Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Die Rüfe. linge und Felsenscherben im tollen Durcheinander, -- Brocken inallen Kalibern, faustgroß bis zu solchen, die an Umfang einem hoch¬ geladenen Erntewagen gleichkommen. Dazwischen starren abgeknickte, faserig-zersplitternde Baumrumpfe, mächtige Wurzelstocken, die ihre knorrigen Arme in die Lüfte strecken, und andere Waldrudera her¬ vor, die in das Getrümmer geklemmt, hier auf Erlösung harren, bis die nächste herabrasende Sturmfluth neues Material aus den Bergen bringt und das im Bette liegende weiter vor sich herschiebend, wieder in Bewegung setzt. Zu beiden Seiten hat die besorgte Menschenhand riesige Seitendämme von regellosen Bruchquadern aufgeführt, die mit den Moränen der Gletscher einige Verwandt¬ schaft haben. -- Es giebt viel Stätten gräulicher Zerstörung im Gebirge; die Rüfen gehören zu den erschreckendsten. Je weiter hinauf, desto ebener wird das Bett; nur kleineres Die Rüfe. linge und Felſenſcherben im tollen Durcheinander, — Brocken inallen Kalibern, fauſtgroß bis zu ſolchen, die an Umfang einem hoch¬ geladenen Erntewagen gleichkommen. Dazwiſchen ſtarren abgeknickte, faſerig-zerſplitternde Baumrumpfe, mächtige Wurzelſtocken, die ihre knorrigen Arme in die Lüfte ſtrecken, und andere Waldrudera her¬ vor, die in das Getrümmer geklemmt, hier auf Erlöſung harren, bis die nächſte herabraſende Sturmfluth neues Material aus den Bergen bringt und das im Bette liegende weiter vor ſich herſchiebend, wieder in Bewegung ſetzt. Zu beiden Seiten hat die beſorgte Menſchenhand rieſige Seitendämme von regelloſen Bruchquadern aufgeführt, die mit den Moränen der Gletſcher einige Verwandt¬ ſchaft haben. — Es giebt viel Stätten gräulicher Zerſtörung im Gebirge; die Rüfen gehören zu den erſchreckendſten. Je weiter hinauf, deſto ebener wird das Bett; nur kleineres <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0218" n="190"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Die Rüfe</hi>.<lb/></fw> linge und Felſenſcherben im tollen Durcheinander, — Brocken in<lb/> allen Kalibern, fauſtgroß bis zu ſolchen, die an Umfang einem hoch¬<lb/> geladenen Erntewagen gleichkommen. Dazwiſchen ſtarren abgeknickte,<lb/> faſerig-zerſplitternde Baumrumpfe, mächtige Wurzelſtocken, die ihre<lb/> knorrigen Arme in die Lüfte ſtrecken, und andere Waldrudera her¬<lb/> vor, die in das Getrümmer geklemmt, hier auf Erlöſung harren,<lb/> bis die nächſte herabraſende Sturmfluth neues Material aus den<lb/> Bergen bringt und das im Bette liegende weiter vor ſich herſchiebend,<lb/> wieder in Bewegung ſetzt. Zu beiden Seiten hat die beſorgte<lb/> Menſchenhand rieſige Seitendämme von regelloſen Bruchquadern<lb/> aufgeführt, die mit den Moränen der Gletſcher einige Verwandt¬<lb/> ſchaft haben. — Es giebt viel Stätten gräulicher Zerſtörung im<lb/> Gebirge; die Rüfen gehören zu den erſchreckendſten.</p><lb/> <p>Je weiter hinauf, deſto ebener wird das Bett; nur kleineres<lb/> Geſtein, oft nur grauer zerriebener feingeſchlemmter Sand, füllen<lb/> daſſelbe; eine ſeichte Rinne lauwarmen, grau-trüben Bergwaſſers<lb/> murmelt leiſe hinab. Dies Rieſeln und das einförmige Streichen<lb/> der Luft durch die Wipfel des Tannenwaldes zu beiden Seiten<lb/> ſind die einzigen Naturlaute in dieſer öden, ureinſamen Gegend.<lb/> Geradeaus, in der aufſteigenden Perſpektive der Rüfe, liegt das<lb/> eigentliche Skalära-Tobel. Es iſt keines jener ſchauerigſchönen, forft¬<lb/> umnachteten, tiefgeheimnißvollen Waldtobel mit dem phosphores¬<lb/> cirenden Moosgrün im feuchten Grunde und dem naiven, male¬<lb/> riſch-gelegenen Knüppelſteg über den plätſchernden, friſchen Berg¬<lb/> bach, — es iſt eine offene, baumloſe Schlucht, in welche die Sonne<lb/> unbehindert hineinſcheint, von kahlen zerfreſſenen, abgeſchieferten,<lb/> bröckeligen Felſenwänden, einige tauſend Fuß hoch, eingeſchloſſen,<lb/> an denen man die bänderartig gebogene, wellenförmig geknickte<lb/> Schichten-Struktur der granulirten, grau-ſandigen Schiefer ſtudiren<lb/> kann. In eigentlicher Pyramidenform (nicht paraboliſch), wachſen<lb/> die ſpitz im Triangel auslaufenden Felſenkouliſſen hintereinander<lb/> auf, die tieferen immer die vorderen überragend, und an den Kan¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [190/0218]
Die Rüfe.
linge und Felſenſcherben im tollen Durcheinander, — Brocken in
allen Kalibern, fauſtgroß bis zu ſolchen, die an Umfang einem hoch¬
geladenen Erntewagen gleichkommen. Dazwiſchen ſtarren abgeknickte,
faſerig-zerſplitternde Baumrumpfe, mächtige Wurzelſtocken, die ihre
knorrigen Arme in die Lüfte ſtrecken, und andere Waldrudera her¬
vor, die in das Getrümmer geklemmt, hier auf Erlöſung harren,
bis die nächſte herabraſende Sturmfluth neues Material aus den
Bergen bringt und das im Bette liegende weiter vor ſich herſchiebend,
wieder in Bewegung ſetzt. Zu beiden Seiten hat die beſorgte
Menſchenhand rieſige Seitendämme von regelloſen Bruchquadern
aufgeführt, die mit den Moränen der Gletſcher einige Verwandt¬
ſchaft haben. — Es giebt viel Stätten gräulicher Zerſtörung im
Gebirge; die Rüfen gehören zu den erſchreckendſten.
Je weiter hinauf, deſto ebener wird das Bett; nur kleineres
Geſtein, oft nur grauer zerriebener feingeſchlemmter Sand, füllen
daſſelbe; eine ſeichte Rinne lauwarmen, grau-trüben Bergwaſſers
murmelt leiſe hinab. Dies Rieſeln und das einförmige Streichen
der Luft durch die Wipfel des Tannenwaldes zu beiden Seiten
ſind die einzigen Naturlaute in dieſer öden, ureinſamen Gegend.
Geradeaus, in der aufſteigenden Perſpektive der Rüfe, liegt das
eigentliche Skalära-Tobel. Es iſt keines jener ſchauerigſchönen, forft¬
umnachteten, tiefgeheimnißvollen Waldtobel mit dem phosphores¬
cirenden Moosgrün im feuchten Grunde und dem naiven, male¬
riſch-gelegenen Knüppelſteg über den plätſchernden, friſchen Berg¬
bach, — es iſt eine offene, baumloſe Schlucht, in welche die Sonne
unbehindert hineinſcheint, von kahlen zerfreſſenen, abgeſchieferten,
bröckeligen Felſenwänden, einige tauſend Fuß hoch, eingeſchloſſen,
an denen man die bänderartig gebogene, wellenförmig geknickte
Schichten-Struktur der granulirten, grau-ſandigen Schiefer ſtudiren
kann. In eigentlicher Pyramidenform (nicht paraboliſch), wachſen
die ſpitz im Triangel auslaufenden Felſenkouliſſen hintereinander
auf, die tieferen immer die vorderen überragend, und an den Kan¬
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