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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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erst recht aufwachte,
welches ohnedem schon sattsam brannte, und
mir heiß genug machte. Wer weiß, wie es
dir noch gehen wird, dachte ich, und ob es nicht
auch mit dir einmahl ein solches Ende nehmen
wird! Ach wäre ich bey meinen Eltern in der
Einfalt blieben, so würde aller solcher Jammer
nicht über mich gekommen seyn! Wolte GOtt,
ich hätte niemahls an das Studiren gedacht,
noch das Gymnasium mit meinen Augen gese-
hen, in welchem ich um alle die Gottseligkeit
gekommen, die ich bey meinen Eltern als ein
Knabe gehabt, und bey welcher mir so wohl
war! So dachte ich; und außer dem jam-
merte es mich auch auf eine gantz unbeschreib-
liche Weise, so daß es mir durch Marck und
Bein drang, daß ich andere durch mein Exem-
pel zu gleichem unordentlichem Leben verleitet
hatte, und ich sie tetzt nicht so leicht auf andere
Gedancken bringen konte.

Jn der Himmelfahrts-Woche hatte eine
von meinen Schwestern Hochzeit, die ietzt noch
lebt. Die Hochzeit währte 3. Tage. Am
dritten Tage, als in der Mittwoche, überfiel
mich eine Traurigkeit mitten unter der hochzeit-
lichen Freude der andern Gäste. Jch sahe,
wie sie so fröhlich waren, und meynte nicht an-
ders, sie wären alle frömmer, denn ich, und
hätten alle noch ein unverletzt Gewissen; da

doch

erſt recht aufwachte,
welches ohnedem ſchon ſattſam brannte, und
mir heiß genug machte. Wer weiß, wie es
dir noch gehen wird, dachte ich, und ob es nicht
auch mit dir einmahl ein ſolches Ende nehmen
wird! Ach waͤre ich bey meinen Eltern in der
Einfalt blieben, ſo wuͤrde aller ſolcher Jammer
nicht uͤber mich gekommen ſeyn! Wolte GOtt,
ich haͤtte niemahls an das Studiren gedacht,
noch das Gymnaſium mit meinen Augen geſe-
hen, in welchem ich um alle die Gottſeligkeit
gekommen, die ich bey meinen Eltern als ein
Knabe gehabt, und bey welcher mir ſo wohl
war! So dachte ich; und außer dem jam-
merte es mich auch auf eine gantz unbeſchreib-
liche Weiſe, ſo daß es mir durch Marck und
Bein drang, daß ich andere durch mein Exem-
pel zu gleichem unordentlichem Leben verleitet
hatte, und ich ſie tetzt nicht ſo leicht auf andere
Gedancken bringen konte.

Jn der Himmelfahrts-Woche hatte eine
von meinen Schweſtern Hochzeit, die ietzt noch
lebt. Die Hochzeit waͤhrte 3. Tage. Am
dritten Tage, als in der Mittwoche, uͤberfiel
mich eine Traurigkeit mitten unter der hochzeit-
lichen Freude der andern Gaͤſte. Jch ſahe,
wie ſie ſo froͤhlich waren, und meynte nicht an-
ders, ſie waͤren alle froͤmmer, denn ich, und
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[116/0162] erſt recht aufwachte, welches ohnedem ſchon ſattſam brannte, und mir heiß genug machte. Wer weiß, wie es dir noch gehen wird, dachte ich, und ob es nicht auch mit dir einmahl ein ſolches Ende nehmen wird! Ach waͤre ich bey meinen Eltern in der Einfalt blieben, ſo wuͤrde aller ſolcher Jammer nicht uͤber mich gekommen ſeyn! Wolte GOtt, ich haͤtte niemahls an das Studiren gedacht, noch das Gymnaſium mit meinen Augen geſe- hen, in welchem ich um alle die Gottſeligkeit gekommen, die ich bey meinen Eltern als ein Knabe gehabt, und bey welcher mir ſo wohl war! So dachte ich; und außer dem jam- merte es mich auch auf eine gantz unbeſchreib- liche Weiſe, ſo daß es mir durch Marck und Bein drang, daß ich andere durch mein Exem- pel zu gleichem unordentlichem Leben verleitet hatte, und ich ſie tetzt nicht ſo leicht auf andere Gedancken bringen konte. Jn der Himmelfahrts-Woche hatte eine von meinen Schweſtern Hochzeit, die ietzt noch lebt. Die Hochzeit waͤhrte 3. Tage. Am dritten Tage, als in der Mittwoche, uͤberfiel mich eine Traurigkeit mitten unter der hochzeit- lichen Freude der andern Gaͤſte. Jch ſahe, wie ſie ſo froͤhlich waren, und meynte nicht an- ders, ſie waͤren alle froͤmmer, denn ich, und haͤtten alle noch ein unverletzt Gewiſſen; da doch

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/162>, abgerufen am 25.11.2024.