Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

in Tisch, und ins Haus genommen,
dessen Sparsamkeit manchmal beynahe einem
Geitze und Kärglichkeit ähnlich sahe. Und es
schien einst, als wenn er selbst wäre bey sich über-
führet worden, daß er von diesem Fehler nicht
gantz frey, sondern ein wenig gar zu genau wäre.
So ungern er einen Heller ohne Noth ausgab,
so gieng er doch gern in die Comoedien, und ich
war nach meinem damaligen Zustande auch kein
Feind davon. Einst führten die Comoedianten
den Avare des Moliere auf, welche Comoedie
ein rechter Spiegel vor solche Leute ist, denen
GOtt dieser Welt Güther gegeben, und sie ih-
nen doch nicht zu genießen giebt. Wir waren
sonst gewohnt des Abends, oder des andern Ta-
ges über Tisch, im Garten, oder wo wir sonst zu-
sammen kamen, von der Comoedie, in welcher
wir gewesen, zu discuriren, so wie man etwan,
wenn man aus der Predigt kommt, von dem,
was geprediget worden, zu discuriren pfleget;
dasselbe mahl aber, da des Moliere sein Geitzi-
ger war vorgestellet worden, schwieg er stock stille,
und ich war auch so listig, und wolte selbst davon
nicht zu reden anfangen, damit es nicht schiene,
als ob ich glaubte, daß er darinnen wäre getrof-
fen worden. Er erzehlte mir manchmahl, wie
sein Vater, so nur ein Schuster gewesen, einst
durch Diebe schier um alle das seinige gekommen,
und wie er, als ein Christ, mit ungemeiner Gedult

und
J

in Tiſch, und ins Haus genommen,
deſſen Sparſamkeit manchmal beynahe einem
Geitze und Kaͤrglichkeit aͤhnlich ſahe. Und es
ſchien einſt, als wenn er ſelbſt waͤre bey ſich uͤber-
fuͤhret worden, daß er von dieſem Fehler nicht
gantz frey, ſondern ein wenig gar zu genau waͤre.
So ungern er einen Heller ohne Noth ausgab,
ſo gieng er doch gern in die Comœdien, und ich
war nach meinem damaligen Zuſtande auch kein
Feind davon. Einſt fuͤhrten die Comœdianten
den Avare des Moliere auf, welche Comœdie
ein rechter Spiegel vor ſolche Leute iſt, denen
GOtt dieſer Welt Guͤther gegeben, und ſie ih-
nen doch nicht zu genießen giebt. Wir waren
ſonſt gewohnt des Abends, oder des andern Ta-
ges uͤber Tiſch, im Garten, oder wo wir ſonſt zu-
ſammen kamen, von der Comœdie, in welcher
wir geweſen, zu diſcuriren, ſo wie man etwan,
wenn man aus der Predigt kommt, von dem,
was geprediget worden, zu diſcuriren pfleget;
daſſelbe mahl aber, da des Moliere ſein Geitzi-
ger war vorgeſtellet worden, ſchwieg er ſtock ſtille,
und ich war auch ſo liſtig, und wolte ſelbſt davon
nicht zu reden anfangen, damit es nicht ſchiene,
als ob ich glaubte, daß er darinnen waͤre getrof-
fen worden. Er erzehlte mir manchmahl, wie
ſein Vater, ſo nur ein Schuſter geweſen, einſt
durch Diebe ſchier um alle das ſeinige gekommen,
und wie er, als ein Chriſt, mit ungemeiner Gedult

