Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Gletscher. Portalen gothischer Dome. Die größten und schönsten derselbenfindet man am Glacier des Bois im Chamonny-Thal, aus dem der Arveiron hervorströmt, in manchen Jahren mehr als hundert Fuß hoch, -- am Mortiratsch-Gletscher unter der Bernina-Gruppe, der den Flaty-Bach zum Inn entsendet, und am Marcell-Gletscher. So verlockend es ist, in diese lasurblau oder glasgrün schillernden Eishallen einzudringen, so gefährlich ists, weil fortwährend Steine, die droben auf dem Rücken des Gletschers an dessen Absturz liegen, herabstürzen, oder selbst Eiswürfel sich ablösen und herniederfallen. Blau ist die eigentliche Farbe des Gletscher-Eises, wie über¬ Wir müssen, um auf die Höhe unseres Gletschers zu gelangen, Der erste Eindruck, den die vordere Gletscher-Oberfläche auf Der Gletſcher. Portalen gothiſcher Dome. Die größten und ſchönſten derſelbenfindet man am Glacier des Bois im Chamonny-Thal, aus dem der Arveiron hervorſtrömt, in manchen Jahren mehr als hundert Fuß hoch, — am Mortiratſch-Gletſcher unter der Bernina-Gruppe, der den Flaty-Bach zum Inn entſendet, und am Marcell-Gletſcher. So verlockend es iſt, in dieſe laſurblau oder glasgrün ſchillernden Eishallen einzudringen, ſo gefährlich iſts, weil fortwährend Steine, die droben auf dem Rücken des Gletſchers an deſſen Abſturz liegen, herabſtürzen, oder ſelbſt Eiswürfel ſich ablöſen und herniederfallen. Blau iſt die eigentliche Farbe des Gletſcher-Eiſes, wie über¬ Wir müſſen, um auf die Höhe unſeres Gletſchers zu gelangen, Der erſte Eindruck, den die vordere Gletſcher-Oberfläche auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0251" n="219"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Gletſcher</hi>.<lb/></fw> Portalen gothiſcher Dome. Die größten und ſchönſten derſelben<lb/> findet man am <hi rendition="#aq">Glacier des Bois</hi> im Chamonny-Thal, aus dem der<lb/> Arveiron hervorſtrömt, in manchen Jahren mehr als hundert Fuß<lb/> hoch, — am Mortiratſch-Gletſcher unter der Bernina-Gruppe,<lb/> der den Flaty-Bach zum Inn entſendet, und am Marcell-Gletſcher.<lb/> So verlockend es iſt, in dieſe laſurblau oder glasgrün ſchillernden<lb/> Eishallen einzudringen, ſo gefährlich iſts, weil fortwährend Steine,<lb/> die droben auf dem Rücken des Gletſchers an deſſen Abſturz liegen,<lb/> herabſtürzen, oder ſelbſt Eiswürfel ſich ablöſen und herniederfallen.</p><lb/> <p>Blau iſt die eigentliche Farbe des Gletſcher-Eiſes, wie über¬<lb/> haupt die alles reinen Waſſers; indeſſen müſſen dennoch verſchie¬<lb/> dene Umſtände auf die mehr oder minder intenſive Färbung ein¬<lb/> wirken, weil einige ſich beſonders durch die prachtvolle Tiefe ihres<lb/> Blau auszeichnen. Dahin gehören namentlich der Arolla-Gletſcher<lb/> im <hi rendition="#aq">Val d'Herins,</hi> der Roßboden-Gletſcher an der Simplonſtraße,<lb/> der vielbeſuchte Roſenlaui-Gletſcher unweit Meyringen im Berner<lb/> Oberlande, und der obere Grindelwald-Gletſcher. Perſonen, die<lb/> in die Spalten eines ſolchen mährchenhaft beleuchteten Eisgebäudes<lb/> eintreten, werden magiſch von einem blauen Lichte übergoſſen, das<lb/> alle anderen Farben tödtet oder doch abſchwächt und das blühend¬<lb/> rothe, geſunde Antlitz erſtirbt in einem fahlen, blaſſen Leichenton.