Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Die Hospitien. als eben die Lehre von den höchsten und edelsten Gütern und Auf¬gaben des Menschen-Geschlechtes; aber in die freiwillige, uneigen¬ nützige Praxis ist das herrliche Gebot der Bergpredigt: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", nur sehr vereinzelt und bedin¬ gungsweise übergegangen. Zu diesen sehr sporadisch auftretenden Erscheinungen des bethätigten Christenthums gehören die Hospitien in den Alpen. Hospitium heißt im Lateinischen die Herberge und auch die Gastfreundschaft. Während in solchen Fällen gar häufig die wörtlichen Bezeichnungen nur schöne Aushängeschilder für minder schöne Bestrebungen zu sein pflegen, stoßen wir hier umgekehrt auf eine sehr bescheidene Benennung weit größerer, edlerer Lebensauf¬ gaben. Hier ist nicht blos Einkehr für Hungernde und Ermattete; der sehr elastische Begriff der Gastfreundschaft wird hier nicht nur zur vollendeten Thatsache, ohne Ansehen der Person, des Volkes und des Glaubens-Bekenntnisses, sondern das uneigennützige Be¬ streben: der bedrängten Menschheit zu nützen, -- zu helfen, wo Mangel, zu retten, wo Gefahr vorhanden ist, freiwillig (ohne Be¬ rechnung des zu erwartenden Dankes) das Werk des Samariters zu üben, das ist der Kern der Aufgabe. Und er wird zu Tage gefördert, -- recht und schlicht, still und geräuschlos, ohne phari¬ säisches Geschrei. Sie, die diesem Werke der ächten Humanität sich weihen, rufen nicht scheinheilig in die Welt hinaus: "Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen!" sondern sie thun, was sie versprechen. Unsere Hospitien prangen also nicht mit der Außenseite, noch Die Hospitien. als eben die Lehre von den höchſten und edelſten Gütern und Auf¬gaben des Menſchen-Geſchlechtes; aber in die freiwillige, uneigen¬ nützige Praxis iſt das herrliche Gebot der Bergpredigt: „Liebe deinen Nächſten wie dich ſelbſt“, nur ſehr vereinzelt und bedin¬ gungsweiſe übergegangen. Zu dieſen ſehr ſporadiſch auftretenden Erſcheinungen des bethätigten Chriſtenthums gehören die Hospitien in den Alpen. Hospitium heißt im Lateiniſchen die Herberge und auch die Gaſtfreundſchaft. Während in ſolchen Fällen gar häufig die wörtlichen Bezeichnungen nur ſchöne Aushängeſchilder für minder ſchöne Beſtrebungen zu ſein pflegen, ſtoßen wir hier umgekehrt auf eine ſehr beſcheidene Benennung weit größerer, edlerer Lebensauf¬ gaben. Hier iſt nicht blos Einkehr für Hungernde und Ermattete; der ſehr elaſtiſche Begriff der Gaſtfreundſchaft wird hier nicht nur zur vollendeten Thatſache, ohne Anſehen der Perſon, des Volkes und des Glaubens-Bekenntniſſes, ſondern das uneigennützige Be¬ ſtreben: der bedrängten Menſchheit zu nützen, — zu helfen, wo Mangel, zu retten, wo Gefahr vorhanden iſt, freiwillig (ohne Be¬ rechnung des zu erwartenden Dankes) das Werk des Samariters zu üben, das iſt der Kern der Aufgabe. Und er wird zu Tage gefördert, — recht und ſchlicht, ſtill und geräuſchlos, ohne phari¬ ſäiſches Geſchrei. Sie, die dieſem Werke der ächten Humanität ſich weihen, rufen nicht ſcheinheilig in die Welt hinaus: „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen!“ ſondern ſie thun, was ſie verſprechen. Unſere Hospitien prangen alſo nicht mit der Außenſeite, noch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0352" n="316"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Die Hospitien</hi>.<lb/></fw>als eben die Lehre von den höchſten und edelſten Gütern und Auf¬<lb/> gaben des Menſchen-Geſchlechtes; aber in die freiwillige, uneigen¬<lb/> nützige Praxis iſt das herrliche Gebot der Bergpredigt: „Liebe<lb/> deinen Nächſten wie dich ſelbſt“, nur ſehr vereinzelt und bedin¬<lb/> gungsweiſe übergegangen. Zu dieſen ſehr ſporadiſch auftretenden<lb/> Erſcheinungen des bethätigten Chriſtenthums gehören die Hospitien<lb/> in den Alpen. <hi rendition="#aq">Hospitium</hi> heißt im Lateiniſchen die Herberge und<lb/> auch die Gaſtfreundſchaft. 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Die Hospitien.
als eben die Lehre von den höchſten und edelſten Gütern und Auf¬
gaben des Menſchen-Geſchlechtes; aber in die freiwillige, uneigen¬
nützige Praxis iſt das herrliche Gebot der Bergpredigt: „Liebe
deinen Nächſten wie dich ſelbſt“, nur ſehr vereinzelt und bedin¬
gungsweiſe übergegangen. Zu dieſen ſehr ſporadiſch auftretenden
Erſcheinungen des bethätigten Chriſtenthums gehören die Hospitien
in den Alpen. Hospitium heißt im Lateiniſchen die Herberge und
auch die Gaſtfreundſchaft. Während in ſolchen Fällen gar häufig
die wörtlichen Bezeichnungen nur ſchöne Aushängeſchilder für minder
ſchöne Beſtrebungen zu ſein pflegen, ſtoßen wir hier umgekehrt auf
eine ſehr beſcheidene Benennung weit größerer, edlerer Lebensauf¬
gaben. Hier iſt nicht blos Einkehr für Hungernde und Ermattete;
der ſehr elaſtiſche Begriff der Gaſtfreundſchaft wird hier nicht nur
zur vollendeten Thatſache, ohne Anſehen der Perſon, des Volkes
und des Glaubens-Bekenntniſſes, ſondern das uneigennützige Be¬
ſtreben: der bedrängten Menſchheit zu nützen, — zu helfen, wo
Mangel, zu retten, wo Gefahr vorhanden iſt, freiwillig (ohne Be¬
rechnung des zu erwartenden Dankes) das Werk des Samariters
zu üben, das iſt der Kern der Aufgabe. Und er wird zu Tage
gefördert, — recht und ſchlicht, ſtill und geräuſchlos, ohne phari¬
ſäiſches Geſchrei. Sie, die dieſem Werke der ächten Humanität
ſich weihen, rufen nicht ſcheinheilig in die Welt hinaus: „Ich und
mein Haus wollen dem Herrn dienen!“ ſondern ſie thun, was ſie
verſprechen.
Unſere Hospitien prangen alſo nicht mit der Außenſeite, noch
mit Eigenſchaften, die ſie entweder gar nicht, oder doch nur ſehr
bedingter Weiſe beſitzen; ihre Firma iſt keine geſchminkte Lüge.
Ebenſowenig hüllt ſich die Ausübung des Barmherzigkeitswerkes in
frömmelnden Nimbus oder in geſalbte Phraſendreherei und tar¬
tüffiſches Schleicherthum; gerade und derb, wie die Natur des
Bergbewohners iſt, begrüßt und behandelt der Spittler den bei
ihm Einkehrenden. Der alte Zybach auf der Grimſel, ehe er ſich
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