und
J
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0175" n="129"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in Ti&#x017F;ch, und ins Haus genommen,</hi></fw><lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Spar&#x017F;amkeit manchmal beynahe einem<lb/>
Geitze und Ka&#x0364;rglichkeit a&#x0364;hnlich &#x017F;ahe. Und es<lb/>
&#x017F;chien ein&#x017F;t, als wenn er &#x017F;elb&#x017F;t wa&#x0364;re bey &#x017F;ich u&#x0364;ber-<lb/>
fu&#x0364;hret worden, daß er von die&#x017F;em Fehler nicht<lb/>
gantz frey, &#x017F;ondern ein wenig gar zu genau wa&#x0364;re.<lb/>
So ungern er einen Heller ohne Noth ausgab,<lb/>
&#x017F;o gieng er doch gern in die <hi rendition="#aq">Com&#x0153;di</hi>en, und ich<lb/>
war nach meinem damaligen Zu&#x017F;tande auch kein<lb/>
Feind davon. Ein&#x017F;t fu&#x0364;hrten die <hi rendition="#aq">Com&#x0153;diant</hi>en<lb/>
den <hi rendition="#aq">Avare</hi> des <hi rendition="#aq">Moliere</hi> auf, welche <hi rendition="#aq">Com&#x0153;die</hi><lb/>
ein rechter Spiegel vor &#x017F;olche Leute i&#x017F;t, denen<lb/>
GOtt die&#x017F;er Welt Gu&#x0364;ther gegeben, und &#x017F;ie ih-<lb/>
nen doch nicht zu genießen giebt. Wir waren<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t gewohnt des Abends, oder des andern Ta-<lb/>
ges u&#x0364;ber Ti&#x017F;ch, im Garten, oder wo wir &#x017F;on&#x017F;t zu-<lb/>
&#x017F;ammen kamen, von der <hi rendition="#aq">Com&#x0153;die,</hi> in welcher<lb/>
wir gewe&#x017F;en, zu <hi rendition="#aq">di&#x017F;curi</hi>ren, &#x017F;o wie man etwan,<lb/>
wenn man aus der Predigt kommt, von dem,<lb/>
was geprediget worden, zu <hi rendition="#aq">di&#x017F;curi</hi>ren pfleget;<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe mahl aber, da des <hi rendition="#aq">Moliere</hi> &#x017F;ein Geitzi-<lb/>
ger war vorge&#x017F;tellet worden, &#x017F;chwieg er &#x017F;tock &#x017F;tille,<lb/>
und ich war auch &#x017F;o li&#x017F;tig, und wolte &#x017F;elb&#x017F;t davon<lb/>
nicht zu reden anfangen, damit es nicht &#x017F;chiene,<lb/>
als ob ich glaubte, daß er darinnen wa&#x0364;re getrof-<lb/>
fen worden. Er erzehlte mir manchmahl, wie<lb/>
&#x017F;ein Vater, &#x017F;o nur ein Schu&#x017F;ter gewe&#x017F;en, ein&#x017F;t<lb/>
durch Diebe &#x017F;chier um alle das &#x017F;einige gekommen,<lb/>
und wie er, als ein Chri&#x017F;t, mit ungemeiner Gedult<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0175] in Tiſch, und ins Haus genommen, deſſen Sparſamkeit manchmal beynahe einem Geitze und Kaͤrglichkeit aͤhnlich ſahe. Und es ſchien einſt, als wenn er ſelbſt waͤre bey ſich uͤber- fuͤhret worden, daß er von dieſem Fehler nicht gantz frey, ſondern ein wenig gar zu genau waͤre. So ungern er einen Heller ohne Noth ausgab, ſo gieng er doch gern in die Comœdien, und ich war nach meinem damaligen Zuſtande auch kein Feind davon. Einſt fuͤhrten die Comœdianten den Avare des Moliere auf, welche Comœdie ein rechter Spiegel vor ſolche Leute iſt, denen GOtt dieſer Welt Guͤther gegeben, und ſie ih- nen doch nicht zu genießen giebt. Wir waren ſonſt gewohnt des Abends, oder des andern Ta- ges uͤber Tiſch, im Garten, oder wo wir ſonſt zu- ſammen kamen, von der Comœdie, in welcher wir geweſen, zu diſcuriren, ſo wie man etwan, wenn man aus der Predigt kommt, von dem, was geprediget worden, zu diſcuriren pfleget; daſſelbe mahl aber, da des Moliere ſein Geitzi- ger war vorgeſtellet worden, ſchwieg er ſtock ſtille, und ich war auch ſo liſtig, und wolte ſelbſt davon nicht zu reden anfangen, damit es nicht ſchiene, als ob ich glaubte, daß er darinnen waͤre getrof- fen worden. Er erzehlte mir manchmahl, wie ſein Vater, ſo nur ein Schuſter geweſen, einſt durch Diebe ſchier um alle das ſeinige gekommen, und wie er, als ein Chriſt, mit ungemeiner Gedult und J

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/175
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/175>, abgerufen am 22.11.2024.