Schlägen, und ein still geschäftiges Treiben arbeitet, kaum erkenn¬ bar aber stetig, im Dienste des großen wunderbaren Naturhaus¬ haltes, um die diesem Theile gewordene Aufgabe zu erfüllen und zur Erhaltung des Ganzen beizutragen. Hier also werden wir das Analogon nicht zu suchen haben. Und in der That, es giebt noch ödere, noch weit abgestorbenere Gegenden im Gebirge als die Schneewüsten, -- große, weit ausgedehnte Strecken in unbetrete¬ nen Wildnissen, die, von jeder Vegetation entblößt, in ewig starrer Resignation daliegen; dies sind die Schratten- oder Karrenfelder, von den Romanen "Lapiaz" genannt.
Droben im Gebirge, seitwärts der begangenen Pässe und be¬ lebten Alpweiden, im Gebiet der Kalkzone bei einer Höhe von 4000 bis 6000 Fuß, liegen kahle, nackte Steinflächen, oft stunden¬ lang, fast horizontal ausgebreitet, die so zerfurcht und von tief ausgewaschenen Hohlkehlen durchkreuzt sind, daß sie aussehen, als ob ein wogendes Meer mit seinen Wellenhügeln plötzlich hier ver¬ steinert wäre und ein unentwirrbares Netz aufgegipfelter Wogen zurückgelassen hätte. Mitunter sind sie so schreckhaft zerklüftet und von klaftertiefen Rinnsalen ausgefressen, daß es unter allen Umständen unmöglich ist, über dieselben hinweg, sei es im Sprung, durch Klettern oder im Balancirschritt, einen Weg ausfindig zu ma¬ chen. Denn die zwischen diesen Vertiefungen stehen gebliebenen Gesteinsreste laufen wie schmale Dämme, scharf, wie die Schneide eines Messers, nebeneinander her, brechen plötzlich ab und werden von breiten Querkanälen durchschnitten; bald wieder sehen sie aus wie Kämme, deren einzelne Zinken in den verschiedensten Höhen abgebrochen sind, eine wie von riesigen Instrumenten nach allen Richtungen zerhackte, hohlgeschabte, durchsägte, ausgemeißelte Fläche, ein steinernes Splitter- und Zacken-Meer voll der bizarrsten For¬ men, die nicht selten an die Gletschernadeln erinnern. Dazwischen tiefen sich Löcher ab, trichterförmig, ähnlich den Kratern der Vul¬ kane, oder sie versinken wie schief ins Innere sich verlierende Ka¬
Karrenfelder.
Schlägen, und ein ſtill geſchäftiges Treiben arbeitet, kaum erkenn¬ bar aber ſtetig, im Dienſte des großen wunderbaren Naturhaus¬ haltes, um die dieſem Theile gewordene Aufgabe zu erfüllen und zur Erhaltung des Ganzen beizutragen. Hier alſo werden wir das Analogon nicht zu ſuchen haben. Und in der That, es giebt noch ödere, noch weit abgeſtorbenere Gegenden im Gebirge als die Schneewüſten, — große, weit ausgedehnte Strecken in unbetrete¬ nen Wildniſſen, die, von jeder Vegetation entblößt, in ewig ſtarrer Reſignation daliegen; dies ſind die Schratten- oder Karrenfelder, von den Romanen „Lapiaz“ genannt.
Droben im Gebirge, ſeitwärts der begangenen Päſſe und be¬ lebten Alpweiden, im Gebiet der Kalkzone bei einer Höhe von 4000 bis 6000 Fuß, liegen kahle, nackte Steinflächen, oft ſtunden¬ lang, faſt horizontal ausgebreitet, die ſo zerfurcht und von tief ausgewaſchenen Hohlkehlen durchkreuzt ſind, daß ſie ausſehen, als ob ein wogendes Meer mit ſeinen Wellenhügeln plötzlich hier ver¬ ſteinert wäre und ein unentwirrbares Netz aufgegipfelter Wogen zurückgelaſſen hätte. Mitunter ſind ſie ſo ſchreckhaft zerklüftet und von klaftertiefen Rinnſalen ausgefreſſen, daß es unter allen Umſtänden unmöglich iſt, über dieſelben hinweg, ſei es im Sprung, durch Klettern oder im Balancirſchritt, einen Weg ausfindig zu ma¬ chen. Denn die zwiſchen dieſen Vertiefungen ſtehen gebliebenen Geſteinsreſte laufen wie ſchmale Dämme, ſcharf, wie die Schneide eines Meſſers, nebeneinander her, brechen plötzlich ab und werden von breiten Querkanälen durchſchnitten; bald wieder ſehen ſie aus wie Kämme, deren einzelne Zinken in den verſchiedenſten Höhen abgebrochen ſind, eine wie von rieſigen Inſtrumenten nach allen Richtungen zerhackte, hohlgeſchabte, durchſägte, ausgemeißelte Fläche, ein ſteinernes Splitter- und Zacken-Meer voll der bizarrſten For¬ men, die nicht ſelten an die Gletſchernadeln erinnern. Dazwiſchen tiefen ſich Löcher ab, trichterförmig, ähnlich den Kratern der Vul¬ kane, oder ſie verſinken wie ſchief ins Innere ſich verlierende Ka¬
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Karrenfelder.
Schlägen, und ein ſtill geſchäftiges Treiben arbeitet, kaum erkenn¬
bar aber ſtetig, im Dienſte des großen wunderbaren Naturhaus¬
haltes, um die dieſem Theile gewordene Aufgabe zu erfüllen und
zur Erhaltung des Ganzen beizutragen. Hier alſo werden wir das
Analogon nicht zu ſuchen haben. Und in der That, es giebt noch
ödere, noch weit abgeſtorbenere Gegenden im Gebirge als die
Schneewüſten, — große, weit ausgedehnte Strecken in unbetrete¬
nen Wildniſſen, die, von jeder Vegetation entblößt, in ewig ſtarrer
Reſignation daliegen; dies ſind die Schratten- oder Karrenfelder,
von den Romanen „Lapiaz“ genannt.
Droben im Gebirge, ſeitwärts der begangenen Päſſe und be¬
lebten Alpweiden, im Gebiet der Kalkzone bei einer Höhe von
4000 bis 6000 Fuß, liegen kahle, nackte Steinflächen, oft ſtunden¬
lang, faſt horizontal ausgebreitet, die ſo zerfurcht und von tief
ausgewaſchenen Hohlkehlen durchkreuzt ſind, daß ſie ausſehen, als
ob ein wogendes Meer mit ſeinen Wellenhügeln plötzlich hier ver¬
ſteinert wäre und ein unentwirrbares Netz aufgegipfelter Wogen
zurückgelaſſen hätte. Mitunter ſind ſie ſo ſchreckhaft zerklüftet
und von klaftertiefen Rinnſalen ausgefreſſen, daß es unter allen
Umſtänden unmöglich iſt, über dieſelben hinweg, ſei es im Sprung,
durch Klettern oder im Balancirſchritt, einen Weg ausfindig zu ma¬
chen. Denn die zwiſchen dieſen Vertiefungen ſtehen gebliebenen
Geſteinsreſte laufen wie ſchmale Dämme, ſcharf, wie die Schneide
eines Meſſers, nebeneinander her, brechen plötzlich ab und werden
von breiten Querkanälen durchſchnitten; bald wieder ſehen ſie aus
wie Kämme, deren einzelne Zinken in den verſchiedenſten Höhen
abgebrochen ſind, eine wie von rieſigen Inſtrumenten nach allen
Richtungen zerhackte, hohlgeſchabte, durchſägte, ausgemeißelte Fläche,
ein ſteinernes Splitter- und Zacken-Meer voll der bizarrſten For¬
men, die nicht ſelten an die Gletſchernadeln erinnern. Dazwiſchen
tiefen ſich Löcher ab, trichterförmig, ähnlich den Kratern der Vul¬
kane, oder ſie verſinken wie ſchief ins Innere ſich verlierende Ka¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/52>, abgerufen am 16.07.2024.
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