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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Gletscher.
Blasenräumen; durch einige derselben tröpfelte Wasser in regel¬
mäßigen Pulsschlägen. Zugleich bemerkte er aber im Eis an den
gleichen Stellen kleine Wasserwirbel von etwa 1/2 Zoll Durchmesser,
die mit großer Schnelligkeit sich bewegten. Da er sie früher nicht
gesehen hatte, so mußten sie erst während der Beobachtung, wahr¬
scheinlich durch die ausgeströmte Körperwärme entstanden sein. Daß
die Vertiefung, in welcher der Wirbel sich drehte, ein zu Tage
geschmolzener Blasenraum sei, durfte mit Gewißheit angenommen
werden. Um nun eine Rinne zu entdecken, welche durch das Eis
zu Häupten der Beobachter dem Wirbel das Wasser zuführe, nahm
Herr Coaz die Loupe zur Hand, konnte jedoch nichts entdecken. End¬
lich half ihm ein kleines schwarzes Stäubchen, das an der Ober¬
fläche des hangenden Eisgewölbes hinschoß, aus seinen Zweifeln
und bestätigte die Annahme der vermutheten feinen Rinne. Sie
lief in schiefer Richtung nach der kleinen Vertiefung zu und führte
den Wirbel herbei. Bald darauf beobachtete er zwei solcher Wir¬
bel nahe bei einander, die entgegengesetzte Strömung zeigten.
Als sie weiter in die Höhle eindrangen, wurde das Eis immer
blasenfreier, reiner und dunkler in der Färbung. Die Eiswände
waren ganz naß; an verschiedenen Stellen tröpfelte Wasser vom
Gewölbe, der Gletscher befand sich in seiner größten Lebensthätig¬
keit. Hier nahm eine wunderbare Erscheinung die Aufmerksam¬
keit des Beobachters ganz besonders in Anspruch; es war ein
kleiner, fast einen Fuß Breite messender Bach, der über dem Kopfe
des Besuchers an der etwas geneigten, äußerst porösen Eisdecke
festgehalten, rasch dahinfloß. Ein solches Phänomen frappirt un¬
gemein, indem hier das Wasser nur theilweise dem gewaltigen
Gesetze der Schwere folgend, demselben fast Hohn zu sprechen scheint.
Bezeichnend nannte er diese Erscheinung "Hangende Bäche." --
Noch tiefer drinnen öffnete sich eine Spalte, durch welche von oben
ein voller Lichtstrom sich ergoß und in dem krystallhellen Eise das
reinste, mildeste, lichteste Blau erzeugte, wie es nur die Tiefe der

Der Gletſcher.
Blaſenräumen; durch einige derſelben tröpfelte Waſſer in regel¬
mäßigen Pulsſchlägen. Zugleich bemerkte er aber im Eis an den
gleichen Stellen kleine Waſſerwirbel von etwa ½ Zoll Durchmeſſer,
die mit großer Schnelligkeit ſich bewegten. Da er ſie früher nicht
geſehen hatte, ſo mußten ſie erſt während der Beobachtung, wahr¬
ſcheinlich durch die ausgeſtrömte Körperwärme entſtanden ſein. Daß
die Vertiefung, in welcher der Wirbel ſich drehte, ein zu Tage
geſchmolzener Blaſenraum ſei, durfte mit Gewißheit angenommen
werden. Um nun eine Rinne zu entdecken, welche durch das Eis
zu Häupten der Beobachter dem Wirbel das Waſſer zuführe, nahm
Herr Coaz die Loupe zur Hand, konnte jedoch nichts entdecken. End¬
lich half ihm ein kleines ſchwarzes Stäubchen, das an der Ober¬
fläche des hangenden Eisgewölbes hinſchoß, aus ſeinen Zweifeln
und beſtätigte die Annahme der vermutheten feinen Rinne. Sie
lief in ſchiefer Richtung nach der kleinen Vertiefung zu und führte
den Wirbel herbei. Bald darauf beobachtete er zwei ſolcher Wir¬
bel nahe bei einander, die entgegengeſetzte Strömung zeigten.
