Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Alpenspitzen. das spröde Material zu hauen. Es muß ein gutes, erprobtes In¬strument sein, welches ein gewandter Arm regiert; einmal der Hand, der leicht erstarrenden, entfallen, macht der Verlust desselben einen quittirenden Strich durch die Rechnung und aus dem zu erwarten¬ den großen Loos plötzlich eine Niete. Das Empordringen einer Gesellschaft unter solchen Umständen, wo Schritt für Schritt erst geschaffen, geebnet, gesichert werden muß, ist dann höchst langsam, langweilig und erkältend. Bei Studers erster Ersteigung des Großen Rinderhornes (10670 Fuß, Wallis-Berner Gränze) mu߬ ten gegen 400 solcher Stufen in den übereisten Jähhang gehauen werden, ein Zeitverlust von mehreren Stunden. Bergsteiger-Regel ists, eine solche Kunsttreppe, so viel immer möglich, geradeansteigend zu beschreiten, so daß das Gesicht dem Eis zugekehrt bleibt; der Fuß tritt mit der Spitze weit sicherer als mit der Seitenkante auf. Höchst gefährlich sind solche vereiste, steile Hänge, wenn frisch Alpenſpitzen. das ſpröde Material zu hauen. Es muß ein gutes, erprobtes In¬ſtrument ſein, welches ein gewandter Arm regiert; einmal der Hand, der leicht erſtarrenden, entfallen, macht der Verluſt deſſelben einen quittirenden Strich durch die Rechnung und aus dem zu erwarten¬ den großen Loos plötzlich eine Niete. Das Empordringen einer Geſellſchaft unter ſolchen Umſtänden, wo Schritt für Schritt erſt geſchaffen, geebnet, geſichert werden muß, iſt dann höchſt langſam, langweilig und erkältend. Bei Studers erſter Erſteigung des Großen Rinderhornes (10670 Fuß, Wallis-Berner Gränze) mu߬ ten gegen 400 ſolcher Stufen in den übereisten Jähhang gehauen werden, ein Zeitverluſt von mehreren Stunden. Bergſteiger-Regel iſts, eine ſolche Kunſttreppe, ſo viel immer möglich, geradeanſteigend zu beſchreiten, ſo daß das Geſicht dem Eis zugekehrt bleibt; der Fuß tritt mit der Spitze weit ſicherer als mit der Seitenkante auf. Höchſt gefährlich ſind ſolche vereiste, ſteile Hänge, wenn friſch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0299" n="265"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Alpenſpitzen</hi>.<lb/></fw>das ſpröde Material zu hauen. Es muß ein gutes, erprobtes In¬<lb/> ſtrument ſein, welches ein gewandter Arm regiert; einmal der Hand,<lb/> der leicht erſtarrenden, entfallen, macht der Verluſt deſſelben einen<lb/> quittirenden Strich durch die Rechnung und aus dem zu erwarten¬<lb/> den großen Loos plötzlich eine Niete. Das Empordringen einer<lb/> Geſellſchaft unter ſolchen Umſtänden, wo Schritt für Schritt erſt<lb/> geſchaffen, geebnet, geſichert werden muß, iſt dann höchſt langſam,<lb/> langweilig und erkältend. Bei Studers erſter Erſteigung des<lb/> Großen Rinderhornes (10670 Fuß, Wallis-Berner Gränze) mu߬<lb/> ten gegen 400 ſolcher Stufen in den übereisten Jähhang gehauen<lb/> werden, ein Zeitverluſt von mehreren Stunden. Bergſteiger-Regel<lb/> iſts, eine ſolche Kunſttreppe, ſo viel immer möglich, geradeanſteigend<lb/> zu beſchreiten, ſo daß das Geſicht dem Eis zugekehrt bleibt; der Fuß<lb/> tritt mit der Spitze weit ſicherer als mit der Seitenkante auf.