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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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der linken Hemisphäre durchsetzender gelber Erweichungs-
heerd, welcher die graue Substanz daselbst in einer Breite
von ca. 3 cm zerstört hat und sich ungefähr 2 cm tief
in die weisse Substanz hineinerstreckt.

Die ganze untere Hälfte der linken Kleinhirnhemi-
sphäre ist in einen grossen Eiterheerd verwandelt."

Versuchen wir nun, das vorliegende Material zu
annalysiren; es umfasst nicht mehr als 6 Fälle, gesammelt
in einem Zeitraum von 23 Jahren.

Wenn wir einen Blick auf die einzelnen Kranken-
geschichten werfen, so erhellt sofort, dass ich selbst die
Mehrzahl der Patienten nur vorübergehend beobachtete.
Es ist das kein blosser Zufall, sondern beruht auf der
Natur der zu Grunde liegenden Gesammterkrankung, die
gewöhnlich nur im Anfange das Bedürfniss einer specia-
listischen Fürsorge wachrief, während dasselbe später,
entweder durch Aufhören der betreffenden Erscheinungen
oder durch Vorschlagen anderer und zwar meist direct
gefahrbringender Symptome in den Hintergrund gedrängt
wurde. Auf diese Weise gingen manche Kranke für die
weitere augenärztliche Beobachtung verloren und es kostete,
trotz des lebhaften Interesses und des bereitwilligsten
Entgegenkommens der Herrn Collegen oft nicht wenig
Mühe sie bei der durchschnittlichen Länge der Krank-
heitsdauer nicht vollends aus den Augen zu verlieren.
Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn einzelne Be-
obachtungen empfindliche Lücken zeigen und ich bin mir
sehr wohl bewusst, dass ich keineswegs in der Lage bin,
etwas völlig Abgeschlossenes zu bieten. Aber trotz der
aus dieser Erkenntniss entspringenden Bedenken glaube
ich doch die Veröffentlichung der bisher vorliegenden, an
sich so seltenen, Fälle nicht unterlassen zu sollen, weil
dieselben immerhin, sowohl nach der klinischen als nach
der anatomischen Seite genug Gemeinsames und Constan-

der linken Hemisphäre durchsetzender gelber Erweichungs-
heerd, welcher die graue Substanz daselbst in einer Breite
von ca. 3 cm zerstört hat und sich ungefähr 2 cm tief
in die weisse Substanz hineinerstreckt.

Die ganze untere Hälfte der linken Kleinhirnhemi-
sphäre ist in einen grossen Eiterheerd verwandelt.“

Versuchen wir nun, das vorliegende Material zu
annalysiren; es umfasst nicht mehr als 6 Fälle, gesammelt
in einem Zeitraum von 23 Jahren.

Wenn wir einen Blick auf die einzelnen Kranken-
geschichten werfen, so erhellt sofort, dass ich selbst die
Mehrzahl der Patienten nur vorübergehend beobachtete.
Es ist das kein blosser Zufall, sondern beruht auf der
Natur der zu Grunde liegenden Gesammterkrankung, die
gewöhnlich nur im Anfange das Bedürfniss einer specia-
listischen Fürsorge wachrief, während dasselbe später,
entweder durch Aufhören der betreffenden Erscheinungen
oder durch Vorschlagen anderer und zwar meist direct
gefahrbringender Symptome in den Hintergrund gedrängt
wurde. Auf diese Weise gingen manche Kranke für die
weitere augenärztliche Beobachtung verloren und es kostete,
trotz des lebhaften Interesses und des bereitwilligsten
Entgegenkommens der Herrn Collegen oft nicht wenig
Mühe sie bei der durchschnittlichen Länge der Krank-
heitsdauer nicht vollends aus den Augen zu verlieren.
Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn einzelne Be-
obachtungen empfindliche Lücken zeigen und ich bin mir
sehr wohl bewusst, dass ich keineswegs in der Lage bin,
etwas völlig Abgeschlossenes zu bieten. Aber trotz der
aus dieser Erkenntniss entspringenden Bedenken glaube
ich doch die Veröffentlichung der bisher vorliegenden, an
sich so seltenen, Fälle nicht unterlassen zu sollen, weil
dieselben immerhin, sowohl nach der klinischen als nach
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[29/0033] der linken Hemisphäre durchsetzender gelber Erweichungs- heerd, welcher die graue Substanz daselbst in einer Breite von ca. 3 cm zerstört hat und sich ungefähr 2 cm tief in die weisse Substanz hineinerstreckt. Die ganze untere Hälfte der linken Kleinhirnhemi- sphäre ist in einen grossen Eiterheerd verwandelt.“ Versuchen wir nun, das vorliegende Material zu annalysiren; es umfasst nicht mehr als 6 Fälle, gesammelt in einem Zeitraum von 23 Jahren. Wenn wir einen Blick auf die einzelnen Kranken- geschichten werfen, so erhellt sofort, dass ich selbst die Mehrzahl der Patienten nur vorübergehend beobachtete. Es ist das kein blosser Zufall, sondern beruht auf der Natur der zu Grunde liegenden Gesammterkrankung, die gewöhnlich nur im Anfange das Bedürfniss einer specia- listischen Fürsorge wachrief, während dasselbe später, entweder durch Aufhören der betreffenden Erscheinungen oder durch Vorschlagen anderer und zwar meist direct gefahrbringender Symptome in den Hintergrund gedrängt wurde. Auf diese Weise gingen manche Kranke für die weitere augenärztliche Beobachtung verloren und es kostete, trotz des lebhaften Interesses und des bereitwilligsten Entgegenkommens der Herrn Collegen oft nicht wenig Mühe sie bei der durchschnittlichen Länge der Krank- heitsdauer nicht vollends aus den Augen zu verlieren. Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn einzelne Be- obachtungen empfindliche Lücken zeigen und ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich keineswegs in der Lage bin, etwas völlig Abgeschlossenes zu bieten. Aber trotz der aus dieser Erkenntniss entspringenden Bedenken glaube ich doch die Veröffentlichung der bisher vorliegenden, an sich so seltenen, Fälle nicht unterlassen zu sollen, weil dieselben immerhin, sowohl nach der klinischen als nach der anatomischen Seite genug Gemeinsames und Constan-

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/33>, abgerufen am 23.11.2024.