die Stirngabel der Hörner. Neben dem Zug gehen im leinenen Futterhemd und in der groben Zwillichhose der "Gaumer" (Hirt) und der "Handbub", den Zusenn mit "Juchz'gen" und Jodeln sekun¬ dirend. Den Schluß endlich bildet das Saumroß mit den Käserei- Geräthschaften und der Herden-Besitzer in unverkennbarem Selbst¬ bewußtsein des augenblicklich zu feiernden Triumphes.
Im Allgemeinen bleiben Weiber und Kinder in den Thal¬ dörfern zurück. Aber es giebt in Graubünden, z. B. im Davos und in Mutten, so wie im Wallis Ortschaften, die mit Kind und Kegel ins Sommerdorf auswandern, und ihren Winter-Aufenthalt, die Häuser verschlossen, vollständig verlassen; -- höchstens daß ein alter Mann als Wächter zurückbleibt. -- So gehts hinauf auf die Berge, in die Alpen.
Das ist die malerische, fröhliche Seite eines Alpenfahrt-Bildes. Aber es giebt auch Herden-Expeditionen im Hochgebirge, bei denen es nicht nur beschwerliche Passagen zu überwinden, sondern Kräfte und Umsicht zu brauchen, ja sogar das Leben zu riskiren gilt. Dies ist vornehmlich der Fall, wenn die Alpweide jenseit eines Gletschers liegt und es gilt, die schlüpfrige, hähle Eisfläche mit ihren verbor¬ genen Spalten und Schründen zu überschreiten. Da bedarf es denn besonderer baulicher Vorkehrungen; mit Hilfe des Pickels und der Axt hat man Stege und Bretterbrücken improvisirt, oder Wege durch die Eislabyrinthe gebahnt und mit sandigem Geröll und Erde bestreut, um dem Vieh den instinktmäßigen Widerwillen gegen das ihm unheimliche, fremde und trügerische Element zu benehmen. Oft sträubt sich die Herde mit unverwüstlichem Trotz, die glasige Eisspiegelfläche zu betreten, und die Sennen sind ge¬ nöthigt, zu den verzweifeltsten Zwangsmitteln zu greifen. Ja, es giebt sogar Alpen, zu denen ein Haupt Vieh nach dem andern wie Waarenballen am Flaschenzuge des Krahnen über hohe Felsen¬ wände hinabgelassen werden müssen.
Schmucklos, einfach, wie ein Wurf aus freier Hand, traulich
Berlepsch, die Alpen. 22
Sennenleben in den Alpen.
die Stirngabel der Hörner. Neben dem Zug gehen im leinenen Futterhemd und in der groben Zwillichhoſe der „Gaumer“ (Hirt) und der „Handbub“, den Zuſenn mit „Juchz'gen“ und Jodeln ſekun¬ dirend. Den Schluß endlich bildet das Saumroß mit den Käſerei- Geräthſchaften und der Herden-Beſitzer in unverkennbarem Selbſt¬ bewußtſein des augenblicklich zu feiernden Triumphes.
Im Allgemeinen bleiben Weiber und Kinder in den Thal¬ dörfern zurück. Aber es giebt in Graubünden, z. B. im Davos und in Mutten, ſo wie im Wallis Ortſchaften, die mit Kind und Kegel ins Sommerdorf auswandern, und ihren Winter-Aufenthalt, die Häuſer verſchloſſen, vollſtändig verlaſſen; — höchſtens daß ein alter Mann als Wächter zurückbleibt. — So gehts hinauf auf die Berge, in die Alpen.
