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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.
gewölbten, mit weißer Plane straff überzogenen, breiträderigen Fracht¬
wagen, und der roh-gemüthliche Blaukittel klatscht seine Peitschen-
Variationen dazwischen und accompagnirt dieselben bisweilen mit
einer Auswahl der gebräuchlichsten Kernflüche. Staub dampft
in langgezogenen Wolken auf. Ein welschländer Viehhändler treibt
seine Heerde jungen, schwarzen und dunkelbraunen Melkviehs und
eine Anzahl "Määßstiere", die zur Mastung bestimmt sind, auf den
Lauiser (Lugano) Markt. Voran geht der Knecht mit dem halb¬
hohen Bergstecken und dem obligatorischen Regenschirm unterm Arm
(denn kein Tessiner und kein Appenzeller geht auf die Reise ohne
dieses Präservativ-Mittel). Auf der Schulter hängt der "Melk¬
tern", und laut johlend erschallt sein hocheingesetztes, anhaltendes,
dann aber im geschleiften Tonfall sinkendes "Ooo -- -- -- ohoho¬
hohoho, komm wädli, wädli, wädli!" womit er das Vieh lockt,
weidlich voranzuschreiten. In Mitte der blöckenden Rinderschaar,
mehr treibend als haranguirend, dagegen kräftig demonstrativ auf
den Rücken seiner nächsten Umgebung mit Stockprügeln einwirkend,
geht ein Dolmetscher, ein heruntergekommener Viehhändler, der
sein Hab und Gut durch fehlgeschlagene Spekulationen verlor.
Er ist des italienischen Patois völlig mächtig, weil er seit einem
Vierteljahrhundert ununterbrochen nach der Lombardei handelte
und Vieh trieb. Jetzt, da ihm das letzte Stück daheim vergantet
worden ist, dient er seinem Nachbar als Mäkler und Unterhändler um
Tagelohn und Tantieme. Den Schluß des ganzen, langausgedehnten
Zuges bildet der eigentliche Entrepreneur der Alpen-Karavane. Der
größte Theil seines Vermögens steckt in diesem wandernden Kapital.
Jetzt kommts auf gut Glück an, ob die Nachfrage lebendig ist,
ob gute Preise gelten, oder ob der Markt mit schönem Vieh über¬
trieben und das Verlangen flau ist. Schlägt die Spekulation ein,
so kann er einige tausend Franken rasch verdienen. Aber ebenso
viel kann er auch verlieren, wenn er um jeden Preis losschlagen
muß; denn seine fünfzig Stück Jungvieh zehn bis zwölf Tage

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
gewölbten, mit weißer Plane ſtraff überzogenen, breiträderigen Fracht¬
wagen, und der roh-gemüthliche Blaukittel klatſcht ſeine Peitſchen-
Variationen dazwiſchen und accompagnirt dieſelben bisweilen mit
einer Auswahl der gebräuchlichſten Kernflüche. Staub dampft
in langgezogenen Wolken auf. Ein welſchländer Viehhändler treibt
ſeine Heerde jungen, ſchwarzen und dunkelbraunen Melkviehs und
eine Anzahl „Määßſtiere“, die zur Maſtung beſtimmt ſind, auf den
Lauiſer (Lugano) Markt. Voran geht der Knecht mit dem halb¬
hohen Bergſtecken und dem obligatoriſchen Regenſchirm unterm Arm
(denn kein Teſſiner und kein Appenzeller geht auf die Reiſe ohne
dieſes Präſervativ-Mittel). Auf der Schulter hängt der „Melk¬
tern“, und laut johlend erſchallt ſein hocheingeſetztes, anhaltendes,
dann aber im geſchleiften Tonfall ſinkendes „Ooo — — — ohoho¬
hohoho, komm wädli, wädli, wädli!“ womit er das Vieh lockt,
weidlich voranzuſchreiten. In Mitte der blöckenden Rinderſchaar,
mehr treibend als haranguirend, dagegen kräftig demonſtrativ auf
den Rücken ſeiner nächſten Umgebung mit Stockprügeln einwirkend,
geht ein Dolmetſcher, ein heruntergekommener Viehhändler, der
ſein Hab und Gut durch fehlgeſchlagene Spekulationen verlor.
Er iſt des italieniſchen Patois völlig mächtig, weil er ſeit einem
Vierteljahrhundert ununterbrochen nach der Lombardei handelte
und Vieh trieb. Jetzt, da ihm das letzte Stück daheim vergantet
worden iſt, dient er ſeinem Nachbar als Mäkler und Unterhändler um
Tagelohn und Tantième. Den Schluß des ganzen, langausgedehnten
Zuges bildet der eigentliche Entrepreneur der Alpen-Karavane. Der
größte Theil ſeines Vermögens ſteckt in dieſem wandernden Kapital.
Jetzt kommts auf gut Glück an, ob die Nachfrage lebendig iſt,
ob gute Preiſe gelten, oder ob der Markt mit ſchönem Vieh über¬
trieben und das Verlangen flau iſt. Schlägt die Spekulation ein,
ſo kann er einige tauſend Franken raſch verdienen. Aber ebenſo
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[295/0331] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. gewölbten, mit weißer Plane ſtraff überzogenen, breiträderigen Fracht¬ wagen, und der roh-gemüthliche Blaukittel klatſcht ſeine Peitſchen- Variationen dazwiſchen und accompagnirt dieſelben bisweilen mit einer Auswahl der gebräuchlichſten Kernflüche. Staub dampft in langgezogenen Wolken auf. Ein welſchländer Viehhändler treibt ſeine Heerde jungen, ſchwarzen und dunkelbraunen Melkviehs und eine Anzahl „Määßſtiere“, die zur Maſtung beſtimmt ſind, auf den Lauiſer (Lugano) Markt. Voran geht der Knecht mit dem halb¬ hohen Bergſtecken und dem obligatoriſchen Regenſchirm unterm Arm (denn kein Teſſiner und kein Appenzeller geht auf die Reiſe ohne dieſes Präſervativ-Mittel). Auf der Schulter hängt der „Melk¬ tern“, und laut johlend erſchallt ſein hocheingeſetztes, anhaltendes, dann aber im geſchleiften Tonfall ſinkendes „Ooo — — — ohoho¬ hohoho, komm wädli, wädli, wädli!“ womit er das Vieh lockt, weidlich voranzuſchreiten. In Mitte der blöckenden Rinderſchaar, mehr treibend als haranguirend, dagegen kräftig demonſtrativ auf den Rücken ſeiner nächſten Umgebung mit Stockprügeln einwirkend, geht ein Dolmetſcher, ein heruntergekommener Viehhändler, der ſein Hab und Gut durch fehlgeſchlagene Spekulationen verlor. Er iſt des italieniſchen Patois völlig mächtig, weil er ſeit einem Vierteljahrhundert ununterbrochen nach der Lombardei handelte und Vieh trieb. Jetzt, da ihm das letzte Stück daheim vergantet worden iſt, dient er ſeinem Nachbar als Mäkler und Unterhändler um Tagelohn und Tantième. Den Schluß des ganzen, langausgedehnten Zuges bildet der eigentliche Entrepreneur der Alpen-Karavane. Der größte Theil ſeines Vermögens ſteckt in dieſem wandernden Kapital. Jetzt kommts auf gut Glück an, ob die Nachfrage lebendig iſt, ob gute Preiſe gelten, oder ob der Markt mit ſchönem Vieh über¬ trieben und das Verlangen flau iſt. Schlägt die Spekulation ein, ſo kann er einige tauſend Franken raſch verdienen. Aber ebenſo viel kann er auch verlieren, wenn er um jeden Preis losſchlagen muß; denn ſeine fünfzig Stück Jungvieh zehn bis zwölf Tage

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/331>, abgerufen am 24.11.2024.