Weiden getrieben werden; kein Graben und Zaun, selbst keine Schlucht würde die eifersüchtig aufeinander werdenden "Muni" von einem Zweikampfe abhalten, der in der Regel mit einem Ver¬ luste endet. So wars im Sommer 1856 der Fall, daß auf den Almend-Weiden der Gemeinde Tamins (im Vorder-Rheinthal) zwei Herden auf dieselbe getrieben wurden und durch die Sorglosigkeit der Gaumer sich so näherten, daß beide gehörnten Großherren ein¬ ander ansichtig wurden. Unter tiefem Gebrüll, mit zum Angriff gesenkten Häuptern stürzten sie aufeinander los und der Stierkampf begann. Lautlos, erwartungsvoll sahen die Herden beider Parteien zu. Die herbeigeeilten Hirten wagten es nicht sich zwischen die wüthenden Thiere zu werfen, und das schöne, aber kostbare Schau¬ spiel endete damit, daß nicht nur der Besiegte in den Abgrund stürzte, sondern auch der Sieger im wuchtigen Anlauf sich nicht zu halten vermochte und seinem Feinde folgte. --
So entschiedene Abneigung der Senn gegen Reinlichkeit und Akkuratesse in seinem alpinen Hauswesen hat, so sehr besorgt ist er dennoch um das Gelingen seines Manufaktes, seines Milchproduk¬ tes. Ihm widmet er die größte Sorgfalt und Pflege, und wie der große Reben-Kultivateur und Wein-Producent den Kenner mit Wohlbehagen in seinen unterirdischen Räumen zwischen den Fässer- Alleen herumführt, so weiß sich der tüchtige Senn etwas auf seine Käse-Speicher einzubilden. Der arme Talpi, dem die Käse "ver¬ tschaaggen" d. h. mißrathen, verderben, bleibt Jahre lang Gegen¬ stand des Dorfgespöttes, und es giebt deren, die heutiges Tages noch von ihres Großvaters Zeiten her einen Spitznamen tragen müssen. Die Anerkennung, ein perfekter "Chäser" zu sein, ist, (wer sollte es glauben!) sogar von Einfluß bei Liebesverhältnissen; "s' Maitli" vermags nicht zu ertragen, wenn ihr Bub nicht als ein perfekter Senn gilt, und manche "Bröggleri" (d. h. Stolze) hat dar¬ um ihrem Liebesbewerber einen Korb gegeben, wenn er sonst schon wacker Batzen besaß. Es kann nicht auffallen, wenn man bedenkt,
Sennenleben in den Alpen.
Weiden getrieben werden; kein Graben und Zaun, ſelbſt keine Schlucht würde die eiferſüchtig aufeinander werdenden „Muni“ von einem Zweikampfe abhalten, der in der Regel mit einem Ver¬ luſte endet. So wars im Sommer 1856 der Fall, daß auf den Almend-Weiden der Gemeinde Tamins (im Vorder-Rheinthal) zwei Herden auf dieſelbe getrieben wurden und durch die Sorgloſigkeit der Gaumer ſich ſo näherten, daß beide gehörnten Großherren ein¬ ander anſichtig wurden. Unter tiefem Gebrüll, mit zum Angriff geſenkten Häuptern ſtürzten ſie aufeinander los und der Stierkampf begann. Lautlos, erwartungsvoll ſahen die Herden beider Parteien zu. Die herbeigeeilten Hirten wagten es nicht ſich zwiſchen die wüthenden Thiere zu werfen, und das ſchöne, aber koſtbare Schau¬ ſpiel endete damit, daß nicht nur der Beſiegte in den Abgrund ſtürzte, ſondern auch der Sieger im wuchtigen Anlauf ſich nicht zu halten vermochte und ſeinem Feinde folgte. —
