fürchterlicher Ruhe so dicht herankommen, daß fast die Mündung der Rohre in den weit aufgerissenen Rachen der Bestie reicht. -- Ein Druck, -- der erste Schuß versagt, -- der zweite knallt, und die Kugel jagt durch das Gehirn, daß das Raubthier mit schwerem Fall zusammenstürzt. Da leidets den Bub nicht mehr; im Nu hat er am jähen Abhang den Vater umklettert und hämmert mit verkehrter Büchse auf den Schädel des röchelnden Feindes ein, daß diesem der letzte Lebensfunken entflieht. -- Colani ist schon lange gestorben, aber der 12jährige Bub ist jetzt ein muthiger Gemsjäger und im Sommer Führer zu dem Gipfel des Piz Languard.
Das neueste und putzigste Bären-Abenteuer ereignete sich am 18. August 1860 Mittags auf dem Buffalora-Paß. Ein Bergamas¬ ker Schaafhirt, dem einige Schaafe todt gefallen waren, hatte den¬ selben das Fell abgezogen, das noch brauchbare Fleisch ausgeschnit¬ ten und Alles auf sein Pferd geladen, um es in seine Hütte zu bringen. Nicht an die mindeste Gefahr denkend, reitet er, nach Bergamasker Art seitwärts sitzend, die Straße, als er plötzlich zwei jungen Bärchen begegnet, deren eines, von dem ungewohnten An¬ blick erschreckt, laut zu blöken anfängt. Die Bärenmutter im Wahn, es begegne ihren Kindern etwas Böses, stürzt aus dem Walde hervor und greift Roß und Reiter wüthend an. Der Hirt springt ab und überläßt, um sich zu retten, seinen Gaul dem Zufall. Dieser, muthiger als sein Herr, schlägt mit den Hinterhufen so kräftig aus, daß die Bärin, von den gepfefferten Ohrfeigen be¬ täubt, einigemal zurücktaumelt, immer aber sich wieder erholt und aufs Neue ihre Angriffe fortsetzt. Durch die excessiven Bewegun¬ gen des Pferdes ist der braune grobe Wollentuchmantel des Hirten, mit dem die Fleisch- und Fell-Ladung überdeckt war, locker ge¬ worden und fällt bei einem neuen Sturm der vor Raserei blind tobenden Bärin über den Kopf. Diese im Wahn, ein Feind um¬ nachte sie also, läßt nun das Pferd in Ruhe und begiebt sich mit ihren Jungen daran, den Mantel in Millionen Fetzen zu zerreißen,
Auf der Jagd.
fürchterlicher Ruhe ſo dicht herankommen, daß faſt die Mündung der Rohre in den weit aufgeriſſenen Rachen der Beſtie reicht. — Ein Druck, — der erſte Schuß verſagt, — der zweite knallt, und die Kugel jagt durch das Gehirn, daß das Raubthier mit ſchwerem Fall zuſammenſtürzt. Da leidets den Bub nicht mehr; im Nu hat er am jähen Abhang den Vater umklettert und hämmert mit verkehrter Büchſe auf den Schädel des röchelnden Feindes ein, daß dieſem der letzte Lebensfunken entflieht. — Colani iſt ſchon lange geſtorben, aber der 12jährige Bub iſt jetzt ein muthiger Gemsjäger und im Sommer Führer zu dem Gipfel des Piz Languard.
