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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Rüfe.
brochen werden. Auffallender und ausgedehnter zeigen sich diese
schiefen Ebenen tiefer im Thale, hinter Ragaz, zwischen den Sta¬
tionen Meyenfeld und Landquart, am Fuße des malerischen, keck¬
ausgezackten, 8000 Fuß hohen Falknis, -- und am bedeutendsten,
wenn man die Landquart passirt hat, bis Chur, immer auf der
gleichen östlichen Seite, unter den originellen pyramidal-zuge¬
spitzten Hörnern der Hochwang- und Montaline-Kette. Alle sind
Resultate der allmähligen Gebirgsverwitterung, der immerwähren¬
den Herabschwemmung losbröckelnden Gesteines, also der fortdauern¬
den Alluvion, wie sie schon Seite 47 erwähnt wurde; freilich wohl
das Resultat von Jahrtausenden. Denn viele Ortschaften Grau¬
bündens, die schon im frühen Mittelalter genannt werden, liegen
auf solchen Anschwemmungs- und Schutt-Hügeln. Diese breitge¬
dehnte, stetig-ansteigende, schiefe Ebene, durch nahe liegende hohe
Felsen-Prospekte geschlossen, wird, wie gesagt, von breiten Schutt¬
rinnen durchschnitten, die wie durch einen Trichter geschüttet, oben
am Bergabhange schmal, nach unten, gegen den Rhein zu, im Thale
breit sich ausdehnen. Das sind die schrecklichen, von den Anwoh¬
nern gefürchteten Rüfen, die Abzugskanäle der im Gebirge sich
entladenden Donner- und Hagel-Wetter, der plötzlich in Strömen
herniederbrausenden Platzregen und der Schneeschmelze, -- die
während des größten Theiles vom Jahre trocken und trotzig-indif¬
ferent daliegen, aber, -- wenn sie zu thun bekommen und rasch in
Aktivität gerathen, dann um so Schrecken-erregender arbeiten. Ein
Spaziergang in eine dieser unheimlichen Werkstätten wird uns
näher mit deren Detail-Anordnung, deren durchaus eigenthümlichen
Eindrücken bekannt machen. Wählen wir dazu die Rüfe, welche
aus dem verrufenen, wenig besuchten, von keinem Gespenster-Gläu¬
bigen betretenen Skalära-Tobel zwischen Chur und Trimmis herab¬
kommt, par excellence "die große Rüfe" genannt, und steigen
wir aus dem breiten versandeten Rheinthale bergwärts auf.

Drunten decken magere, mit kurz-rispigen Gräsern dicht be¬

Die Rüfe.
brochen werden. Auffallender und ausgedehnter zeigen ſich dieſe
ſchiefen Ebenen tiefer im Thale, hinter Ragaz, zwiſchen den Sta¬
tionen Meyenfeld und Landquart, am Fuße des maleriſchen, keck¬
ausgezackten, 8000 Fuß hohen Falknis, — und am bedeutendſten,
wenn man die Landquart paſſirt hat, bis Chur, immer auf der
gleichen öſtlichen Seite, unter den originellen pyramidal-zuge¬
ſpitzten Hörnern der Hochwang- und Montaline-Kette. Alle ſind
Reſultate der allmähligen Gebirgsverwitterung, der immerwähren¬
den Herabſchwemmung losbröckelnden Geſteines, alſo der fortdauern¬
den Alluvion, wie ſie ſchon Seite 47 erwähnt wurde; freilich wohl
das Reſultat von Jahrtauſenden. Denn viele Ortſchaften Grau¬
bündens, die ſchon im frühen Mittelalter genannt werden, liegen
auf ſolchen Anſchwemmungs- und Schutt-Hügeln. Dieſe breitge¬
dehnte, ſtetig-anſteigende, ſchiefe Ebene, durch nahe liegende hohe
Felſen-Proſpekte geſchloſſen, wird, wie geſagt, von breiten Schutt¬
rinnen durchſchnitten, die wie durch einen Trichter geſchüttet, oben
am Bergabhange ſchmal, nach unten, gegen den Rhein zu, im Thale
breit ſich ausdehnen. Das ſind die ſchrecklichen, von den Anwoh¬
nern gefürchteten Rüfen, die Abzugskanäle der im Gebirge ſich
entladenden Donner- und Hagel-Wetter, der plötzlich in Strömen
herniederbrauſenden Platzregen und der Schneeſchmelze, — die
während des größten Theiles vom Jahre trocken und trotzig-indif¬
ferent daliegen, aber, — wenn ſie zu thun bekommen und raſch in
Aktivität gerathen, dann um ſo Schrecken-erregender arbeiten. Ein
Spaziergang in eine dieſer unheimlichen Werkſtätten wird uns
näher mit deren Detail-Anordnung, deren durchaus eigenthümlichen
Eindrücken bekannt machen. Wählen wir dazu die Rüfe, welche
aus dem verrufenen, wenig beſuchten, von keinem Geſpenſter-Gläu¬
bigen betretenen Skalära-Tobel zwiſchen Chur und Trimmis herab¬
kommt, par excellence „die große Rüfe“ genannt, und ſteigen
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[184/0212] Die Rüfe. brochen werden. Auffallender und ausgedehnter zeigen ſich dieſe ſchiefen Ebenen tiefer im Thale, hinter Ragaz, zwiſchen den Sta¬ tionen Meyenfeld und Landquart, am Fuße des maleriſchen, keck¬ ausgezackten, 8000 Fuß hohen Falknis, — und am bedeutendſten, wenn man die Landquart paſſirt hat, bis Chur, immer auf der gleichen öſtlichen Seite, unter den originellen pyramidal-zuge¬ ſpitzten Hörnern der Hochwang- und Montaline-Kette. Alle ſind Reſultate der allmähligen Gebirgsverwitterung, der immerwähren¬ den Herabſchwemmung losbröckelnden Geſteines, alſo der fortdauern¬ den Alluvion, wie ſie ſchon Seite 47 erwähnt wurde; freilich wohl das Reſultat von Jahrtauſenden. Denn viele Ortſchaften Grau¬ bündens, die ſchon im frühen Mittelalter genannt werden, liegen auf ſolchen Anſchwemmungs- und Schutt-Hügeln. Dieſe breitge¬ dehnte, ſtetig-anſteigende, ſchiefe Ebene, durch nahe liegende hohe Felſen-Proſpekte geſchloſſen, wird, wie geſagt, von breiten Schutt¬ rinnen durchſchnitten, die wie durch einen Trichter geſchüttet, oben am Bergabhange ſchmal, nach unten, gegen den Rhein zu, im Thale breit ſich ausdehnen. Das ſind die ſchrecklichen, von den Anwoh¬ nern gefürchteten Rüfen, die Abzugskanäle der im Gebirge ſich entladenden Donner- und Hagel-Wetter, der plötzlich in Strömen herniederbrauſenden Platzregen und der Schneeſchmelze, — die während des größten Theiles vom Jahre trocken und trotzig-indif¬ ferent daliegen, aber, — wenn ſie zu thun bekommen und raſch in Aktivität gerathen, dann um ſo Schrecken-erregender arbeiten. Ein Spaziergang in eine dieſer unheimlichen Werkſtätten wird uns näher mit deren Detail-Anordnung, deren durchaus eigenthümlichen Eindrücken bekannt machen. Wählen wir dazu die Rüfe, welche aus dem verrufenen, wenig beſuchten, von keinem Geſpenſter-Gläu¬ bigen betretenen Skalära-Tobel zwiſchen Chur und Trimmis herab¬ kommt, par excellence „die große Rüfe“ genannt, und ſteigen wir aus dem breiten verſandeten Rheinthale bergwärts auf. Drunten decken magere, mit kurz-rispigen Gräſern dicht be¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/212>, abgerufen am 24.11.2024.