Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Goldauer Bergsturz. Flucht oder durch Abwesenheit vom Hause Geretteten beträgt etwadie Hälfte (220) der durch den Sturz ums Leben Gekommenen. -- Erschütternd und wahrhaft tragisch ist das Schicksal einer Reise¬ gesellschaft, welche den Rigi (in Voraussetzung baldiger Besserung des Wetters) ersteigen wollte. Sie bestand aus Mitgliedern alter, edler Familien: dem Herrn v. Diesbach und seiner Gemahlin, einer geb. v. Wattenwyl, dem Frl. v. Diesbach, dem Obrist Victor v. Steiger, den Herren Gebrüder May, Jenner von Brestenberg, einigen Knaben und deren Informator, einem Herrn Jahn aus Gotha. Am Spätnachmittage hatte die Gesellschaft Arth verlassen und wollte zu Fuß nach Schwyz wandern; die Besteigung des Rigi hatte man aufgegeben. Herr von Diesbach, die Gebr. May und der Lehrer waren einige hundert Schritt hinter der übrigen Reisegesellschaft zurückgeblieben und sahen dieselbe scherzend und plaudernd ins Dorf Goldau einwandern. Eben wollten auch die Zurückgebliebenen die verhängnißvolle Stätte betreten, als der Donnerton des Einsturzes sie erschreckte. Sie blicken hinauf, sehen die Masse in wilder Bewegung dem Thale zujagen und flüchten eiligst auf der Straße zurück, in der sichern Voraussetzung, daß ihre vorangegangenen Freunde ein Gleiches thun werden. Unweit des Punktes, wo sie erschöpft rasten, schlagen Steinhagel und Felsgetrümmer nieder. Als der entfesselte Aufruhr sich gelegt, eilen sie wieder dem nunmehr verschütteten Dorfe zu. Soweit das spähende Auge blickt, -- nur Zerstörung, nur Schuttwälle, nur wüstes Chaos, -- kein Zeichen, nicht die mindeste Andeutung von dem nur zu gewissen Schicksal der verunglückten Freunde und An¬ gehörigen. Der Schmerz der Zurückgebliebenen und ihr Jammer um den Verlust soll herzzerreißend gewesen sein. Noch jetzt bildet das Trümmerfeld von Goldau ein Wanderziel Mehre Jahrzehnte hindurch sah die ganze Gegend, in welcher Der Goldauer Bergſturz. Flucht oder durch Abweſenheit vom Hauſe Geretteten beträgt etwadie Hälfte (220) der durch den Sturz ums Leben Gekommenen. — Erſchütternd und wahrhaft tragiſch iſt das Schickſal einer Reiſe¬ geſellſchaft, welche den Rigi (in Vorausſetzung baldiger Beſſerung des Wetters) erſteigen wollte. Sie beſtand aus Mitgliedern alter, edler Familien: dem Herrn v. Diesbach und ſeiner Gemahlin, einer geb. v. Wattenwyl, dem Frl. v. Diesbach, dem Obriſt Victor v. Steiger, den Herren Gebrüder May, Jenner von Breſtenberg, einigen Knaben und deren Informator, einem Herrn Jahn aus Gotha. Am Spätnachmittage hatte die Geſellſchaft Arth verlaſſen und wollte zu Fuß nach Schwyz wandern; die Beſteigung des Rigi hatte man aufgegeben. Herr von Diesbach, die Gebr. May und der Lehrer waren einige hundert Schritt hinter der übrigen Reiſegeſellſchaft zurückgeblieben und ſahen dieſelbe ſcherzend und plaudernd ins Dorf Goldau einwandern. Eben wollten auch die Zurückgebliebenen die verhängnißvolle Stätte betreten, als der Donnerton des Einſturzes ſie erſchreckte. Sie blicken hinauf, ſehen die Maſſe in wilder Bewegung dem Thale zujagen und flüchten eiligſt auf der Straße zurück, in der ſichern Vorausſetzung, daß ihre vorangegangenen Freunde ein Gleiches thun werden. Unweit des Punktes, wo ſie erſchöpft raſten, ſchlagen Steinhagel und Felsgetrümmer nieder. Als der entfeſſelte Aufruhr ſich gelegt, eilen ſie wieder dem nunmehr verſchütteten Dorfe zu. Soweit das ſpähende Auge blickt, — nur Zerſtörung, nur Schuttwälle, nur wüſtes Chaos, — kein Zeichen, nicht die mindeſte Andeutung von dem nur zu gewiſſen Schickſal der verunglückten Freunde und An¬ gehörigen. Der Schmerz der Zurückgebliebenen und ihr Jammer um den Verluſt ſoll herzzerreißend geweſen ſein. Noch jetzt bildet das Trümmerfeld von Goldau ein Wanderziel Mehre Jahrzehnte hindurch ſah die ganze Gegend, in welcher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0083" n="63"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Goldauer Bergſturz</hi>.<lb/></fw> Flucht oder durch Abweſenheit vom Hauſe Geretteten beträgt etwa<lb/> die Hälfte (220) der durch den Sturz ums Leben Gekommenen. —<lb/> Erſchütternd und wahrhaft tragiſch iſt das Schickſal einer Reiſe¬<lb/> geſellſchaft, welche den Rigi (in Vorausſetzung baldiger Beſſerung<lb/> des Wetters) erſteigen wollte. Sie beſtand aus Mitgliedern alter,<lb/> edler Familien: dem Herrn v. Diesbach und ſeiner Gemahlin,<lb/> einer geb. v. Wattenwyl, dem Frl. v. Diesbach, dem Obriſt Victor<lb/> v. Steiger, den Herren Gebrüder May, Jenner von Breſtenberg,<lb/> einigen Knaben und deren Informator, einem Herrn Jahn aus<lb/> Gotha. Am Spätnachmittage hatte die Geſellſchaft Arth verlaſſen<lb/> und wollte zu Fuß nach Schwyz wandern; die Beſteigung des<lb/> Rigi hatte man aufgegeben. Herr von Diesbach, die Gebr. May<lb/> und der Lehrer waren einige hundert Schritt hinter der übrigen<lb/> Reiſegeſellſchaft zurückgeblieben und ſahen dieſelbe ſcherzend und<lb/> plaudernd ins Dorf Goldau einwandern. Eben wollten auch die<lb/> Zurückgebliebenen die verhängnißvolle Stätte betreten, als der<lb/> Donnerton des Einſturzes ſie erſchreckte. Sie blicken hinauf, ſehen<lb/> die Maſſe in wilder Bewegung dem Thale zujagen und flüchten<lb/> eiligſt auf der Straße zurück, in der ſichern Vorausſetzung, daß<lb/> ihre vorangegangenen Freunde ein Gleiches thun werden. Unweit<lb/> des Punktes, wo ſie erſchöpft raſten, ſchlagen Steinhagel und<lb/> Felsgetrümmer nieder. Als der entfeſſelte Aufruhr ſich gelegt, eilen<lb/> ſie wieder dem nunmehr verſchütteten Dorfe zu. Soweit das<lb/> ſpähende Auge blickt, — nur Zerſtörung, nur Schuttwälle, nur<lb/> wüſtes Chaos, — kein Zeichen, nicht die mindeſte Andeutung von<lb/> dem nur zu gewiſſen Schickſal der verunglückten Freunde und An¬<lb/> gehörigen. Der Schmerz der Zurückgebliebenen und ihr Jammer<lb/> um den Verluſt ſoll herzzerreißend geweſen ſein.</p><lb/> <p>Noch jetzt bildet das Trümmerfeld von Goldau ein Wanderziel<lb/> aller Reiſenden, die den Rigi und den Vierwaldſtätter-See beſuchen.</p><lb/> <p>Mehre Jahrzehnte hindurch ſah die ganze Gegend, in welcher<lb/> einſt Goldau lag, erſtorben, unheimlich-ruinenhaft, wie eine vom<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [63/0083]
Der Goldauer Bergſturz.
Flucht oder durch Abweſenheit vom Hauſe Geretteten beträgt etwa
die Hälfte (220) der durch den Sturz ums Leben Gekommenen. —
Erſchütternd und wahrhaft tragiſch iſt das Schickſal einer Reiſe¬
geſellſchaft, welche den Rigi (in Vorausſetzung baldiger Beſſerung
des Wetters) erſteigen wollte. Sie beſtand aus Mitgliedern alter,
edler Familien: dem Herrn v. Diesbach und ſeiner Gemahlin,
einer geb. v. Wattenwyl, dem Frl. v. Diesbach, dem Obriſt Victor
v. Steiger, den Herren Gebrüder May, Jenner von Breſtenberg,
einigen Knaben und deren Informator, einem Herrn Jahn aus
Gotha. Am Spätnachmittage hatte die Geſellſchaft Arth verlaſſen
und wollte zu Fuß nach Schwyz wandern; die Beſteigung des
Rigi hatte man aufgegeben. Herr von Diesbach, die Gebr. May
und der Lehrer waren einige hundert Schritt hinter der übrigen
Reiſegeſellſchaft zurückgeblieben und ſahen dieſelbe ſcherzend und
plaudernd ins Dorf Goldau einwandern. Eben wollten auch die
Zurückgebliebenen die verhängnißvolle Stätte betreten, als der
Donnerton des Einſturzes ſie erſchreckte. Sie blicken hinauf, ſehen
die Maſſe in wilder Bewegung dem Thale zujagen und flüchten
eiligſt auf der Straße zurück, in der ſichern Vorausſetzung, daß
ihre vorangegangenen Freunde ein Gleiches thun werden. Unweit
des Punktes, wo ſie erſchöpft raſten, ſchlagen Steinhagel und
Felsgetrümmer nieder. Als der entfeſſelte Aufruhr ſich gelegt, eilen
ſie wieder dem nunmehr verſchütteten Dorfe zu. Soweit das
ſpähende Auge blickt, — nur Zerſtörung, nur Schuttwälle, nur
wüſtes Chaos, — kein Zeichen, nicht die mindeſte Andeutung von
dem nur zu gewiſſen Schickſal der verunglückten Freunde und An¬
gehörigen. Der Schmerz der Zurückgebliebenen und ihr Jammer
um den Verluſt ſoll herzzerreißend geweſen ſein.
Noch jetzt bildet das Trümmerfeld von Goldau ein Wanderziel
aller Reiſenden, die den Rigi und den Vierwaldſtätter-See beſuchen.
Mehre Jahrzehnte hindurch ſah die ganze Gegend, in welcher
einſt Goldau lag, erſtorben, unheimlich-ruinenhaft, wie eine vom
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |