So einen heißen Sommer ich in diesem 1695. Jahre gehabt, so war hernach der darauf fol- gende Herbst vor mich desto kühlender, und er- quickender. Jch gieng in der Hitze der An- fechtung hin und her, und lieff aus einer Kir- che und Predigt in die andere, Trost und Lin- derung vor meine geängstete Seele zu suchen. Um das Ende des Sommers hatten wir einen Buß-Tag, und in der Elisabeth-Kirche, so mir am nähesten, predigte des Morgens der Se- nior,Hermann, dessen Worte und Predig- ten mir sonst schon manchmahl sehr waren zu Hertzen gegangen. Er redete sehr scharff wi- der solche Sünden, deren ich mich auch schul- dig befand. Doch so scharffe Lauge er eine gute Zeit den Sünden aufgegossen, und so em- pfindlich er ihre Wunden, so ihnen die Sünde in dem Gewissen geschlagen, gerühret hatte: so gelinde, und erquickend war gleichwohl das Oel des Trostes, das er in solche hinein goß. Es kam immer ein starcker Trost-Grund auf den andern, und mein Hertze fieng an vor Freuden zu springen. Die innerliche Freude, die ohne- dem schon eine große Menge Thranen herfür gebracht, erreichte noch den höchsten Gipffel, alß er unter andern aus dem bekannten Sterbe- Liede: Jch habe meine Sache GOtt heim- gestellt, die Worte anführte: Meinen lie-
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ſo ward ſie doch in einer
So einen heißen Sommer ich in dieſem 1695. Jahre gehabt, ſo war hernach der darauf fol- gende Herbſt vor mich deſto kuͤhlender, und er- quickender. Jch gieng in der Hitze der An- fechtung hin und her, und lieff aus einer Kir- che und Predigt in die andere, Troſt und Lin- derung vor meine geaͤngſtete Seele zu ſuchen. Um das Ende des Sommers hatten wir einen Buß-Tag, und in der Eliſabeth-Kirche, ſo mir am naͤheſten, predigte des Morgens der Se- nior,Hermann, deſſen Worte und Predig- ten mir ſonſt ſchon manchmahl ſehr waren zu Hertzen gegangen. Er redete ſehr ſcharff wi- der ſolche Suͤnden, deren ich mich auch ſchul- dig befand. Doch ſo ſcharffe Lauge er eine gute Zeit den Suͤnden aufgegoſſen, und ſo em- pfindlich er ihre Wunden, ſo ihnen die Suͤnde in dem Gewiſſen geſchlagen, geruͤhret hatte: ſo gelinde, und erquickend war gleichwohl das Oel des Troſtes, das er in ſolche hinein goß. Es kam immer ein ſtarcker Troſt-Grund auf den andern, und mein Hertze fieng an vor Freuden zu ſpringen. Die innerliche Freude, die ohne- dem ſchon eine große Menge Thranen herfuͤr gebracht, erreichte noch den hoͤchſten Gipffel, alß er unter andern aus dem bekannten Sterbe- Liede: Jch habe meine Sache GOtt heim- geſtellt, die Worte anfuͤhrte: Meinen lie-
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ſo ward ſie doch in einer
So einen heißen Sommer ich in dieſem 1695.
Jahre gehabt, ſo war hernach der darauf fol-
gende Herbſt vor mich deſto kuͤhlender, und er-
quickender. Jch gieng in der Hitze der An-
fechtung hin und her, und lieff aus einer Kir-
che und Predigt in die andere, Troſt und Lin-
derung vor meine geaͤngſtete Seele zu ſuchen.
Um das Ende des Sommers hatten wir einen
Buß-Tag, und in der Eliſabeth-Kirche, ſo
mir am naͤheſten, predigte des Morgens der Se-
nior, Hermann, deſſen Worte und Predig-
ten mir ſonſt ſchon manchmahl ſehr waren zu
Hertzen gegangen. Er redete ſehr ſcharff wi-
der ſolche Suͤnden, deren ich mich auch ſchul-
dig befand. Doch ſo ſcharffe Lauge er eine
gute Zeit den Suͤnden aufgegoſſen, und ſo em-
pfindlich er ihre Wunden, ſo ihnen die Suͤnde
in dem Gewiſſen geſchlagen, geruͤhret hatte: ſo
gelinde, und erquickend war gleichwohl das Oel
des Troſtes, das er in ſolche hinein goß. Es
kam immer ein ſtarcker Troſt-Grund auf den
andern, und mein Hertze fieng an vor Freuden
zu ſpringen. Die innerliche Freude, die ohne-
dem ſchon eine große Menge Thranen herfuͤr
gebracht, erreichte noch den hoͤchſten Gipffel, alß
er unter andern aus dem bekannten Sterbe-
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/165>, abgerufen am 24.11.2024.
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