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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenspitzen.
falls unter dem Dache des großen schwärzlichen Glimmerschiefer-
Felsenblockes, welcher das ganze Gebäude schützte. Ein Tuch, quer¬
über an einen befestigten Stab gehängt, diente statt Vorhang und
Thür. Unter einem anderen benachbarten Blocke war das Maga¬
zin für Lebensmittel und der Keller angelegt. Nahte nun die Mit¬
tagszeit heran, so versammelten sich die hungernden Gelehrten, und
obgleich die Normal-Speisen, Reis und Schaaffleisch, nur wenig ab¬
wechselten, welche einer der Führer kochte, so gestanden doch Alle,
daß ein Mittagsessen in freier Luft an der großen Gneistafel vor
dem eben beschriebenen Gletscher-Hotel eine Delikatesse zu nennen
sei. Die Tasse Kaffee und Cigarre nach dem Essen in unmittel¬
barem vis-a-vis der Schreckhörner und des Finsteraarhornes erhöh¬
ten den Genuß der lebhaften Diskussionen. Eine Stunde später
ging Jeder wieder seinen Forschungen nach. -- Die Abende waren
kurz; -- man ging, wie die Hühner, mit der Sonne schlafen, un¬
mittelbar nach dem Nachtessen, weil die Temperatur meist rasch un¬
ter den Gefrierpunkt fiel. Alle die zahlreichen, am Tage über die
Gletscher laufenden Bächlein verschwanden, eins nach dem anderen,
das Geräusch der durch diese gebildeten Wasserfälle verstummte all¬
mählig, und völlig lautloses, tiefes Schweigen senkte mit der Nacht
sich auf die weite, todte Eisfläche. Demungeachtet litten die küh¬
nen Gletscher-Männer durchaus nicht an Frost; die in den Grau¬
bündner und besonders in den Walliser Alpen als Deckbetten ge¬
bräuchlichen Schaafpelz-Decken veranlassen eine solche Wärme-An¬
häufung, daß das Verbleiben unter denselben, trotz der draußen
herrschenden Kälte, mitunter fast unerträglich wird. Diese wahrhaft
"goldenen Vließe" für jeden Hochgebirgswanderer bilden darum
auch eines der vornehmsten Requisiten in der ambulanten Bagage
einer Gletscher-Expedition.

Das Besteigen außerordentlicher Gipfelpunkte der Alpen würde
für den schwindelfreien, muskelkräftigen Mann keine so besonders
rühmens- und redenswerthe Aufgabe sein, wenn einigermaßen Kon¬

Alpenſpitzen.
falls unter dem Dache des großen ſchwärzlichen Glimmerſchiefer-
Felſenblockes, welcher das ganze Gebäude ſchützte. Ein Tuch, quer¬
über an einen befeſtigten Stab gehängt, diente ſtatt Vorhang und
Thür. Unter einem anderen benachbarten Blocke war das Maga¬
zin für Lebensmittel und der Keller angelegt. Nahte nun die Mit¬
tagszeit heran, ſo verſammelten ſich die hungernden Gelehrten, und
obgleich die Normal-Speiſen, Reis und Schaaffleiſch, nur wenig ab¬
wechſelten, welche einer der Führer kochte, ſo geſtanden doch Alle,
daß ein Mittagseſſen in freier Luft an der großen Gneistafel vor
dem eben beſchriebenen Gletſcher-Hôtel eine Delikateſſe zu nennen
ſei. Die Taſſe Kaffee und Cigarre nach dem Eſſen in unmittel¬
barem vis-a-vis der Schreckhörner und des Finſteraarhornes erhöh¬
ten den Genuß der lebhaften Diskuſſionen. Eine Stunde ſpäter
ging Jeder wieder ſeinen Forſchungen nach. — Die Abende waren
kurz; — man ging, wie die Hühner, mit der Sonne ſchlafen, un¬
mittelbar nach dem Nachteſſen, weil die Temperatur meiſt raſch un¬
ter den Gefrierpunkt fiel. Alle die zahlreichen, am Tage über die
Gletſcher laufenden Bächlein verſchwanden, eins nach dem anderen,
das Geräuſch der durch dieſe gebildeten Waſſerfälle verſtummte all¬
mählig, und völlig lautloſes, tiefes Schweigen ſenkte mit der Nacht
ſich auf die weite, todte Eisfläche. Demungeachtet litten die küh¬
nen Gletſcher-Männer durchaus nicht an Froſt; die in den Grau¬
bündner und beſonders in den Walliſer Alpen als Deckbetten ge¬
bräuchlichen Schaafpelz-Decken veranlaſſen eine ſolche Wärme-An¬
häufung, daß das Verbleiben unter denſelben, trotz der draußen
herrſchenden Kälte, mitunter faſt unerträglich wird. Dieſe wahrhaft
„goldenen Vließe“ für jeden Hochgebirgswanderer bilden darum
auch eines der vornehmſten Requiſiten in der ambulanten Bagage
einer Gletſcher-Expedition.

Das Beſteigen außerordentlicher Gipfelpunkte der Alpen würde
für den ſchwindelfreien, muskelkräftigen Mann keine ſo beſonders
rühmens- und redenswerthe Aufgabe ſein, wenn einigermaßen Kon¬

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[254/0288] Alpenſpitzen. falls unter dem Dache des großen ſchwärzlichen Glimmerſchiefer- Felſenblockes, welcher das ganze Gebäude ſchützte. Ein Tuch, quer¬ über an einen befeſtigten Stab gehängt, diente ſtatt Vorhang und Thür. Unter einem anderen benachbarten Blocke war das Maga¬ zin für Lebensmittel und der Keller angelegt. Nahte nun die Mit¬ tagszeit heran, ſo verſammelten ſich die hungernden Gelehrten, und obgleich die Normal-Speiſen, Reis und Schaaffleiſch, nur wenig ab¬ wechſelten, welche einer der Führer kochte, ſo geſtanden doch Alle, daß ein Mittagseſſen in freier Luft an der großen Gneistafel vor dem eben beſchriebenen Gletſcher-Hôtel eine Delikateſſe zu nennen ſei. Die Taſſe Kaffee und Cigarre nach dem Eſſen in unmittel¬ barem vis-a-vis der Schreckhörner und des Finſteraarhornes erhöh¬ ten den Genuß der lebhaften Diskuſſionen. Eine Stunde ſpäter ging Jeder wieder ſeinen Forſchungen nach. — Die Abende waren kurz; — man ging, wie die Hühner, mit der Sonne ſchlafen, un¬ mittelbar nach dem Nachteſſen, weil die Temperatur meiſt raſch un¬ ter den Gefrierpunkt fiel. Alle die zahlreichen, am Tage über die Gletſcher laufenden Bächlein verſchwanden, eins nach dem anderen, das Geräuſch der durch dieſe gebildeten Waſſerfälle verſtummte all¬ mählig, und völlig lautloſes, tiefes Schweigen ſenkte mit der Nacht ſich auf die weite, todte Eisfläche. Demungeachtet litten die küh¬ nen Gletſcher-Männer durchaus nicht an Froſt; die in den Grau¬ bündner und beſonders in den Walliſer Alpen als Deckbetten ge¬ bräuchlichen Schaafpelz-Decken veranlaſſen eine ſolche Wärme-An¬ häufung, daß das Verbleiben unter denſelben, trotz der draußen herrſchenden Kälte, mitunter faſt unerträglich wird. Dieſe wahrhaft „goldenen Vließe“ für jeden Hochgebirgswanderer bilden darum auch eines der vornehmſten Requiſiten in der ambulanten Bagage einer Gletſcher-Expedition. Das Beſteigen außerordentlicher Gipfelpunkte der Alpen würde für den ſchwindelfreien, muskelkräftigen Mann keine ſo beſonders rühmens- und redenswerthe Aufgabe ſein, wenn einigermaßen Kon¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/288>, abgerufen am 24.11.2024.