#x0364;chte ich auch hier mit den gemeinen Leuten<lb/>
&#x017F;prechen.</p>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">L 4</fw>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">Anno</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0213] und hat deswegen viel Sorge: weſen, daß ich mich vor nichts ſo ſehr, als vor dem Pro, und Contra huͤtten muͤſſen, und vor dem Streit, den die Gedancken im Haupte haben, wenn der Menſch in einer Sache zu keiner Re- ſolution kommen kan, auch allemal, ſo offt ich das Ungluͤck gehabt, in dergleichen Zufaͤlle, und Umſtaͤnde zu gerathen, der Verwirrung des Gemuͤthes nahe geweſen, und iedesmahl die er- ſten Anwandlungen davon geſpuͤhret habe. In ictu pulicis Deum invocare iſt zwar ein Spruͤch- wort, mit welchem man derjenigen ſpottet, die bey allen Kleinigkeiten bald ſo aͤngſtlich thun, als ob ſie in ein Bocks-Horn kriechen wolten; aber ſchwachen Gemuͤthern kan man es in Wahrheit nicht verargen, wenn ſie auch bey dergleichen ge- ringen Umſtaͤnden, als der ietzt angefuͤhrte mei- nige war, zum Gebete, und in demſelben zu demjenigen ihre Zuflucht nehmen, der der Schwachen Staͤrcke iſt. Jch that es, und, ich glaube, wenn du um mich geweſen waͤreſt, du wuͤrdeſt geſagt haben, du haͤtteſt dein Lebe-Tage keinen aͤrgern Poltron geſehen. Doch der Menſch muß ſeyn, wie ihn GOtt geſchaffen hat, moͤchte ich auch hier mit den gemeinen Leuten ſprechen. Anno L 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/213
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/213>, abgerufen am 24.11.2024.