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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Holzschläger und Flößer .
daß einer dem andern immer weit über die Wipfelkrone hinweg¬
schaut. Dann aber giebts da drin in den Winkelmysterien der
großen Gebirgsfalten isolirte Kegel, rings von Abgründen um¬
geben, die prächtige Wälderkapuzen auf ihren Felsenschädeln tragen.
Wie eine Gruppe von Baumschildwachen oder wie die kleine,
muthige Besatzung einer Festung stehen sie da droben unantastbar,
weil Niemand, so lange es noch bequemer zu fällendes Holz gab,
auf den übermüthigen Gedanken kam, die Exclusiven da droben
anzugreifen. Freilich modert, wie im Bannwalde, manch blitzzer¬
spälter Urstamm auf diesem Scheitel, mancher ästeloser Schaft leuch¬
tet wie ein Ruinen-Splitter silberfarben aus dem Dunkel hervor,
indessen die Nachkommenschaft frisch und stark, eine neue Generation,
die Alten überholt. -- Jetzt, wo in den Vorbergen Alles schon
unter dem Beil der Holzknechte gefallen ist, wird dieses bisher
wenig geachtete Reserve-Kapital auch angegriffen. Die Wälder¬
spekulanten bieten, und mit dem Handschlag, mit der Namens-
Unterschrift des Podestat, mit der Aufzählung der blanken baaren
Kaufsumme, sind alle die verwegenen Trutzbäume zu Todeskandida¬
ten gestempelt, und übers Jahr grinst eine kahle Felsenglatze in
die Einsamkeit hernieder.

Solch einen versteckten Wäldertompler haben die Bauern von
Cremaglia soeben verkauft und freuen sich des Geschäftes. Denn
sie selbst als Korporation hätten all ihr Lebtag das Holz aus den
verborgenen Winkeln nicht hervorgeholt; dazu gehört ein fester
spekulativer Wille, dazu sind kostspielige Vorkehrungen, Ausbeu¬
tungsbauten und disponible Kapitalien nöthig; -- und an alle
dem fehlts dem Sign. Gianella nicht. -- Heute kreist noch der
Boccale in lärmender Gesellschaft, heute freut sich noch Jeder des
Lebens. Morgen beginnt die Gefahr-drohende Arbeit; wer weiß,
ob er den letzten Stamm fallen sieht, -- ob er nicht früher selbst
mit zerschellten Gebeinen am Fuße der Felsenwand ruht.

Der Ticinese (Bewohner des Kanton Tessin) ist ganz ein

Holzſchläger und Flößer .
daß einer dem andern immer weit über die Wipfelkrone hinweg¬
ſchaut. Dann aber giebts da drin in den Winkelmyſterien der
großen Gebirgsfalten iſolirte Kegel, rings von Abgründen um¬
geben, die prächtige Wälderkapuzen auf ihren Felſenſchädeln tragen.
Wie eine Gruppe von Baumſchildwachen oder wie die kleine,
muthige Beſatzung einer Feſtung ſtehen ſie da droben unantaſtbar,
weil Niemand, ſo lange es noch bequemer zu fällendes Holz gab,
auf den übermüthigen Gedanken kam, die Excluſiven da droben
anzugreifen. Freilich modert, wie im Bannwalde, manch blitzzer¬
ſpälter Urſtamm auf dieſem Scheitel, mancher äſteloſer Schaft leuch¬
tet wie ein Ruinen-Splitter ſilberfarben aus dem Dunkel hervor,
indeſſen die Nachkommenſchaft friſch und ſtark, eine neue Generation,
die Alten überholt. — Jetzt, wo in den Vorbergen Alles ſchon
unter dem Beil der Holzknechte gefallen iſt, wird dieſes bisher
wenig geachtete Reſerve-Kapital auch angegriffen. Die Wälder¬
ſpekulanten bieten, und mit dem Handſchlag, mit der Namens-
Unterſchrift des Podestat, mit der Aufzählung der blanken baaren
Kaufſumme, ſind alle die verwegenen Trutzbäume zu Todeskandida¬
ten geſtempelt, und übers Jahr grinſt eine kahle Felſenglatze in
die Einſamkeit hernieder.

Solch einen verſteckten Wäldertompler haben die Bauern von
Cremaglia ſoeben verkauft und freuen ſich des Geſchäftes. Denn
ſie ſelbſt als Korporation hätten all ihr Lebtag das Holz aus den
verborgenen Winkeln nicht hervorgeholt; dazu gehört ein feſter
ſpekulativer Wille, dazu ſind koſtſpielige Vorkehrungen, Ausbeu¬
tungsbauten und disponible Kapitalien nöthig; — und an alle
dem fehlts dem Sign. Gianella nicht. — Heute kreiſt noch der
Boccale in lärmender Geſellſchaft, heute freut ſich noch Jeder des
Lebens. Morgen beginnt die Gefahr-drohende Arbeit; wer weiß,
ob er den letzten Stamm fallen ſieht, — ob er nicht früher ſelbſt
mit zerſchellten Gebeinen am Fuße der Felſenwand ruht.

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[400/0446] Holzſchläger und Flößer . daß einer dem andern immer weit über die Wipfelkrone hinweg¬ ſchaut. Dann aber giebts da drin in den Winkelmyſterien der großen Gebirgsfalten iſolirte Kegel, rings von Abgründen um¬ geben, die prächtige Wälderkapuzen auf ihren Felſenſchädeln tragen. Wie eine Gruppe von Baumſchildwachen oder wie die kleine, muthige Beſatzung einer Feſtung ſtehen ſie da droben unantaſtbar, weil Niemand, ſo lange es noch bequemer zu fällendes Holz gab, auf den übermüthigen Gedanken kam, die Excluſiven da droben anzugreifen. Freilich modert, wie im Bannwalde, manch blitzzer¬ ſpälter Urſtamm auf dieſem Scheitel, mancher äſteloſer Schaft leuch¬ tet wie ein Ruinen-Splitter ſilberfarben aus dem Dunkel hervor, indeſſen die Nachkommenſchaft friſch und ſtark, eine neue Generation, die Alten überholt. — Jetzt, wo in den Vorbergen Alles ſchon unter dem Beil der Holzknechte gefallen iſt, wird dieſes bisher wenig geachtete Reſerve-Kapital auch angegriffen. Die Wälder¬ ſpekulanten bieten, und mit dem Handſchlag, mit der Namens- Unterſchrift des Podestat, mit der Aufzählung der blanken baaren Kaufſumme, ſind alle die verwegenen Trutzbäume zu Todeskandida¬ ten geſtempelt, und übers Jahr grinſt eine kahle Felſenglatze in die Einſamkeit hernieder. Solch einen verſteckten Wäldertompler haben die Bauern von Cremaglia ſoeben verkauft und freuen ſich des Geſchäftes. Denn ſie ſelbſt als Korporation hätten all ihr Lebtag das Holz aus den verborgenen Winkeln nicht hervorgeholt; dazu gehört ein feſter ſpekulativer Wille, dazu ſind koſtſpielige Vorkehrungen, Ausbeu¬ tungsbauten und disponible Kapitalien nöthig; — und an alle dem fehlts dem Sign. Gianella nicht. — Heute kreiſt noch der Boccale in lärmender Geſellſchaft, heute freut ſich noch Jeder des Lebens. Morgen beginnt die Gefahr-drohende Arbeit; wer weiß, ob er den letzten Stamm fallen ſieht, — ob er nicht früher ſelbſt mit zerſchellten Gebeinen am Fuße der Felſenwand ruht. Der Ticineſe (Bewohner des Kanton Teſſin) iſt ganz ein

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/446>, abgerufen am 25.11.2024.