Ists irgend thunlich, so wird die Sennhütte an einen Felsen¬ klotz gebaut oder, wenn er überhängt, sogar zum Theil unter den¬ selben geschoben, um im Fond einen recht kühlen Platz für den Milchkeller zu gewinnen. Rinnt vollends gar ein frischer Quell oder eisiger Gletscherbach in der Nähe, so leitet der Aelpler das Wasser gern durch sein Magazin, um die von der Milch gesäuerte Luft durch die entstehende Ventilation zu entfernen und dagegen frische, dem Wasser entströmende Lufttheilchen dem Gemache zuzu¬ führen. Die nächste Umgebung einer Sennhütte ist fast immer ein bodenloser Koth, in dem strotzend-fettes Blakenkraut und Alpen¬ sauerampfer wuchernd wächst. Das Innere entspricht in den meisten Fällen dieser unsauberen Umgebung und ist eine kräftig-korrigirende Strahlendouche für jedes durch sublime Phantasien erhitzte Gehirn. Denn Reinlichkeit und Akkuratesse sind allenthalben nichts weniger als hervorragende Attribute viehzüchtender Völker, und der Aelpler bestrebt sich durchaus nicht, hierin als Ausnahme zu erscheinen. Der leuchtende, farbenheitere Festtagsanzug, der das Auge bei der Auffahrt so anregend ergötzte, ist verschwunden. Weite, derbleinene Beinkleider, die in allen Schattirungen der Stallbeschäftigung schillern, und ein ditto Futterhemd, d. h. eine blousenähnliche Jacke ohne Schlitz auf der Brust, bilden mit den schweren klappernden Holzschuhen und einem enganliegenden Käppchen die ganze Beklei¬ dung des Sennen.
Die Entree zum Innern der Sennhütte führt sogleich zu den centralisirten Gemächern. Nach altgermanischer Sitte ist Wohn¬ zimmer und Küche, Speiselokal und Ankleidekammer zu einem Gesammt-Appartement vereinigt, und hier kann man buchstäblich am gastlichen "Herde" weilen. Letzterer und das über ihm aufge¬ hängte "Milchkessi" nehmen den meisten Raum ein und bekunden dadurch ihre hohe Bedeutung. Hier ist die Stelle, wo der chemische Scheidungsproceß vorgenommen wird, der die erste konsistente Grund¬ lage zu den delikaten "Schweizerkäsen" legt. Bezeichnend wird
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Sennenleben in den Alpen.
Iſts irgend thunlich, ſo wird die Sennhütte an einen Felſen¬ klotz gebaut oder, wenn er überhängt, ſogar zum Theil unter den¬ ſelben geſchoben, um im Fond einen recht kühlen Platz für den Milchkeller zu gewinnen. Rinnt vollends gar ein friſcher Quell oder eiſiger Gletſcherbach in der Nähe, ſo leitet der Aelpler das Waſſer gern durch ſein Magazin, um die von der Milch geſäuerte Luft durch die entſtehende Ventilation zu entfernen und dagegen friſche, dem Waſſer entſtrömende Lufttheilchen dem Gemache zuzu¬ führen. Die nächſte Umgebung einer Sennhütte iſt faſt immer ein bodenloſer Koth, in dem ſtrotzend-fettes Blakenkraut und Alpen¬ ſauerampfer wuchernd wächſt. Das Innere entſpricht in den meiſten Fällen dieſer unſauberen Umgebung und iſt eine kräftig-korrigirende Strahlendouche für jedes durch ſublime Phantaſien erhitzte Gehirn. Denn Reinlichkeit und Akkurateſſe ſind allenthalben nichts weniger als hervorragende Attribute viehzüchtender Völker, und der Aelpler beſtrebt ſich durchaus nicht, hierin als Ausnahme zu erſcheinen. Der leuchtende, farbenheitere Feſttagsanzug, der das Auge bei der Auffahrt ſo anregend ergötzte, iſt verſchwunden. Weite, derbleinene Beinkleider, die in allen Schattirungen der Stallbeſchäftigung ſchillern, und ein ditto Futterhemd, d. h. eine blouſenähnliche Jacke ohne Schlitz auf der Bruſt, bilden mit den ſchweren klappernden Holzſchuhen und einem enganliegenden Käppchen die ganze Beklei¬ dung des Sennen.
Die Entrée zum Innern der Sennhütte führt ſogleich zu den centraliſirten Gemächern. Nach altgermaniſcher Sitte iſt Wohn¬ zimmer und Küche, Speiſelokal und Ankleidekammer zu einem Geſammt-Appartement vereinigt, und hier kann man buchſtäblich am gaſtlichen „Herde“ weilen. Letzterer und das über ihm aufge¬ hängte „Milchkeſſi“ nehmen den meiſten Raum ein und bekunden dadurch ihre hohe Bedeutung. Hier iſt die Stelle, wo der chemiſche Scheidungsproceß vorgenommen wird, der die erſte konſiſtente Grund¬ lage zu den delikaten „Schweizerkäſen“ legt. Bezeichnend wird
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Sennenleben in den Alpen.
Iſts irgend thunlich, ſo wird die Sennhütte an einen Felſen¬
klotz gebaut oder, wenn er überhängt, ſogar zum Theil unter den¬
ſelben geſchoben, um im Fond einen recht kühlen Platz für den
Milchkeller zu gewinnen. Rinnt vollends gar ein friſcher Quell
oder eiſiger Gletſcherbach in der Nähe, ſo leitet der Aelpler das
Waſſer gern durch ſein Magazin, um die von der Milch geſäuerte
Luft durch die entſtehende Ventilation zu entfernen und dagegen
friſche, dem Waſſer entſtrömende Lufttheilchen dem Gemache zuzu¬
führen. Die nächſte Umgebung einer Sennhütte iſt faſt immer
ein bodenloſer Koth, in dem ſtrotzend-fettes Blakenkraut und Alpen¬
ſauerampfer wuchernd wächſt. Das Innere entſpricht in den meiſten
Fällen dieſer unſauberen Umgebung und iſt eine kräftig-korrigirende
Strahlendouche für jedes durch ſublime Phantaſien erhitzte Gehirn.
Denn Reinlichkeit und Akkurateſſe ſind allenthalben nichts weniger
als hervorragende Attribute viehzüchtender Völker, und der Aelpler
beſtrebt ſich durchaus nicht, hierin als Ausnahme zu erſcheinen.
Der leuchtende, farbenheitere Feſttagsanzug, der das Auge bei der
Auffahrt ſo anregend ergötzte, iſt verſchwunden. Weite, derbleinene
Beinkleider, die in allen Schattirungen der Stallbeſchäftigung
ſchillern, und ein ditto Futterhemd, d. h. eine blouſenähnliche Jacke
ohne Schlitz auf der Bruſt, bilden mit den ſchweren klappernden
Holzſchuhen und einem enganliegenden Käppchen die ganze Beklei¬
dung des Sennen.
Die Entrée zum Innern der Sennhütte führt ſogleich zu den
centraliſirten Gemächern. Nach altgermaniſcher Sitte iſt Wohn¬
zimmer und Küche, Speiſelokal und Ankleidekammer zu einem
Geſammt-Appartement vereinigt, und hier kann man buchſtäblich
am gaſtlichen „Herde“ weilen. Letzterer und das über ihm aufge¬
hängte „Milchkeſſi“ nehmen den meiſten Raum ein und bekunden
dadurch ihre hohe Bedeutung. Hier iſt die Stelle, wo der chemiſche
Scheidungsproceß vorgenommen wird, der die erſte konſiſtente Grund¬
lage zu den delikaten „Schweizerkäſen“ legt. Bezeichnend wird
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/377>, abgerufen am 25.11.2024.
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