Als ſie weiter in die Höhle eindrangen, wurde das Eis immer
blaſenfreier, reiner und dunkler in der Färbung. Die Eiswände
waren ganz naß; an verſchiedenen Stellen tröpfelte Waſſer vom
Gewölbe, der Gletſcher befand ſich in ſeiner größten Lebensthätig¬
keit. Hier nahm eine wunderbare Erſcheinung die Aufmerkſam¬
keit des Beobachters ganz beſonders in Anſpruch; es war ein
kleiner, faſt einen Fuß Breite meſſender Bach, der über dem Kopfe
des Beſuchers an der etwas geneigten, äußerſt poröſen Eisdecke
feſtgehalten, raſch dahinfloß. Ein ſolches Phänomen frappirt un¬
gemein, indem hier das Waſſer nur theilweiſe dem gewaltigen
Geſetze der Schwere folgend, demſelben faſt Hohn zu ſprechen ſcheint.
Bezeichnend nannte er dieſe Erſcheinung „Hangende Bäche.“ —
Noch tiefer drinnen öffnete ſich eine Spalte, durch welche von oben
ein voller Lichtſtrom ſich ergoß und in dem kryſtallhellen Eiſe das
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[226/0258] Der Gletſcher. Blaſenräumen; durch einige derſelben tröpfelte Waſſer in regel¬ mäßigen Pulsſchlägen. Zugleich bemerkte er aber im Eis an den gleichen Stellen kleine Waſſerwirbel von etwa ½ Zoll Durchmeſſer, die mit großer Schnelligkeit ſich bewegten. Da er ſie früher nicht geſehen hatte, ſo mußten ſie erſt während der Beobachtung, wahr¬ ſcheinlich durch die ausgeſtrömte Körperwärme entſtanden ſein. Daß die Vertiefung, in welcher der Wirbel ſich drehte, ein zu Tage geſchmolzener Blaſenraum ſei, durfte mit Gewißheit angenommen werden. Um nun eine Rinne zu entdecken, welche durch das Eis zu Häupten der Beobachter dem Wirbel das Waſſer zuführe, nahm Herr Coaz die Loupe zur Hand, konnte jedoch nichts entdecken. End¬ lich half ihm ein kleines ſchwarzes Stäubchen, das an der Ober¬ fläche des hangenden Eisgewölbes hinſchoß, aus ſeinen Zweifeln und beſtätigte die Annahme der vermutheten feinen Rinne. Sie lief in ſchiefer Richtung nach der kleinen Vertiefung zu und führte den Wirbel herbei. Bald darauf beobachtete er zwei ſolcher Wir¬ bel nahe bei einander, die entgegengeſetzte Strömung zeigten. Als ſie weiter in die Höhle eindrangen, wurde das Eis immer blaſenfreier, reiner und dunkler in der Färbung. Die Eiswände waren ganz naß; an verſchiedenen Stellen tröpfelte Waſſer vom Gewölbe, der Gletſcher befand ſich in ſeiner größten Lebensthätig¬ keit. Hier nahm eine wunderbare Erſcheinung die Aufmerkſam¬ keit des Beobachters ganz beſonders in Anſpruch; es war ein kleiner, faſt einen Fuß Breite meſſender Bach, der über dem Kopfe des Beſuchers an der etwas geneigten, äußerſt poröſen Eisdecke feſtgehalten, raſch dahinfloß. Ein ſolches Phänomen frappirt un¬ gemein, indem hier das Waſſer nur theilweiſe dem gewaltigen Geſetze der Schwere folgend, demſelben faſt Hohn zu ſprechen ſcheint. Bezeichnend nannte er dieſe Erſcheinung „Hangende Bäche.“ — Noch tiefer drinnen öffnete ſich eine Spalte, durch welche von oben ein voller Lichtſtrom ſich ergoß und in dem kryſtallhellen Eiſe das reinſte, mildeſte, lichteſte Blau erzeugte, wie es nur die Tiefe der

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/258>, abgerufen am 24.11.2024.