d. h. in Gegenwart sämmtlicher Antheilhaber wird eine jede Kuh gemolken, ihre Milch gemessen und nach diesem Ergebniß der Bruch¬ theil des Einzelnen am gemeinschaftlichen Gewinn festgestellt. Der mit der Milchwirthschaft beauftragte Senn besorgt nun während der ganzen Alpzeit mit seinen Gehilfen alle Tages¬ geschäfte und empfängt dafür einen bedungenen Lohn oder Antheil am Ertrag.
Um jedoch die Alpenweiden in gutem Stande zu erhalten und bei der größten Freiheit auf den Bergen dennoch allgemeine Ord¬ nung zu handhaben, der Jeder sich unterziehen muß, wählen alle Alpengenossen einen "Alpmeister", eine Art Gebirgspolizei, "der die Alp in Ehren halten, schützen und schirmen soll, als wie sein eigen Gut, -- der Weg und Steg machen und Acht haben soll, daß Niemand im "Birg heue" (Wildheu mache) bis nach St. Jakobs¬ tag, -- der die Alpgenossen anhalte, jährlich einen Tag die Alp zu säubern und zu steinen" und Aehnliches mehr. So schreibts das "Alpbüchli" vor, eine naive, von den Bauern in der "Alp¬ gemeinde" selbst gegebene Gesetzesammlung, die jährlich einmal verlesen und bestätiget oder je nach Bedürfniß durch Mehrheits¬ beschluß abgeändert werden muß.
Der Winter verläuft einförmig und still. Die Alpendörfer sind tief eingeschneit; oft fehlt die Verbindung von einem Thaldorf zum andern, -- oft sogar, wo die Häuser weit zerstreut im Grunde liegen, die Kommunikation der Wohnungen unter einander. Die einzigen Geschäfte, welche die Thalbauern in die Höhe lockt, ist entweder das Herabschlitten des Holzes oder des Wildheues. (Man sehe den drittnächsten Abschnitt: Der Wildheuer.) In manchen Alpengegenden ists auch der Fall, daß der Senn, wenn er die Vorräthe des einen Heustadels aufgefüttert hat, einen andern, vielleicht eine Stunde davon entfernten Stall mit seiner Kuhherde bezieht, -- einen dritten und vierten, -- also selbst im Winter ein wanderndes Leben führt, bis die Alpzeit kommt.
Sennenleben in den Alpen.
d. h. in Gegenwart ſämmtlicher Antheilhaber wird eine jede Kuh gemolken, ihre Milch gemeſſen und nach dieſem Ergebniß der Bruch¬ theil des Einzelnen am gemeinſchaftlichen Gewinn feſtgeſtellt. Der mit der Milchwirthſchaft beauftragte Senn beſorgt nun während der ganzen Alpzeit mit ſeinen Gehilfen alle Tages¬ geſchäfte und empfängt dafür einen bedungenen Lohn oder Antheil am Ertrag.
Um jedoch die Alpenweiden in gutem Stande zu erhalten und bei der größten Freiheit auf den Bergen dennoch allgemeine Ord¬ nung zu handhaben, der Jeder ſich unterziehen muß, wählen alle Alpengenoſſen einen „Alpmeiſter“, eine Art Gebirgspolizei, „der die Alp in Ehren halten, ſchützen und ſchirmen ſoll, als wie ſein eigen Gut, — der Weg und Steg machen und Acht haben ſoll, daß Niemand im „Birg heue“ (Wildheu mache) bis nach St. Jakobs¬ tag, — der die Alpgenoſſen anhalte, jährlich einen Tag die Alp zu ſäubern und zu ſteinen“ und Aehnliches mehr. So ſchreibts das „Alpbüchli“ vor, eine naive, von den Bauern in der „Alp¬ gemeinde“ ſelbſt gegebene Geſetzeſammlung, die jährlich einmal verleſen und beſtätiget oder je nach Bedürfniß durch Mehrheits¬ beſchluß abgeändert werden muß.
Der Winter verläuft einförmig und ſtill. Die Alpendörfer ſind tief eingeſchneit; oft fehlt die Verbindung von einem Thaldorf zum andern, — oft ſogar, wo die Häuſer weit zerſtreut im Grunde liegen, die Kommunikation der Wohnungen unter einander. Die einzigen Geſchäfte, welche die Thalbauern in die Höhe lockt, iſt entweder das Herabſchlitten des Holzes oder des Wildheues. (Man ſehe den drittnächſten Abſchnitt: Der Wildheuer.) In manchen Alpengegenden iſts auch der Fall, daß der Senn, wenn er die Vorräthe des einen Heuſtadels aufgefüttert hat, einen andern, vielleicht eine Stunde davon entfernten Stall mit ſeiner Kuhherde bezieht, — einen dritten und vierten, — alſo ſelbſt im Winter ein wanderndes Leben führt, bis die Alpzeit kommt.
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Sennenleben in den Alpen.
d. h. in Gegenwart ſämmtlicher Antheilhaber wird eine jede Kuh
gemolken, ihre Milch gemeſſen und nach dieſem Ergebniß der Bruch¬
theil des Einzelnen am gemeinſchaftlichen Gewinn feſtgeſtellt.
Der mit der Milchwirthſchaft beauftragte Senn beſorgt nun
während der ganzen Alpzeit mit ſeinen Gehilfen alle Tages¬
geſchäfte und empfängt dafür einen bedungenen Lohn oder Antheil
am Ertrag.
Um jedoch die Alpenweiden in gutem Stande zu erhalten und
bei der größten Freiheit auf den Bergen dennoch allgemeine Ord¬
nung zu handhaben, der Jeder ſich unterziehen muß, wählen alle
Alpengenoſſen einen „Alpmeiſter“, eine Art Gebirgspolizei, „der
die Alp in Ehren halten, ſchützen und ſchirmen ſoll, als wie ſein eigen
Gut, — der Weg und Steg machen und Acht haben ſoll, daß
Niemand im „Birg heue“ (Wildheu mache) bis nach St. Jakobs¬
tag, — der die Alpgenoſſen anhalte, jährlich einen Tag die Alp
zu ſäubern und zu ſteinen“ und Aehnliches mehr. So ſchreibts
das „Alpbüchli“ vor, eine naive, von den Bauern in der „Alp¬
gemeinde“ ſelbſt gegebene Geſetzeſammlung, die jährlich einmal
verleſen und beſtätiget oder je nach Bedürfniß durch Mehrheits¬
beſchluß abgeändert werden muß.
Der Winter verläuft einförmig und ſtill. Die Alpendörfer
ſind tief eingeſchneit; oft fehlt die Verbindung von einem Thaldorf
zum andern, — oft ſogar, wo die Häuſer weit zerſtreut im Grunde
liegen, die Kommunikation der Wohnungen unter einander. Die
einzigen Geſchäfte, welche die Thalbauern in die Höhe lockt, iſt
entweder das Herabſchlitten des Holzes oder des Wildheues. (Man
ſehe den drittnächſten Abſchnitt: Der Wildheuer.) In manchen
Alpengegenden iſts auch der Fall, daß der Senn, wenn er die
Vorräthe des einen Heuſtadels aufgefüttert hat, einen andern,
vielleicht eine Stunde davon entfernten Stall mit ſeiner Kuhherde
bezieht, — einen dritten und vierten, — alſo ſelbſt im Winter
ein wanderndes Leben führt, bis die Alpzeit kommt.
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/372>, abgerufen am 22.11.2024.
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