hard, Splügen und Bernhardin. Seit vielen Jahrhunderten wur¬ den alle Waaren aus und nach Italien über diese drei Pässe auf dem Rücken der Maulthiere und Saumrosse getragen, die in oft langen Zügen die engen Gebirgswege ganz einnahmen. Graubün¬ den erkannte den unberechenbaren Werth fahrbarer Alpenstraßen und unternahm zuerst allein auf eigene Kosten den Bau der Bern¬ hardin-Straße während der Jahre 1823. bis Hierdurch wurde Oesterreich genöthigt dem Beispiel zu folgen und baute den Splügen; und als die Waldstätte, besonders Uri erkannten, daß der Waaren- und Personen-Verkehr, welcher bisher über den Gott¬ hard gegangen war, sich mehr den östlichen Fahrstraßen zuwandte, da wurde endlich 1828 bis 1830 auch dieser Paß gebaut.
Alle Bergstraßen steigen dem Laufe ziemlich bedeutender Flüsse entgegen, wie z. B. der Gottbard der Reuß und dem Ticino, der Bernhardin dem Hinter-Rhein und der Möesa, das Stilfserjoch der Adda und Etsch, der Brenner längs des Eisacktales u. s. w. An¬ fangs ist die Steigung meist eine sehr geringe, die Richtung eine ziemlich direkte. Je tiefer die Kunststraßen ins Gebirge eindringen, je lebendiger der Lauf der ihnen entgegenkommenden Bergwasser wird, desto mehr weichen Richtung und Steigung ab. Bald nöthi¬ gen enge Felsenschluchten zu komplicirteren Bauten. Hochgesprengte Brücken, durchbrochene Felsenthore, lavirende Zickzackwege beginnen, und die Steigung wächst auf 6 bis 7 Procent. Da die ganze Konfiguration des Alpengebäudes gen Norden eine flacher gedehnte, minder steile Abdachung zeigt als gen Süden, so häufen sich die Schwierigkeiten meist auch auf letztgedachter Seite.
In zahlreichen Schlangenwindungen (Tourniquets, Giravolte) stuft sich hier die bald in den Fels eingesprengte, bald durch Mauerwerk gehobene Straße in der Schlucht hinauf. Die "Kehren" oder "Ränk", wie der Fuhrmann die Curven nennt, mittelst deren die Straße in eine höhere oder tiefere Etage tritt und die meist aufgemauert sind, sehen von der Tiefe wie übereinander errichtete
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Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
hard, Splügen und Bernhardin. Seit vielen Jahrhunderten wur¬ den alle Waaren aus und nach Italien über dieſe drei Päſſe auf dem Rücken der Maulthiere und Saumroſſe getragen, die in oft langen Zügen die engen Gebirgswege ganz einnahmen. Graubün¬ den erkannte den unberechenbaren Werth fahrbarer Alpenſtraßen und unternahm zuerſt allein auf eigene Koſten den Bau der Bern¬ hardin-Straße während der Jahre 1823. bis Hierdurch wurde Oeſterreich genöthigt dem Beiſpiel zu folgen und baute den Splügen; und als die Waldſtätte, beſonders Uri erkannten, daß der Waaren- und Perſonen-Verkehr, welcher bisher über den Gott¬ hard gegangen war, ſich mehr den öſtlichen Fahrſtraßen zuwandte, da wurde endlich 1828 bis 1830 auch dieſer Paß gebaut.
