Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.
verwüstliche Ausdauer und jene Stahl- und Eisenkräfte entwickeln
könnten, ohne welche der Rottore nicht denkbar ist. Es liegt schon
im Mark und Bein des Bergmannes, in seinen, man möchte sagen,
zu Federharz gewordenen Sehnen und Muskeln, in den (wie es
scheint) gegen die Kälte-Einwirkungen wie abgestumpften, härteren
Organismen des menschlichen Körpers, daß er ein ganzes Mannes¬
alter hindurch, Jahr für Jahr, den gefährlichen und beschwerlichen
Dienst bei guter Gesundheit verrichtet. -- Die Rutner werden von
den betreffenden Landesregierungen (auf dem Gotthard von der
Schweizerischen Eidgenossenschaft, die jährlich fünfzig bis sechszig
Tausend Francs für den Schneebruch dieses einzigen Passes be¬
zahlt) angestellt. In früheren Zeiten, bevor eigentliche Straßen-
Ordnungen bestanden, geschah es, daß die Kommunikation halbe
Monate lang durch übermäßigen Schneefall gehemmt war; jetzt
kann eine solche Unterbrechung sich höchstens nur auf einen bis zwei
Tage ausdehnen.

Gewöhnlich wird die Arbeit in zwei große Hälften getheilt.
Die erstere ist die sogenannte "Fürleite". Sie hat, so oft es
stark schneite, den eigentlichen ersten Durchbruch zu erzwingen. Mit
einem Dutzend fester, starker Zugochsen vor dem Bahnschlitten,
geht der "Fürleiter" ins wüste Schnee-Dickicht hinein. Ein
Thier wird vor das andere gespannt, weil zwei nebeneinander sich
leicht im Geschirr verwickeln würden. Die besten und dauerkräftig¬
sten Pferde würden viel leichter ermüden als das Ochsengespann.
Durch diese, auf beiden Seiten des Berges in Angriff genommene
erste Arbeit entsteht nur ein unbedeutender Pfad. Die begleitenden
Rutner gehen hinter dem Schlitten her und schaufeln die erste
Weg-Anlage einigermaßen aus. Eine zweite Arbeiter-Kompagnie ist
weniger radikaler Natur; sie hat die konservative Aufgabe, den
nun einigermaßen geöffneten Graben auszuweiten und in fahr¬
barem Zustande zu erhalten. Es sind die "Weger" oder Rutner
mit dem "Hauptweger" an der Spitze.

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
verwüſtliche Ausdauer und jene Stahl- und Eiſenkräfte entwickeln
könnten, ohne welche der Rottore nicht denkbar iſt. Es liegt ſchon
im Mark und Bein des Bergmannes, in ſeinen, man möchte ſagen,
zu Federharz gewordenen Sehnen und Muskeln, in den (wie es
ſcheint) gegen die Kälte-Einwirkungen wie abgeſtumpften, härteren
Organismen des menſchlichen Körpers, daß er ein ganzes Mannes¬
alter hindurch, Jahr für Jahr, den gefährlichen und beſchwerlichen
Dienſt bei guter Geſundheit verrichtet. — Die Rutner werden von
den betreffenden Landesregierungen (auf dem Gotthard von der
Schweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft, die jährlich fünfzig bis ſechszig
Tauſend Francs für den Schneebruch dieſes einzigen Paſſes be¬
zahlt) angeſtellt. In früheren Zeiten, bevor eigentliche Straßen-
Ordnungen beſtanden, geſchah es, daß die Kommunikation halbe
Monate lang durch übermäßigen Schneefall gehemmt war; jetzt
kann eine ſolche Unterbrechung ſich höchſtens nur auf einen bis zwei
Tage ausdehnen.

Gewöhnlich wird die Arbeit in zwei große Hälften getheilt.
Die erſtere iſt die ſogenannte „Fürleite“. Sie hat, ſo oft es
ſtark ſchneite, den eigentlichen erſten Durchbruch zu erzwingen. Mit
einem Dutzend feſter, ſtarker Zugochſen vor dem Bahnſchlitten,
geht der „Fürleiter“ ins wüſte Schnee-Dickicht hinein. Ein
Thier wird vor das andere geſpannt, weil zwei nebeneinander ſich
leicht im Geſchirr verwickeln würden. Die beſten und dauerkräftig¬
ſten Pferde würden viel leichter ermüden als das Ochſengeſpann.
Durch dieſe, auf beiden Seiten des Berges in Angriff genommene
erſte Arbeit entſteht nur ein unbedeutender Pfad. Die begleitenden
Rutner gehen hinter dem Schlitten her und ſchaufeln die erſte
Weg-Anlage einigermaßen aus. Eine zweite Arbeiter-Kompagnie iſt
weniger radikaler Natur; ſie hat die konſervative Aufgabe, den
nun einigermaßen geöffneten Graben auszuweiten und in fahr¬
barem Zuſtande zu erhalten. Es ſind die „Weger“ oder Rutner
mit dem „Hauptweger“ an der Spitze.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0338" n="302"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Gebirgs-Pä&#x017F;&#x017F;e und Alpen-Straßen</hi>.<lb/></fw> verwü&#x017F;tliche Ausdauer und jene Stahl- und Ei&#x017F;enkräfte entwickeln<lb/>
könnten, ohne welche der <hi rendition="#aq">Rottore</hi> nicht denkbar i&#x017F;t. Es liegt &#x017F;chon<lb/>
im Mark und Bein des Bergmannes, in &#x017F;einen, man möchte &#x017F;agen,<lb/>
zu Federharz gewordenen Sehnen und Muskeln, in den (wie es<lb/>
&#x017F;cheint) gegen die Kälte-Einwirkungen wie abge&#x017F;tumpften, härteren<lb/>
Organismen des men&#x017F;chlichen Körpers, daß er ein ganzes Mannes¬<lb/>
alter hindurch, Jahr für Jahr, den gefährlichen und be&#x017F;chwerlichen<lb/>
Dien&#x017F;t bei guter Ge&#x017F;undheit verrichtet. &#x2014; Die Rutner werden von<lb/>
den betreffenden Landesregierungen (auf dem Gotthard von der<lb/>
Schweizeri&#x017F;chen Eidgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, die jährlich fünfzig bis &#x017F;echszig<lb/>
Tau&#x017F;end Francs für den Schneebruch die&#x017F;es einzigen Pa&#x017F;&#x017F;es be¬<lb/>
zahlt) ange&#x017F;tellt. In früheren Zeiten, bevor eigentliche Straßen-<lb/>
Ordnungen be&#x017F;tanden, ge&#x017F;chah es, daß die Kommunikation halbe<lb/>
Monate lang durch übermäßigen Schneefall gehemmt war; jetzt<lb/>
kann eine &#x017F;olche Unterbrechung &#x017F;ich höch&#x017F;tens nur auf einen bis zwei<lb/>
Tage ausdehnen.</p><lb/>
        <p>Gewöhnlich wird die Arbeit in zwei große Hälften getheilt.<lb/>
Die er&#x017F;tere i&#x017F;t die &#x017F;ogenannte &#x201E;Fürleite&#x201C;. Sie hat, &#x017F;o oft es<lb/>
&#x017F;tark &#x017F;chneite, den eigentlichen er&#x017F;ten Durchbruch zu erzwingen. Mit<lb/>
einem Dutzend fe&#x017F;ter, &#x017F;tarker Zugoch&#x017F;en vor dem Bahn&#x017F;chlitten,<lb/>
geht der &#x201E;Fürleiter&#x201C; ins wü&#x017F;te Schnee-Dickicht hinein. Ein<lb/>
Thier wird vor das andere ge&#x017F;pannt, weil zwei nebeneinander &#x017F;ich<lb/>
leicht im Ge&#x017F;chirr verwickeln würden. Die be&#x017F;ten und dauerkräftig¬<lb/>
&#x017F;ten Pferde würden viel leichter ermüden als das Och&#x017F;enge&#x017F;pann.<lb/>
Durch die&#x017F;e, auf beiden Seiten des Berges in Angriff genommene<lb/>
er&#x017F;te Arbeit ent&#x017F;teht nur ein unbedeutender Pfad. Die begleitenden<lb/>
Rutner gehen hinter dem Schlitten her und &#x017F;chaufeln die er&#x017F;te<lb/>
Weg-Anlage einigermaßen aus. Eine zweite Arbeiter-Kompagnie i&#x017F;t<lb/>
weniger radikaler Natur; &#x017F;ie hat die kon&#x017F;ervative Aufgabe, den<lb/>
nun einigermaßen geöffneten Graben auszuweiten und in fahr¬<lb/>
barem Zu&#x017F;tande zu erhalten. Es &#x017F;ind die &#x201E;Weger&#x201C; oder Rutner<lb/>
mit dem &#x201E;Hauptweger&#x201C; an der Spitze.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0338] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. verwüſtliche Ausdauer und jene Stahl- und Eiſenkräfte entwickeln könnten, ohne welche der Rottore nicht denkbar iſt. Es liegt ſchon im Mark und Bein des Bergmannes, in ſeinen, man möchte ſagen, zu Federharz gewordenen Sehnen und Muskeln, in den (wie es ſcheint) gegen die Kälte-Einwirkungen wie abgeſtumpften, härteren Organismen des menſchlichen Körpers, daß er ein ganzes Mannes¬ alter hindurch, Jahr für Jahr, den gefährlichen und beſchwerlichen Dienſt bei guter Geſundheit verrichtet. — Die Rutner werden von den betreffenden Landesregierungen (auf dem Gotthard von der Schweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft, die jährlich fünfzig bis ſechszig Tauſend Francs für den Schneebruch dieſes einzigen Paſſes be¬ zahlt) angeſtellt. In früheren Zeiten, bevor eigentliche Straßen- Ordnungen beſtanden, geſchah es, daß die Kommunikation halbe Monate lang durch übermäßigen Schneefall gehemmt war; jetzt kann eine ſolche Unterbrechung ſich höchſtens nur auf einen bis zwei Tage ausdehnen. Gewöhnlich wird die Arbeit in zwei große Hälften getheilt. Die erſtere iſt die ſogenannte „Fürleite“. Sie hat, ſo oft es ſtark ſchneite, den eigentlichen erſten Durchbruch zu erzwingen. Mit einem Dutzend feſter, ſtarker Zugochſen vor dem Bahnſchlitten, geht der „Fürleiter“ ins wüſte Schnee-Dickicht hinein. Ein Thier wird vor das andere geſpannt, weil zwei nebeneinander ſich leicht im Geſchirr verwickeln würden. Die beſten und dauerkräftig¬ ſten Pferde würden viel leichter ermüden als das Ochſengeſpann. Durch dieſe, auf beiden Seiten des Berges in Angriff genommene erſte Arbeit entſteht nur ein unbedeutender Pfad. Die begleitenden Rutner gehen hinter dem Schlitten her und ſchaufeln die erſte Weg-Anlage einigermaßen aus. Eine zweite Arbeiter-Kompagnie iſt weniger radikaler Natur; ſie hat die konſervative Aufgabe, den nun einigermaßen geöffneten Graben auszuweiten und in fahr¬ barem Zuſtande zu erhalten. Es ſind die „Weger“ oder Rutner mit dem „Hauptweger“ an der Spitze.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/338
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/338>, abgerufen am 24.11.2024.