<lb/> Es iſt ein wirklich geiſterhaftes Blau, eine, man möchte faſt ſagen<lb/> ſpukhafte Farben-Erſcheinung; denn das gleiche Stück Eis, welches<lb/> in der Gletſcher-Grotte <hi rendition="#g">von ſich aus</hi> tief Indigofeurig ſtrahlt,<lb/> verliert, an das Licht des Tages gebracht, ſein ganzes herrliches<lb/> Colorit und erſcheint farblos durchſichtig wie jedes andere Stück<lb/> Fluß- oder See-Eis.</p><lb/> <p>Wir müſſen, um auf die Höhe unſeres Gletſchers zu gelangen,<lb/> an den Seitenwänden durch wildes Geſtrüpp und über zerklüftete,<lb/> verwaſchene Gebirgsrudimente emporklettern.</p><lb/> <p>Der erſte Eindruck, den die vordere Gletſcher-Oberfläche auf<lb/> den Beſchauer macht, iſt in der Regel kein anmuthig überraſchender.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [219/0251]
Der Gletſcher.
Portalen gothiſcher Dome. Die größten und ſchönſten derſelben
findet man am Glacier des Bois im Chamonny-Thal, aus dem der
Arveiron hervorſtrömt, in manchen Jahren mehr als hundert Fuß
hoch, — am Mortiratſch-Gletſcher unter der Bernina-Gruppe,
der den Flaty-Bach zum Inn entſendet, und am Marcell-Gletſcher.
So verlockend es iſt, in dieſe laſurblau oder glasgrün ſchillernden
Eishallen einzudringen, ſo gefährlich iſts, weil fortwährend Steine,
die droben auf dem Rücken des Gletſchers an deſſen Abſturz liegen,
herabſtürzen, oder ſelbſt Eiswürfel ſich ablöſen und herniederfallen.
Blau iſt die eigentliche Farbe des Gletſcher-Eiſes, wie über¬
haupt die alles reinen Waſſers; indeſſen müſſen dennoch verſchie¬
dene Umſtände auf die mehr oder minder intenſive Färbung ein¬
wirken, weil einige ſich beſonders durch die prachtvolle Tiefe ihres
Blau auszeichnen. Dahin gehören namentlich der Arolla-Gletſcher
im Val d'Herins, der Roßboden-Gletſcher an der Simplonſtraße,
der vielbeſuchte Roſenlaui-Gletſcher unweit Meyringen im Berner
Oberlande, und der obere Grindelwald-Gletſcher. Perſonen, die
in die Spalten eines ſolchen mährchenhaft beleuchteten Eisgebäudes
eintreten, werden magiſch von einem blauen Lichte übergoſſen, das
alle anderen Farben tödtet oder doch abſchwächt und das blühend¬
rothe, geſunde Antlitz erſtirbt in einem fahlen, blaſſen Leichenton.
Es iſt ein wirklich geiſterhaftes Blau, eine, man möchte faſt ſagen
ſpukhafte Farben-Erſcheinung; denn das gleiche Stück Eis, welches
in der Gletſcher-Grotte von ſich aus tief Indigofeurig ſtrahlt,
verliert, an das Licht des Tages gebracht, ſein ganzes herrliches
Colorit und erſcheint farblos durchſichtig wie jedes andere Stück
Fluß- oder See-Eis.
Wir müſſen, um auf die Höhe unſeres Gletſchers zu gelangen,
an den Seitenwänden durch wildes Geſtrüpp und über zerklüftete,
verwaſchene Gebirgsrudimente emporklettern.
Der erſte Eindruck, den die vordere Gletſcher-Oberfläche auf
den Beſchauer macht, iſt in der Regel kein anmuthig überraſchender.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |