Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Geißbub . herrscher in dem von ihm betriebenen Gebiete. Gehen wir hinaufauf die Hochalp in die Steinriesete oder in die Gocht, wo der Geißer haust! Er, der vorhin uns mit einem elektrischen "Juchz¬ ger", wie man ihn weit und breit in den Bergen nicht mehr hört, bewillkommnete, hält uns nun, wo wir ihm näher kommen, keines Grußes werth. Keck schaut er uns ins Gesicht, als ob er fragen wollte: "Und nun?" Es liegt etwas Herausforderndes in dem messenden Blicke, und dabei spielt ein verschlagenes Lächeln, wie fernes Wetterleuchten, um die Mundwinkel. Nun gut! grüßen wir ihn zuerst und richten wir irgend eine Frage an ihn. Die seinem Ohre fremden Laute müssen ihm unendlich komisch klingen, denn das Lächeln nimmt einen leicht höhnenden Ausdruck an; es zuckt über die Stirn, als ob er sagen möchte: "Ach! Ihr Mode- Mannli, was wollt auch Ihr da in meinem Revier?" Nöthigen wir ihn endlich zu einer Antwort, so fragt es sich noch sehr, obs nicht eine ziemlich abweisende, wenn nicht gar trotzige ist. Er be¬ trachtet es eben als absolut überflüssiges Unternehmen, da in die Wildniß zu ihm herauf zu steigen, und man darf es solchen in dieser Einöde aufgewachsenen, fern von allem geselligen Umgange abgeschnittenen, urnatürlich-entwickelten Knaben nicht verübeln, wenn Mißtrauen gegen fremde Leute in ihm wohnt. Eine Ausnahme davon machen die Appenzeller Buben; das Bedürfniß, in einem derben, ungesuchten Witze ihren Anschauungen und plötzlichen Launen Luft zu machen, der im ganzen Volke tiefwurzelnde Hang zur Spöttelei, tritt bei diesen Buben schon drastisch zu Tage, und es bedarf eines recht gemüthlichen, durchaus nicht empfindlichen Eingehens auf den angeschlagenen Ton, um sie zu einiger Vertrau¬ lichkeit zu bewegen. Hat man dies Ziel erreicht, dann ist solch ein Knabe aber mitunter auch ein wahrer Goldkerl voll frischer, urwüchsi¬ ger Gedanken, wie eine flott gewurzelte a la prima-Skizze eines genia¬ len Malers. Aug. Corrodi schwärmt (in seinen genialen Alpenbrie¬ fen) mit Recht für den Hanbischli (Johann Baptist) auf der Ebenalp. Der Geißbub . herrſcher in dem von ihm betriebenen Gebiete. Gehen wir hinaufauf die Hochalp in die Steinrieſete oder in die Gocht, wo der Geißer hauſt! Er, der vorhin uns mit einem elektriſchen „Juchz¬ ger“, wie man ihn weit und breit in den Bergen nicht mehr hört, bewillkommnete, hält uns nun, wo wir ihm näher kommen, keines Grußes werth. Keck ſchaut er uns ins Geſicht, als ob er fragen wollte: „Und nun?“ Es liegt etwas Herausforderndes in dem meſſenden Blicke, und dabei ſpielt ein verſchlagenes Lächeln, wie fernes Wetterleuchten, um die Mundwinkel. Nun gut! grüßen wir ihn zuerſt und richten wir irgend eine Frage an ihn. Die ſeinem Ohre fremden Laute müſſen ihm unendlich komiſch klingen, denn das Lächeln nimmt einen leicht höhnenden Ausdruck an; es zuckt über die Stirn, als ob er ſagen möchte: „Ach! Ihr Mode- Mannli, was wollt auch Ihr da in meinem Revier?“ Nöthigen wir ihn endlich zu einer Antwort, ſo fragt es ſich noch ſehr, obs nicht eine ziemlich abweiſende, wenn nicht gar trotzige iſt. Er be¬ trachtet es eben als abſolut überflüſſiges Unternehmen, da in die Wildniß zu ihm herauf zu ſteigen, und man darf es ſolchen in dieſer Einöde aufgewachſenen, fern von allem geſelligen Umgange abgeſchnittenen, urnatürlich-entwickelten Knaben nicht verübeln, wenn Mißtrauen gegen fremde Leute in ihm wohnt. Eine Ausnahme davon machen die Appenzeller Buben; das Bedürfniß, in einem derben, ungeſuchten Witze ihren Anſchauungen und plötzlichen Launen Luft zu machen, der im ganzen Volke tiefwurzelnde Hang zur Spöttelei, tritt bei dieſen Buben ſchon draſtiſch zu Tage, und es bedarf eines recht gemüthlichen, durchaus nicht empfindlichen Eingehens auf den angeſchlagenen Ton, um ſie zu einiger Vertrau¬ lichkeit zu bewegen. Hat man dies Ziel erreicht, dann iſt ſolch ein Knabe aber mitunter auch ein wahrer Goldkerl voll friſcher, urwüchſi¬ ger Gedanken, wie eine flott gewurzelte a la prima-Skizze eines genia¬ len Malers. Aug. Corrodi ſchwärmt (in ſeinen genialen Alpenbrie¬ fen) mit Recht für den Hanbiſchli (Johann Baptiſt) auf der Ebenalp. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0405" n="365"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Geißbub</hi><hi rendition="#g">.</hi><lb/></fw> herrſcher in dem von ihm betriebenen Gebiete. 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Ihr Mode-<lb/> Mannli, was wollt auch Ihr da in meinem Revier?“ Nöthigen<lb/> wir ihn endlich zu einer Antwort, ſo fragt es ſich noch ſehr, obs<lb/> nicht eine ziemlich abweiſende, wenn nicht gar trotzige iſt. Er be¬<lb/> trachtet es eben als abſolut überflüſſiges Unternehmen, da in die<lb/> Wildniß zu ihm herauf zu ſteigen, und man darf es ſolchen in<lb/> dieſer Einöde aufgewachſenen, fern von allem geſelligen Umgange<lb/> abgeſchnittenen, urnatürlich-entwickelten Knaben nicht verübeln, wenn<lb/> Mißtrauen gegen fremde Leute in ihm wohnt. Eine Ausnahme<lb/> davon machen die Appenzeller Buben; das Bedürfniß, in einem<lb/> derben, ungeſuchten Witze ihren Anſchauungen und plötzlichen<lb/> Launen Luft zu machen, der im ganzen Volke tiefwurzelnde Hang<lb/> zur Spöttelei, tritt bei dieſen Buben ſchon draſtiſch zu Tage, und<lb/> es bedarf eines recht gemüthlichen, durchaus nicht empfindlichen<lb/> Eingehens auf den angeſchlagenen Ton, um ſie zu einiger Vertrau¬<lb/> lichkeit zu bewegen. 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Der Geißbub .
herrſcher in dem von ihm betriebenen Gebiete. Gehen wir hinauf
auf die Hochalp in die Steinrieſete oder in die Gocht, wo der
Geißer hauſt! Er, der vorhin uns mit einem elektriſchen „Juchz¬
ger“, wie man ihn weit und breit in den Bergen nicht mehr hört,
bewillkommnete, hält uns nun, wo wir ihm näher kommen, keines
Grußes werth. Keck ſchaut er uns ins Geſicht, als ob er fragen
wollte: „Und nun?“ Es liegt etwas Herausforderndes in dem
meſſenden Blicke, und dabei ſpielt ein verſchlagenes Lächeln, wie
fernes Wetterleuchten, um die Mundwinkel. Nun gut! grüßen wir
ihn zuerſt und richten wir irgend eine Frage an ihn. Die ſeinem
Ohre fremden Laute müſſen ihm unendlich komiſch klingen, denn
das Lächeln nimmt einen leicht höhnenden Ausdruck an; es zuckt
über die Stirn, als ob er ſagen möchte: „Ach! Ihr Mode-
Mannli, was wollt auch Ihr da in meinem Revier?“ Nöthigen
wir ihn endlich zu einer Antwort, ſo fragt es ſich noch ſehr, obs
nicht eine ziemlich abweiſende, wenn nicht gar trotzige iſt. Er be¬
trachtet es eben als abſolut überflüſſiges Unternehmen, da in die
Wildniß zu ihm herauf zu ſteigen, und man darf es ſolchen in
dieſer Einöde aufgewachſenen, fern von allem geſelligen Umgange
abgeſchnittenen, urnatürlich-entwickelten Knaben nicht verübeln, wenn
Mißtrauen gegen fremde Leute in ihm wohnt. Eine Ausnahme
davon machen die Appenzeller Buben; das Bedürfniß, in einem
derben, ungeſuchten Witze ihren Anſchauungen und plötzlichen
Launen Luft zu machen, der im ganzen Volke tiefwurzelnde Hang
zur Spöttelei, tritt bei dieſen Buben ſchon draſtiſch zu Tage, und
es bedarf eines recht gemüthlichen, durchaus nicht empfindlichen
Eingehens auf den angeſchlagenen Ton, um ſie zu einiger Vertrau¬
lichkeit zu bewegen. Hat man dies Ziel erreicht, dann iſt ſolch ein
Knabe aber mitunter auch ein wahrer Goldkerl voll friſcher, urwüchſi¬
ger Gedanken, wie eine flott gewurzelte a la prima-Skizze eines genia¬
len Malers. Aug. Corrodi ſchwärmt (in ſeinen genialen Alpenbrie¬
fen) mit Recht für den Hanbiſchli (Johann Baptiſt) auf der Ebenalp.
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