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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Sennenleben in den Alpen.
Jagdliebhaber ist, und in den katholischen Gebirgstheilen ist bei
strenggläubigen Bauern das Weihwasserkesseli mit dem "Nuster"
(Pater noster oder Rosenkranz) nicht vergessen, welches vielleicht
noch durch ein an das Brett-Getäfer geklebtes "Heiligen-Helgeli"
von Kloster Einsiedeln zur Erhöhung der häuslichen Andacht ver¬
mehrt wird. Alle übrigen in der Hütte vorkommenden Geräth¬
schaften gehören zur Butter- und Käse-Bereitung. Das Schlafgemach
ist sehr verschieden angebracht. Im Berner Oberlande, wo die
Sennhütte an ihrer Eingangsfront, eine Art kunstloser Vorhalle
in Form eines Peristylum hat, das "Mulchedach" oder der Melk¬
gang genannt (weil im Schutz desselben das Vieh bei schlechtem
Wetter gemolken wird), befindet sich das Ruhe-Lager oder "Gastere"
in diesem Dach-Vorbau; in anderen Gegenden wurde dasselbe über
den Schweinestall verlegt und heißt "Trileten." Welche Annehm¬
lichkeiten für diesen Fall aus der unmittelbarsten Nähe der unruhigen,
ewig-grunzenden Schlafkameraden und durch ihre penetranten
Ausdünstungen erwachsen, ist begreiflich. Uebrigens steht das Lager
selbst an Ursprünglichkeit seiner Einrichtung dem Charakter und der
Einfachheit der ganzen Hütte durchaus nicht nach; ein mit Wildheu
ausgestopfter Matrazzen-Sack, die ungestörte Heimath einer Legion
von springenden Blutsaugern, und eine Wollendecke oder, wie im
Wallis und Graubünden, eine aus Schaaffellen zusammengesetzte
Decke, bilden die ganze Ausrüstung der Schlafstätte. Ist nun
das Schindeldach nicht gut verwahrt, so begegnets, daß bei solidem,
kräftigem Regenwetter der Schläfer einem unfreiwilligen Tropfbade aus¬
gesetzt wird, -- oder wenn, wie vorher erwähnt, das flache Hüttendach
an einen erklimmbaren Felsenklotz anlehnt, so klettern die naseweisen,
nie rastenden Ziegen Nachts auf demselben herum und verursachen
solch einen unheimlichen Skandal, als ob der gehörnte Pferdefüßler
da droben sein ungeheuerlich Wesen triebe. So siehts in den "idyl¬
lischen, romantischen Sennhütten" aus, die im "letzten Fensterln" und
ähnlichen poetischen Produktionen auf der Bühne so reizend erscheinen.

Sennenleben in den Alpen.
Jagdliebhaber iſt, und in den katholiſchen Gebirgstheilen iſt bei
ſtrenggläubigen Bauern das Weihwaſſerkeſſeli mit dem „Nuſter“
(Pater noster oder Roſenkranz) nicht vergeſſen, welches vielleicht
noch durch ein an das Brett-Getäfer geklebtes „Heiligen-Helgeli“
von Kloſter Einſiedeln zur Erhöhung der häuslichen Andacht ver¬
mehrt wird. Alle übrigen in der Hütte vorkommenden Geräth¬
ſchaften gehören zur Butter- und Käſe-Bereitung. Das Schlafgemach
iſt ſehr verſchieden angebracht. Im Berner Oberlande, wo die
Sennhütte an ihrer Eingangsfront, eine Art kunſtloſer Vorhalle
in Form eines Peristylum hat, das „Mulchedach“ oder der Melk¬
gang genannt (weil im Schutz deſſelben das Vieh bei ſchlechtem
Wetter gemolken wird), befindet ſich das Ruhe-Lager oder „Gaſtere“
in dieſem Dach-Vorbau; in anderen Gegenden wurde daſſelbe über
den Schweineſtall verlegt und heißt „Trileten.“ Welche Annehm¬
lichkeiten für dieſen Fall aus der unmittelbarſten Nähe der unruhigen,
ewig-grunzenden Schlafkameraden und durch ihre penetranten
Ausdünſtungen erwachſen, iſt begreiflich. Uebrigens ſteht das Lager
ſelbſt an Urſprünglichkeit ſeiner Einrichtung dem Charakter und der
Einfachheit der ganzen Hütte durchaus nicht nach; ein mit Wildheu
ausgeſtopfter Matrazzen-Sack, die ungeſtörte Heimath einer Legion
von ſpringenden Blutſaugern, und eine Wollendecke oder, wie im
Wallis und Graubünden, eine aus Schaaffellen zuſammengeſetzte
Decke, bilden die ganze Ausrüſtung der Schlafſtätte. Iſt nun
das Schindeldach nicht gut verwahrt, ſo begegnets, daß bei ſolidem,
kräftigem Regenwetter der Schläfer einem unfreiwilligen Tropfbade aus¬
geſetzt wird, — oder wenn, wie vorher erwähnt, das flache Hüttendach
an einen erklimmbaren Felſenklotz anlehnt, ſo klettern die naſeweiſen,
nie raſtenden Ziegen Nachts auf demſelben herum und verurſachen
ſolch einen unheimlichen Skandal, als ob der gehörnte Pferdefüßler
da droben ſein ungeheuerlich Weſen triebe. So ſiehts in den „idyl¬
liſchen, romantiſchen Sennhütten“ aus, die im „letzten Fenſterln“ und
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[341/0379] Sennenleben in den Alpen. Jagdliebhaber iſt, und in den katholiſchen Gebirgstheilen iſt bei ſtrenggläubigen Bauern das Weihwaſſerkeſſeli mit dem „Nuſter“ (Pater noster oder Roſenkranz) nicht vergeſſen, welches vielleicht noch durch ein an das Brett-Getäfer geklebtes „Heiligen-Helgeli“ von Kloſter Einſiedeln zur Erhöhung der häuslichen Andacht ver¬ mehrt wird. Alle übrigen in der Hütte vorkommenden Geräth¬ ſchaften gehören zur Butter- und Käſe-Bereitung. Das Schlafgemach iſt ſehr verſchieden angebracht. Im Berner Oberlande, wo die Sennhütte an ihrer Eingangsfront, eine Art kunſtloſer Vorhalle in Form eines Peristylum hat, das „Mulchedach“ oder der Melk¬ gang genannt (weil im Schutz deſſelben das Vieh bei ſchlechtem Wetter gemolken wird), befindet ſich das Ruhe-Lager oder „Gaſtere“ in dieſem Dach-Vorbau; in anderen Gegenden wurde daſſelbe über den Schweineſtall verlegt und heißt „Trileten.“ Welche Annehm¬ lichkeiten für dieſen Fall aus der unmittelbarſten Nähe der unruhigen, ewig-grunzenden Schlafkameraden und durch ihre penetranten Ausdünſtungen erwachſen, iſt begreiflich. Uebrigens ſteht das Lager ſelbſt an Urſprünglichkeit ſeiner Einrichtung dem Charakter und der Einfachheit der ganzen Hütte durchaus nicht nach; ein mit Wildheu ausgeſtopfter Matrazzen-Sack, die ungeſtörte Heimath einer Legion von ſpringenden Blutſaugern, und eine Wollendecke oder, wie im Wallis und Graubünden, eine aus Schaaffellen zuſammengeſetzte Decke, bilden die ganze Ausrüſtung der Schlafſtätte. Iſt nun das Schindeldach nicht gut verwahrt, ſo begegnets, daß bei ſolidem, kräftigem Regenwetter der Schläfer einem unfreiwilligen Tropfbade aus¬ geſetzt wird, — oder wenn, wie vorher erwähnt, das flache Hüttendach an einen erklimmbaren Felſenklotz anlehnt, ſo klettern die naſeweiſen, nie raſtenden Ziegen Nachts auf demſelben herum und verurſachen ſolch einen unheimlichen Skandal, als ob der gehörnte Pferdefüßler da droben ſein ungeheuerlich Weſen triebe. So ſiehts in den „idyl¬ liſchen, romantiſchen Sennhütten“ aus, die im „letzten Fenſterln“ und ähnlichen poetiſchen Produktionen auf der Bühne ſo reizend erſcheinen.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/379>, abgerufen am 25.11.2024.