So entſchiedene Abneigung der Senn gegen Reinlichkeit und Akkurateſſe in ſeinem alpinen Hausweſen hat, ſo ſehr beſorgt iſt er dennoch um das Gelingen ſeines Manufaktes, ſeines Milchproduk¬ tes. Ihm widmet er die größte Sorgfalt und Pflege, und wie der große Reben-Kultivateur und Wein-Producent den Kenner mit Wohlbehagen in ſeinen unterirdiſchen Räumen zwiſchen den Fäſſer- Alleen herumführt, ſo weiß ſich der tüchtige Senn etwas auf ſeine Käſe-Speicher einzubilden. Der arme Talpi, dem die Käſe „ver¬ tſchaaggen“ d. h. mißrathen, verderben, bleibt Jahre lang Gegen¬ ſtand des Dorfgeſpöttes, und es giebt deren, die heutiges Tages noch von ihres Großvaters Zeiten her einen Spitznamen tragen müſſen. Die Anerkennung, ein perfekter „Chäſer“ zu ſein, iſt, (wer ſollte es glauben!) ſogar von Einfluß bei Liebesverhältniſſen; „s' Maitli“ vermags nicht zu ertragen, wenn ihr Bub nicht als ein perfekter Senn gilt, und manche „Bröggleri“ (d. h. Stolze) hat dar¬ um ihrem Liebesbewerber einen Korb gegeben, wenn er ſonſt ſchon wacker Batzen beſaß. Es kann nicht auffallen, wenn man bedenkt,
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Sennenleben in den Alpen.
Weiden getrieben werden; kein Graben und Zaun, ſelbſt keine
Schlucht würde die eiferſüchtig aufeinander werdenden „Muni“
von einem Zweikampfe abhalten, der in der Regel mit einem Ver¬
luſte endet. So wars im Sommer 1856 der Fall, daß auf den
Almend-Weiden der Gemeinde Tamins (im Vorder-Rheinthal) zwei
Herden auf dieſelbe getrieben wurden und durch die Sorgloſigkeit
der Gaumer ſich ſo näherten, daß beide gehörnten Großherren ein¬
ander anſichtig wurden. Unter tiefem Gebrüll, mit zum Angriff
geſenkten Häuptern ſtürzten ſie aufeinander los und der Stierkampf
begann. Lautlos, erwartungsvoll ſahen die Herden beider Parteien
zu. Die herbeigeeilten Hirten wagten es nicht ſich zwiſchen die
wüthenden Thiere zu werfen, und das ſchöne, aber koſtbare Schau¬
ſpiel endete damit, daß nicht nur der Beſiegte in den Abgrund
ſtürzte, ſondern auch der Sieger im wuchtigen Anlauf ſich nicht zu
halten vermochte und ſeinem Feinde folgte. —
So entſchiedene Abneigung der Senn gegen Reinlichkeit und
Akkurateſſe in ſeinem alpinen Hausweſen hat, ſo ſehr beſorgt iſt er
dennoch um das Gelingen ſeines Manufaktes, ſeines Milchproduk¬
tes. Ihm widmet er die größte Sorgfalt und Pflege, und wie der
große Reben-Kultivateur und Wein-Producent den Kenner mit
Wohlbehagen in ſeinen unterirdiſchen Räumen zwiſchen den Fäſſer-
Alleen herumführt, ſo weiß ſich der tüchtige Senn etwas auf ſeine
Käſe-Speicher einzubilden. Der arme Talpi, dem die Käſe „ver¬
tſchaaggen“ d. h. mißrathen, verderben, bleibt Jahre lang Gegen¬
ſtand des Dorfgeſpöttes, und es giebt deren, die heutiges Tages
noch von ihres Großvaters Zeiten her einen Spitznamen tragen
müſſen. Die Anerkennung, ein perfekter „Chäſer“ zu ſein, iſt, (wer
ſollte es glauben!) ſogar von Einfluß bei Liebesverhältniſſen; „s'
Maitli“ vermags nicht zu ertragen, wenn ihr Bub nicht als ein
perfekter Senn gilt, und manche „Bröggleri“ (d. h. Stolze) hat dar¬
um ihrem Liebesbewerber einen Korb gegeben, wenn er ſonſt ſchon
wacker Batzen beſaß. Es kann nicht auffallen, wenn man bedenkt,
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/389>, abgerufen am 16.02.2025.
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