Das iſt die maleriſche, fröhliche Seite eines Alpenfahrt-Bildes. Aber es giebt auch Herden-Expeditionen im Hochgebirge, bei denen es nicht nur beſchwerliche Paſſagen zu überwinden, ſondern Kräfte und Umſicht zu brauchen, ja ſogar das Leben zu riskiren gilt. Dies iſt vornehmlich der Fall, wenn die Alpweide jenſeit eines Gletſchers liegt und es gilt, die ſchlüpfrige, hähle Eisfläche mit ihren verbor¬ genen Spalten und Schründen zu überſchreiten. Da bedarf es denn beſonderer baulicher Vorkehrungen; mit Hilfe des Pickels und der Axt hat man Stege und Bretterbrücken improviſirt, oder Wege durch die Eislabyrinthe gebahnt und mit ſandigem Geröll und Erde beſtreut, um dem Vieh den inſtinktmäßigen Widerwillen gegen das ihm unheimliche, fremde und trügeriſche Element zu benehmen. Oft ſträubt ſich die Herde mit unverwüſtlichem Trotz, die glaſige Eisſpiegelfläche zu betreten, und die Sennen ſind ge¬ nöthigt, zu den verzweifeltſten Zwangsmitteln zu greifen. Ja, es giebt ſogar Alpen, zu denen ein Haupt Vieh nach dem andern wie Waarenballen am Flaſchenzuge des Krahnen über hohe Felſen¬ wände hinabgelaſſen werden müſſen.
Schmucklos, einfach, wie ein Wurf aus freier Hand, traulich
Berlepſch, die Alpen. 22
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Sennenleben in den Alpen.
die Stirngabel der Hörner. Neben dem Zug gehen im leinenen
Futterhemd und in der groben Zwillichhoſe der „Gaumer“ (Hirt) und
der „Handbub“, den Zuſenn mit „Juchz'gen“ und Jodeln ſekun¬
dirend. Den Schluß endlich bildet das Saumroß mit den Käſerei-
Geräthſchaften und der Herden-Beſitzer in unverkennbarem Selbſt¬
bewußtſein des augenblicklich zu feiernden Triumphes.
Im Allgemeinen bleiben Weiber und Kinder in den Thal¬
dörfern zurück. Aber es giebt in Graubünden, z. B. im Davos
und in Mutten, ſo wie im Wallis Ortſchaften, die mit Kind und
Kegel ins Sommerdorf auswandern, und ihren Winter-Aufenthalt,
die Häuſer verſchloſſen, vollſtändig verlaſſen; — höchſtens daß ein
alter Mann als Wächter zurückbleibt. — So gehts hinauf auf die
Berge, in die Alpen.
Das iſt die maleriſche, fröhliche Seite eines Alpenfahrt-Bildes.
Aber es giebt auch Herden-Expeditionen im Hochgebirge, bei denen
es nicht nur beſchwerliche Paſſagen zu überwinden, ſondern Kräfte und
Umſicht zu brauchen, ja ſogar das Leben zu riskiren gilt. Dies iſt
vornehmlich der Fall, wenn die Alpweide jenſeit eines Gletſchers
liegt und es gilt, die ſchlüpfrige, hähle Eisfläche mit ihren verbor¬
genen Spalten und Schründen zu überſchreiten. Da bedarf es
denn beſonderer baulicher Vorkehrungen; mit Hilfe des Pickels
und der Axt hat man Stege und Bretterbrücken improviſirt, oder
Wege durch die Eislabyrinthe gebahnt und mit ſandigem Geröll
und Erde beſtreut, um dem Vieh den inſtinktmäßigen Widerwillen
gegen das ihm unheimliche, fremde und trügeriſche Element zu
benehmen. Oft ſträubt ſich die Herde mit unverwüſtlichem Trotz,
die glaſige Eisſpiegelfläche zu betreten, und die Sennen ſind ge¬
nöthigt, zu den verzweifeltſten Zwangsmitteln zu greifen. Ja, es
giebt ſogar Alpen, zu denen ein Haupt Vieh nach dem andern
wie Waarenballen am Flaſchenzuge des Krahnen über hohe Felſen¬
wände hinabgelaſſen werden müſſen.
Schmucklos, einfach, wie ein Wurf aus freier Hand, traulich
Berlepſch, die Alpen. 22
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/375>, abgerufen am 16.02.2025.
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