</p><lb/> <p>Höchſt gefährlich ſind ſolche vereiste, ſteile Hänge, wenn friſch<lb/> gefallener Schnee die glatten Eisſpiegel maskirt. Es fehlt nicht<lb/> an haarſträubenden Schreckensgeſchichten zur Illuſtrirung des Ka¬<lb/> pitels von den Schneerutſchen, die urplötzlich mit der, auf der obe¬<lb/> ren, neugefallenen Schicht wandernden Geſellſchaft über der darun¬<lb/> ter verborgenen Eisbahn ſich in Bewegung ſetzten. Hugi hätte<lb/> bei ſeinem zweiten Verſuch der Finſteraarhorn-Erſteigung beinahe<lb/> durch ſolch einen Schneeſchlipf das Leben eingebüßt, wenn der<lb/> entſchloſſene Leuthold ihn nicht noch im letzten Augenblicke mit<lb/> nervigem Arm ergriffen und gerettet hätte. Das furchtbarſte Er¬<lb/> eigniß dieſer Art iſt jenes, welches die völlige Beſteigung des Mont¬<lb/> blanc durch den ruſſiſchen Naturforſcher, Hofrath Hamel vereitelte.<lb/> Derſelbe war mit den beiden engliſchen Gelehrten der Oxforder<lb/> Univerſität, Herren Dornford und Henderſon, unter Begleitung der<lb/> kundigſten Chamounyführer (J. M. Coutet, Math. Balmat, Favret,<lb/> Jules Devouaſſon u. A.) und vielen Trägern für Komfortabilitäten,<lb/> Lebensmittel, mathematiſche und phyſikaliſche Inſtrumente, am<lb/> 16. Auguſt 1820 von <hi rendition="#aq">Prieuré</hi> ausgezogen, hatte am <hi rendition="#aq">Grand Mou¬</hi><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [265/0299]
Alpenſpitzen.
das ſpröde Material zu hauen. Es muß ein gutes, erprobtes In¬
ſtrument ſein, welches ein gewandter Arm regiert; einmal der Hand,
der leicht erſtarrenden, entfallen, macht der Verluſt deſſelben einen
quittirenden Strich durch die Rechnung und aus dem zu erwarten¬
den großen Loos plötzlich eine Niete. Das Empordringen einer
Geſellſchaft unter ſolchen Umſtänden, wo Schritt für Schritt erſt
geſchaffen, geebnet, geſichert werden muß, iſt dann höchſt langſam,
langweilig und erkältend. Bei Studers erſter Erſteigung des
Großen Rinderhornes (10670 Fuß, Wallis-Berner Gränze) mu߬
ten gegen 400 ſolcher Stufen in den übereisten Jähhang gehauen
werden, ein Zeitverluſt von mehreren Stunden. Bergſteiger-Regel
iſts, eine ſolche Kunſttreppe, ſo viel immer möglich, geradeanſteigend
zu beſchreiten, ſo daß das Geſicht dem Eis zugekehrt bleibt; der Fuß
tritt mit der Spitze weit ſicherer als mit der Seitenkante auf.
Höchſt gefährlich ſind ſolche vereiste, ſteile Hänge, wenn friſch
gefallener Schnee die glatten Eisſpiegel maskirt. Es fehlt nicht
an haarſträubenden Schreckensgeſchichten zur Illuſtrirung des Ka¬
pitels von den Schneerutſchen, die urplötzlich mit der, auf der obe¬
ren, neugefallenen Schicht wandernden Geſellſchaft über der darun¬
ter verborgenen Eisbahn ſich in Bewegung ſetzten. Hugi hätte
bei ſeinem zweiten Verſuch der Finſteraarhorn-Erſteigung beinahe
durch ſolch einen Schneeſchlipf das Leben eingebüßt, wenn der
entſchloſſene Leuthold ihn nicht noch im letzten Augenblicke mit
nervigem Arm ergriffen und gerettet hätte. Das furchtbarſte Er¬
eigniß dieſer Art iſt jenes, welches die völlige Beſteigung des Mont¬
blanc durch den ruſſiſchen Naturforſcher, Hofrath Hamel vereitelte.
Derſelbe war mit den beiden engliſchen Gelehrten der Oxforder
Univerſität, Herren Dornford und Henderſon, unter Begleitung der
kundigſten Chamounyführer (J. M. Coutet, Math. Balmat, Favret,
Jules Devouaſſon u. A.) und vielen Trägern für Komfortabilitäten,
Lebensmittel, mathematiſche und phyſikaliſche Inſtrumente, am
16. Auguſt 1820 von Prieuré ausgezogen, hatte am Grand Mou¬
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