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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenspitzen.
Besteigung das weiße eidgenössische Kreuz im rothen Felde, das
triumphirend über Gletscher und Firnfelder flaggte. Da aber
solche Trophäen gar sehr den Hochstürmen ausgesetzt sind und in
der Regel bald umfallen, oder (wie auf dem Piz Linard, welche
Weilenmann fand) vom Blitze zersplittert und versengt werden,
so ließ Hugi auf dem Finsteraarhorn eine aus Eisendraht gefertigte,
mit Harztuch überzogene Fahne aufpflanzen, welche man vom Grim¬
selhospiz, von Bern, ja selbst von Solothurn aus (einer Entfernung
von 19 Schweizerstunden oder 12 geographischen Meilen), durch
den Tubus beobachtete. Die originellste, vom momentanen Sich¬
zuhelfenwissen zeugende Fahne etablirten die Gebrüder Schlagintweit
am Monte Rosa, wo sie in Ermangelung entsprechenden Flaggen¬
stoffes ein Hemd an die Stange banden, -- die in Betreff des
Humors fast noch von jener übertroffen wird, die Studer auf dem
Rinderhorn aufhißte; auch dort mangelte, als man den Aufmarsch
antrat, ein Fahnentuch, und der Wirth des einsam gelegenen Berg¬
wirthshauses Schwarenbach wußte sich nicht anders zu helfen, als
daß er eine alte Weste zu diesem Zweck dem Spiel der Lüfte
preisgab.

Wie schon erwähnt, werden die Besteiger durch gute Perspektive
mit den Augen vom Thale aus auf ihrer Tour verfolgt, und es
war schon der Fall, daß man, als endlich die langersehnte Fahne
lustig auf dem Gipfel flatterte, in der Tiefe mit Kanonen- und
Böllerschüssen weithin den Thalbewohnern das Gelingen der Expe¬
dition verkündete. Es entspricht den allgemeinen akustischen Be¬
dingungen und Gesetzen, daß die auf der Bergspitze Weilenden diese
Freuden-Signale hörten, weil die Schallschwingungen, vielfach von
den Bergwänden zurückgeworfen, heraufdringen mußten, während
Pistolenschüsse auf solchen alle anderen überragenden Höhen, aus
Mangel katakustischer Faktoren, beinahe spurlos, ohne allen Effekt
verschwinden und darum im Thale durchaus nicht gehört werden.
Ueberhaupt ist absolute, lautlose, feierliche Stille, die durch keine

Alpenſpitzen.
Beſteigung das weiße eidgenöſſiſche Kreuz im rothen Felde, das
triumphirend über Gletſcher und Firnfelder flaggte. Da aber
ſolche Trophäen gar ſehr den Hochſtürmen ausgeſetzt ſind und in
der Regel bald umfallen, oder (wie auf dem Piz Linard, welche
Weilenmann fand) vom Blitze zerſplittert und verſengt werden,
ſo ließ Hugi auf dem Finſteraarhorn eine aus Eiſendraht gefertigte,
mit Harztuch überzogene Fahne aufpflanzen, welche man vom Grim¬
ſelhoſpiz, von Bern, ja ſelbſt von Solothurn aus (einer Entfernung
von 19 Schweizerſtunden oder 12 geographiſchen Meilen), durch
den Tubus beobachtete. Die originellſte, vom momentanen Sich¬
zuhelfenwiſſen zeugende Fahne etablirten die Gebrüder Schlagintweit
am Monte Roſa, wo ſie in Ermangelung entſprechenden Flaggen¬
ſtoffes ein Hemd an die Stange banden, — die in Betreff des
Humors faſt noch von jener übertroffen wird, die Studer auf dem
Rinderhorn aufhißte; auch dort mangelte, als man den Aufmarſch
antrat, ein Fahnentuch, und der Wirth des einſam gelegenen Berg¬
wirthshauſes Schwarenbach wußte ſich nicht anders zu helfen, als
daß er eine alte Weſte zu dieſem Zweck dem Spiel der Lüfte
preisgab.

Wie ſchon erwähnt, werden die Beſteiger durch gute Perſpektive
mit den Augen vom Thale aus auf ihrer Tour verfolgt, und es
war ſchon der Fall, daß man, als endlich die langerſehnte Fahne
luſtig auf dem Gipfel flatterte, in der Tiefe mit Kanonen- und
Böllerſchüſſen weithin den Thalbewohnern das Gelingen der Expe¬
dition verkündete. Es entſpricht den allgemeinen akuſtiſchen Be¬
dingungen und Geſetzen, daß die auf der Bergſpitze Weilenden dieſe
Freuden-Signale hörten, weil die Schallſchwingungen, vielfach von
den Bergwänden zurückgeworfen, heraufdringen mußten, während
Piſtolenſchüſſe auf ſolchen alle anderen überragenden Höhen, aus
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[281/0315] Alpenſpitzen. Beſteigung das weiße eidgenöſſiſche Kreuz im rothen Felde, das triumphirend über Gletſcher und Firnfelder flaggte. Da aber ſolche Trophäen gar ſehr den Hochſtürmen ausgeſetzt ſind und in der Regel bald umfallen, oder (wie auf dem Piz Linard, welche Weilenmann fand) vom Blitze zerſplittert und verſengt werden, ſo ließ Hugi auf dem Finſteraarhorn eine aus Eiſendraht gefertigte, mit Harztuch überzogene Fahne aufpflanzen, welche man vom Grim¬ ſelhoſpiz, von Bern, ja ſelbſt von Solothurn aus (einer Entfernung von 19 Schweizerſtunden oder 12 geographiſchen Meilen), durch den Tubus beobachtete. Die originellſte, vom momentanen Sich¬ zuhelfenwiſſen zeugende Fahne etablirten die Gebrüder Schlagintweit am Monte Roſa, wo ſie in Ermangelung entſprechenden Flaggen¬ ſtoffes ein Hemd an die Stange banden, — die in Betreff des Humors faſt noch von jener übertroffen wird, die Studer auf dem Rinderhorn aufhißte; auch dort mangelte, als man den Aufmarſch antrat, ein Fahnentuch, und der Wirth des einſam gelegenen Berg¬ wirthshauſes Schwarenbach wußte ſich nicht anders zu helfen, als daß er eine alte Weſte zu dieſem Zweck dem Spiel der Lüfte preisgab. Wie ſchon erwähnt, werden die Beſteiger durch gute Perſpektive mit den Augen vom Thale aus auf ihrer Tour verfolgt, und es war ſchon der Fall, daß man, als endlich die langerſehnte Fahne luſtig auf dem Gipfel flatterte, in der Tiefe mit Kanonen- und Böllerſchüſſen weithin den Thalbewohnern das Gelingen der Expe¬ dition verkündete. Es entſpricht den allgemeinen akuſtiſchen Be¬ dingungen und Geſetzen, daß die auf der Bergſpitze Weilenden dieſe Freuden-Signale hörten, weil die Schallſchwingungen, vielfach von den Bergwänden zurückgeworfen, heraufdringen mußten, während Piſtolenſchüſſe auf ſolchen alle anderen überragenden Höhen, aus Mangel katakuſtiſcher Faktoren, beinahe ſpurlos, ohne allen Effekt verſchwinden und darum im Thale durchaus nicht gehört werden. Ueberhaupt iſt abſolute, lautloſe, feierliche Stille, die durch keine

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/315>, abgerufen am 24.11.2024.