Fallen auch auf den Rasenboden über; es sah aus, als ob riesige Schärmäuse denselben unterwühlten. Zugleich begann ein leise anhebendes Gleiten und Hinabrutschen der ganzen oberen Gegend, das immer erkennbarer und eilender wurde. Die Tannenwälder sträubten sich der raschen Bewegung zu folgen und erschienen, -- nach Aussage der Leute, welche das ganze furchtbare Phänomen vom Anfang bis zu Ende in bangster Aufmerksamkeit mit ansahen, -- etwa so, als wenn man Haare wider ihre natürliche Wuchs- und Wurzellage kämmt.
In immer gesteigerteren Progressionen nahm die angsterfüllende Erscheinung zu; in immer weiteren Kreisen, in immer ausgedehn¬ terem Umfange wurden angränzende Matten und Wiesgelände, Obstbaumgärten und Hofstatten sammt Stallungen, Menschen und Vieh mit in die ungeheuerliche Bewegung hineingezogen. Das Volk, welches den Grund und Boden, auf dem es geboren und groß geworden war, unter seinen Füßen weichen fühlte, schreckte entsetzt auf und flüchtete, seine Heimath zu verlassen. Da -- Donner und Knall! als ob die Urfundamente der Erdrinde zer¬ borsten wären, ein rasselnd-schmetterndes Krachen, ein knatterndes Geprassel, als ob ein tausendzackiges Blitzbündel aus den ver¬ derbendrohenden Wolken auf einen Schlag zernichtend in die Grundpfeiler der Berge hineingefahren wäre und das Innerste der Gebirge zersprengt und zertrümmert hätte. Die Steinbergerfluh, eine Felsenmasse von mehren Millionen Kubikklaftern, sammt allem darauf stehenden Hochwald und die darunter terrassirt sich nieder¬ senkende, mehr als hundert Fuß hohe Nagelfluh-Wand des "Ge¬ meinde-Märcht" waren eingestürzt. Dies war das Signal zu einem allgemeinen Zerstörungsakt; denn nun begann ein Schau¬ spiel, welchem an furchtbarer Großartigkeit kaum eine andere Er¬ scheinung zu vergleichen ist. In wildester Auflösung jagten Felsen¬ blöcke und Steinsplitter, Erdschlamm und Rasenfetzen, Gesträuch¬ knäuel und Baumschäfte, Alles in bald hoch aufwirbelnde, bald
Der Goldauer Bergſturz.
Fallen auch auf den Raſenboden über; es ſah aus, als ob rieſige Schärmäuſe denſelben unterwühlten. Zugleich begann ein leiſe anhebendes Gleiten und Hinabrutſchen der ganzen oberen Gegend, das immer erkennbarer und eilender wurde. Die Tannenwälder ſträubten ſich der raſchen Bewegung zu folgen und erſchienen, — nach Ausſage der Leute, welche das ganze furchtbare Phänomen vom Anfang bis zu Ende in bangſter Aufmerkſamkeit mit anſahen, — etwa ſo, als wenn man Haare wider ihre natürliche Wuchs- und Wurzellage kämmt.
In immer geſteigerteren Progreſſionen nahm die angſterfüllende Erſcheinung zu; in immer weiteren Kreiſen, in immer ausgedehn¬ terem Umfange wurden angränzende Matten und Wiesgelände, Obſtbaumgärten und Hofſtatten ſammt Stallungen, Menſchen und Vieh mit in die ungeheuerliche Bewegung hineingezogen. Das Volk, welches den Grund und Boden, auf dem es geboren und groß geworden war, unter ſeinen Füßen weichen fühlte, ſchreckte entſetzt auf und flüchtete, ſeine Heimath zu verlaſſen. Da — Donner und Knall! als ob die Urfundamente der Erdrinde zer¬ borſten wären, ein raſſelnd-ſchmetterndes Krachen, ein knatterndes Gepraſſel, als ob ein tauſendzackiges Blitzbündel aus den ver¬ derbendrohenden Wolken auf einen Schlag zernichtend in die Grundpfeiler der Berge hineingefahren wäre und das Innerſte der Gebirge zerſprengt und zertrümmert hätte. Die Steinbergerfluh, eine Felſenmaſſe von mehren Millionen Kubikklaftern, ſammt allem darauf ſtehenden Hochwald und die darunter terraſſirt ſich nieder¬ ſenkende, mehr als hundert Fuß hohe Nagelfluh-Wand des „Ge¬ meinde-Märcht“ waren eingeſtürzt. Dies war das Signal zu einem allgemeinen Zerſtörungsakt; denn nun begann ein Schau¬ ſpiel, welchem an furchtbarer Großartigkeit kaum eine andere Er¬ ſcheinung zu vergleichen iſt. In wildeſter Auflöſung jagten Felſen¬ blöcke und Steinſplitter, Erdſchlamm und Raſenfetzen, Geſträuch¬ knäuel und Baumſchäfte, Alles in bald hoch aufwirbelnde, bald
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0075"n="55"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Der Goldauer Bergſturz</hi>.<lb/></fw> Fallen auch auf den Raſenboden über; es ſah aus, als ob rieſige<lb/>
Schärmäuſe denſelben unterwühlten. Zugleich begann ein leiſe<lb/>
anhebendes Gleiten und Hinabrutſchen der ganzen oberen Gegend,<lb/>
das immer erkennbarer und eilender wurde. Die Tannenwälder<lb/>ſträubten ſich der raſchen Bewegung zu folgen und erſchienen, —<lb/>
nach Ausſage der Leute, welche das ganze furchtbare Phänomen<lb/>
vom Anfang bis zu Ende in bangſter Aufmerkſamkeit mit anſahen,<lb/>— etwa ſo, als wenn man Haare wider ihre natürliche Wuchs-<lb/>
und Wurzellage kämmt.</p><lb/><p>In immer geſteigerteren Progreſſionen nahm die angſterfüllende<lb/>
Erſcheinung zu; in immer weiteren Kreiſen, in immer ausgedehn¬<lb/>
terem Umfange wurden angränzende Matten und Wiesgelände,<lb/>
Obſtbaumgärten und Hofſtatten ſammt Stallungen, Menſchen und<lb/>
Vieh mit in die ungeheuerliche Bewegung hineingezogen. Das<lb/>
Volk, welches den Grund und Boden, auf dem es geboren und<lb/>
groß geworden war, unter ſeinen Füßen weichen fühlte, ſchreckte<lb/>
entſetzt auf und flüchtete, ſeine Heimath zu verlaſſen. Da —<lb/>
Donner und Knall! als ob die Urfundamente der Erdrinde zer¬<lb/>
borſten wären, ein raſſelnd-ſchmetterndes Krachen, ein knatterndes<lb/>
Gepraſſel, als ob ein tauſendzackiges Blitzbündel aus den ver¬<lb/>
derbendrohenden Wolken auf einen Schlag zernichtend in die<lb/>
Grundpfeiler der Berge hineingefahren wäre und das Innerſte der<lb/>
Gebirge zerſprengt und zertrümmert hätte. Die Steinbergerfluh,<lb/>
eine Felſenmaſſe von mehren Millionen Kubikklaftern, ſammt allem<lb/>
darauf ſtehenden Hochwald und die darunter terraſſirt ſich nieder¬<lb/>ſenkende, mehr als hundert Fuß hohe Nagelfluh-Wand des „Ge¬<lb/>
meinde-Märcht“ waren eingeſtürzt. Dies war das Signal zu<lb/>
einem allgemeinen Zerſtörungsakt; denn nun begann ein Schau¬<lb/>ſpiel, welchem an furchtbarer Großartigkeit kaum eine andere Er¬<lb/>ſcheinung zu vergleichen iſt. In wildeſter Auflöſung jagten Felſen¬<lb/>
blöcke und Steinſplitter, Erdſchlamm und Raſenfetzen, Geſträuch¬<lb/>
knäuel und Baumſchäfte, Alles in bald hoch aufwirbelnde, bald<lb/></p></div></body></text></TEI>
[55/0075]
Der Goldauer Bergſturz.
Fallen auch auf den Raſenboden über; es ſah aus, als ob rieſige
Schärmäuſe denſelben unterwühlten. Zugleich begann ein leiſe
anhebendes Gleiten und Hinabrutſchen der ganzen oberen Gegend,
das immer erkennbarer und eilender wurde. Die Tannenwälder
ſträubten ſich der raſchen Bewegung zu folgen und erſchienen, —
nach Ausſage der Leute, welche das ganze furchtbare Phänomen
vom Anfang bis zu Ende in bangſter Aufmerkſamkeit mit anſahen,
— etwa ſo, als wenn man Haare wider ihre natürliche Wuchs-
und Wurzellage kämmt.
In immer geſteigerteren Progreſſionen nahm die angſterfüllende
Erſcheinung zu; in immer weiteren Kreiſen, in immer ausgedehn¬
terem Umfange wurden angränzende Matten und Wiesgelände,
Obſtbaumgärten und Hofſtatten ſammt Stallungen, Menſchen und
Vieh mit in die ungeheuerliche Bewegung hineingezogen. Das
Volk, welches den Grund und Boden, auf dem es geboren und
groß geworden war, unter ſeinen Füßen weichen fühlte, ſchreckte
entſetzt auf und flüchtete, ſeine Heimath zu verlaſſen. Da —
Donner und Knall! als ob die Urfundamente der Erdrinde zer¬
borſten wären, ein raſſelnd-ſchmetterndes Krachen, ein knatterndes
Gepraſſel, als ob ein tauſendzackiges Blitzbündel aus den ver¬
derbendrohenden Wolken auf einen Schlag zernichtend in die
Grundpfeiler der Berge hineingefahren wäre und das Innerſte der
Gebirge zerſprengt und zertrümmert hätte. Die Steinbergerfluh,
eine Felſenmaſſe von mehren Millionen Kubikklaftern, ſammt allem
darauf ſtehenden Hochwald und die darunter terraſſirt ſich nieder¬
ſenkende, mehr als hundert Fuß hohe Nagelfluh-Wand des „Ge¬
meinde-Märcht“ waren eingeſtürzt. Dies war das Signal zu
einem allgemeinen Zerſtörungsakt; denn nun begann ein Schau¬
ſpiel, welchem an furchtbarer Großartigkeit kaum eine andere Er¬
ſcheinung zu vergleichen iſt. In wildeſter Auflöſung jagten Felſen¬
blöcke und Steinſplitter, Erdſchlamm und Raſenfetzen, Geſträuch¬
knäuel und Baumſchäfte, Alles in bald hoch aufwirbelnde, bald
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/75>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.