Das neueſte und putzigſte Bären-Abenteuer ereignete ſich am 18. Auguſt 1860 Mittags auf dem Buffalora-Paß. Ein Bergamas¬ ker Schaafhirt, dem einige Schaafe todt gefallen waren, hatte den¬ ſelben das Fell abgezogen, das noch brauchbare Fleiſch ausgeſchnit¬ ten und Alles auf ſein Pferd geladen, um es in ſeine Hütte zu bringen. Nicht an die mindeſte Gefahr denkend, reitet er, nach Bergamasker Art ſeitwärts ſitzend, die Straße, als er plötzlich zwei jungen Bärchen begegnet, deren eines, von dem ungewohnten An¬ blick erſchreckt, laut zu blöken anfängt. Die Bärenmutter im Wahn, es begegne ihren Kindern etwas Böſes, ſtürzt aus dem Walde hervor und greift Roß und Reiter wüthend an. Der Hirt ſpringt ab und überläßt, um ſich zu retten, ſeinen Gaul dem Zufall. Dieſer, muthiger als ſein Herr, ſchlägt mit den Hinterhufen ſo kräftig aus, daß die Bärin, von den gepfefferten Ohrfeigen be¬ täubt, einigemal zurücktaumelt, immer aber ſich wieder erholt und aufs Neue ihre Angriffe fortſetzt. Durch die exceſſiven Bewegun¬ gen des Pferdes iſt der braune grobe Wollentuchmantel des Hirten, mit dem die Fleiſch- und Fell-Ladung überdeckt war, locker ge¬ worden und fällt bei einem neuen Sturm der vor Raſerei blind tobenden Bärin über den Kopf. Dieſe im Wahn, ein Feind um¬ nachte ſie alſo, läßt nun das Pferd in Ruhe und begiebt ſich mit ihren Jungen daran, den Mantel in Millionen Fetzen zu zerreißen,
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Auf der Jagd.
fürchterlicher Ruhe ſo dicht herankommen, daß faſt die Mündung
der Rohre in den weit aufgeriſſenen Rachen der Beſtie reicht. —
Ein Druck, — der erſte Schuß verſagt, — der zweite knallt, und
die Kugel jagt durch das Gehirn, daß das Raubthier mit ſchwerem
Fall zuſammenſtürzt. Da leidets den Bub nicht mehr; im Nu
hat er am jähen Abhang den Vater umklettert und hämmert mit
verkehrter Büchſe auf den Schädel des röchelnden Feindes ein, daß
dieſem der letzte Lebensfunken entflieht. — Colani iſt ſchon lange
geſtorben, aber der 12jährige Bub iſt jetzt ein muthiger Gemsjäger
und im Sommer Führer zu dem Gipfel des Piz Languard.
Das neueſte und putzigſte Bären-Abenteuer ereignete ſich am
18. Auguſt 1860 Mittags auf dem Buffalora-Paß. Ein Bergamas¬
ker Schaafhirt, dem einige Schaafe todt gefallen waren, hatte den¬
ſelben das Fell abgezogen, das noch brauchbare Fleiſch ausgeſchnit¬
ten und Alles auf ſein Pferd geladen, um es in ſeine Hütte zu
bringen. Nicht an die mindeſte Gefahr denkend, reitet er, nach
Bergamasker Art ſeitwärts ſitzend, die Straße, als er plötzlich zwei
jungen Bärchen begegnet, deren eines, von dem ungewohnten An¬
blick erſchreckt, laut zu blöken anfängt. Die Bärenmutter im Wahn,
es begegne ihren Kindern etwas Böſes, ſtürzt aus dem Walde
hervor und greift Roß und Reiter wüthend an. Der Hirt ſpringt
ab und überläßt, um ſich zu retten, ſeinen Gaul dem Zufall.
Dieſer, muthiger als ſein Herr, ſchlägt mit den Hinterhufen ſo
kräftig aus, daß die Bärin, von den gepfefferten Ohrfeigen be¬
täubt, einigemal zurücktaumelt, immer aber ſich wieder erholt und
aufs Neue ihre Angriffe fortſetzt. Durch die exceſſiven Bewegun¬
gen des Pferdes iſt der braune grobe Wollentuchmantel des Hirten,
mit dem die Fleiſch- und Fell-Ladung überdeckt war, locker ge¬
worden und fällt bei einem neuen Sturm der vor Raſerei blind
tobenden Bärin über den Kopf. Dieſe im Wahn, ein Feind um¬
nachte ſie alſo, läßt nun das Pferd in Ruhe und begiebt ſich mit
ihren Jungen daran, den Mantel in Millionen Fetzen zu zerreißen,
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/469>, abgerufen am 16.02.2025.
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