Alle Bergſtraßen ſteigen dem Laufe ziemlich bedeutender Flüſſe entgegen, wie z. B. der Gottbard der Reuß und dem Ticino, der Bernhardin dem Hinter-Rhein und der Möeſa, das Stilfſerjoch der Adda und Etſch, der Brenner längs des Eisacktales u. ſ. w. An¬ fangs iſt die Steigung meiſt eine ſehr geringe, die Richtung eine ziemlich direkte. Je tiefer die Kunſtſtraßen ins Gebirge eindringen, je lebendiger der Lauf der ihnen entgegenkommenden Bergwaſſer wird, deſto mehr weichen Richtung und Steigung ab. Bald nöthi¬ gen enge Felſenſchluchten zu komplicirteren Bauten. Hochgeſprengte Brücken, durchbrochene Felſenthore, lavirende Zickzackwege beginnen, und die Steigung wächſt auf 6 bis 7 Procent. Da die ganze Konfiguration des Alpengebäudes gen Norden eine flacher gedehnte, minder ſteile Abdachung zeigt als gen Süden, ſo häufen ſich die Schwierigkeiten meiſt auch auf letztgedachter Seite.
In zahlreichen Schlangenwindungen (Tourniquets, Giravolte) ſtuft ſich hier die bald in den Fels eingeſprengte, bald durch Mauerwerk gehobene Straße in der Schlucht hinauf. Die „Kehren“ oder „Ränk“, wie der Fuhrmann die Curven nennt, mittelſt deren die Straße in eine höhere oder tiefere Etage tritt und die meiſt aufgemauert ſind, ſehen von der Tiefe wie übereinander errichtete
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Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
hard, Splügen und Bernhardin. Seit vielen Jahrhunderten wur¬
den alle Waaren aus und nach Italien über dieſe drei Päſſe auf
dem Rücken der Maulthiere und Saumroſſe getragen, die in oft
langen Zügen die engen Gebirgswege ganz einnahmen. Graubün¬
den erkannte den unberechenbaren Werth fahrbarer Alpenſtraßen
und unternahm zuerſt allein auf eigene Koſten den Bau der Bern¬
hardin-Straße während der Jahre 1823. bis Hierdurch
wurde Oeſterreich genöthigt dem Beiſpiel zu folgen und baute den
Splügen; und als die Waldſtätte, beſonders Uri erkannten, daß
der Waaren- und Perſonen-Verkehr, welcher bisher über den Gott¬
hard gegangen war, ſich mehr den öſtlichen Fahrſtraßen zuwandte,
da wurde endlich 1828 bis 1830 auch dieſer Paß gebaut.
Alle Bergſtraßen ſteigen dem Laufe ziemlich bedeutender Flüſſe
entgegen, wie z. B. der Gottbard der Reuß und dem Ticino, der
Bernhardin dem Hinter-Rhein und der Möeſa, das Stilfſerjoch der
Adda und Etſch, der Brenner längs des Eisacktales u. ſ. w. An¬
fangs iſt die Steigung meiſt eine ſehr geringe, die Richtung eine
ziemlich direkte. Je tiefer die Kunſtſtraßen ins Gebirge eindringen,
je lebendiger der Lauf der ihnen entgegenkommenden Bergwaſſer
wird, deſto mehr weichen Richtung und Steigung ab. Bald nöthi¬
gen enge Felſenſchluchten zu komplicirteren Bauten. Hochgeſprengte
Brücken, durchbrochene Felſenthore, lavirende Zickzackwege beginnen,
und die Steigung wächſt auf 6 bis 7 Procent. Da die ganze
Konfiguration des Alpengebäudes gen Norden eine flacher gedehnte,
minder ſteile Abdachung zeigt als gen Süden, ſo häufen ſich die
Schwierigkeiten meiſt auch auf letztgedachter Seite.
In zahlreichen Schlangenwindungen (Tourniquets, Giravolte)
ſtuft ſich hier die bald in den Fels eingeſprengte, bald durch
Mauerwerk gehobene Straße in der Schlucht hinauf. Die „Kehren“
oder „Ränk“, wie der Fuhrmann die Curven nennt, mittelſt deren
die Straße in eine höhere oder tiefere Etage tritt und die meiſt
aufgemauert ſind, ſehen von der Tiefe wie übereinander errichtete
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/327>, abgerufen am 16.07.2024.
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