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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Rother Schnee.
bläschen, Blüthenstaub, Gallert-Algen, schleimige Haut- oder Ader¬
moose, und man nannte sie Protococcus nivalis oder Schnee-Schleipe.
Der Kanonikus Lamon vom großen St. Bernhardskloster forschte
der Erscheinung weiter nach und äußerte in der Versammlung schwei¬
zerischer Naturforscher zu Lausanne 1828 zuerst die Vermuthung,
daß die rothen Kügelchen Thiere, Infusorien sein möchten. Der
gute spekulative Bernhardinermönch mußte gehässige Anfeindungen
und spottende Erwiederungen genug ertragen; denn seine Hypothesen
fanden wenig Glauben, und Hugi, in seiner Alpenreise, wies "mit
dem höchsten Unwillen" diese neuesten Entdeckungen zurück, indem
er nochmals den ganzen vegetabilischen Aufbau dieser im Eis wur¬
zelnden vermeintlichen Pflänzchen sammt Aesten, Zweigen und ar¬
terienartig verlaufenden Zäserchen genau beschrieb. Aber der Mönch
hatte dennoch recht. Es lebt eine vielgestaltige, wunderbar orga¬
nisirte Fauna von Infusorien in den Krystallpalästen des Firn¬
schnees von 7000 bis 9000 Fuß überm Meere, die dort sich her¬
umtummelt und ganz besonders geschäftige Thätigkeit entwickelt,
wenn durch Einwirkung der Sonnenwärme ein Theil der zu Eis
gebundenen Wassertheilchen schmilzt und den Firn heftig durch¬
feuchtet. Nie erscheinen sie im Gletscher und nie im frisch gefalle¬
nen sandig-trockenen Schnee, sondern stets im Firn und am liebsten
an jenen sonnigen Abhängen, wo frischer Schnee sich rasch in Firn
(körniger, grisselicher Eisschnee) verwandelt. Eine Generation mag
vielleicht einige Monate in voller Aktivität leben, während welcher
sie in brennendem Hochroth, einem Mittelton zwischen Karmin und
Zinnober, den Firn bis gegen zwei Zoll tief durchdringt, aber durch
die vorherrschend weiße Farbe des Firnschnees in ihrem Farben-Effekt
geschwächt, nur rosaroth erscheint. Nach Vollendung ihrer Lebens¬
frist und unbekannten Lebensaufgabe geht sie in bräunlichen und
zuletzt schwarzen Moder über, der nach und nach versinkt oder den
Firn strichweise durchfurcht.

Der Engländer Shuttleworth, mit hinlänglichen für wissen¬

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Rother Schnee.
bläschen, Blüthenſtaub, Gallert-Algen, ſchleimige Haut- oder Ader¬
mooſe, und man nannte ſie Protococcus nivalis oder Schnee-Schleipe.
Der Kanonikus Lamon vom großen St. Bernhardskloſter forſchte
der Erſcheinung weiter nach und äußerte in der Verſammlung ſchwei¬
zeriſcher Naturforſcher zu Lauſanne 1828 zuerſt die Vermuthung,
daß die rothen Kügelchen Thiere, Infuſorien ſein möchten. Der
gute ſpekulative Bernhardinermönch mußte gehäſſige Anfeindungen
und ſpottende Erwiederungen genug ertragen; denn ſeine Hypotheſen
fanden wenig Glauben, und Hugi, in ſeiner Alpenreiſe, wies „mit
dem höchſten Unwillen“ dieſe neueſten Entdeckungen zurück, indem
er nochmals den ganzen vegetabiliſchen Aufbau dieſer im Eis wur¬
zelnden vermeintlichen Pflänzchen ſammt Aeſten, Zweigen und ar¬
terienartig verlaufenden Zäſerchen genau beſchrieb. Aber der Mönch
hatte dennoch recht. Es lebt eine vielgeſtaltige, wunderbar orga¬
niſirte Fauna von Infuſorien in den Kryſtallpaläſten des Firn¬
ſchnees von 7000 bis 9000 Fuß überm Meere, die dort ſich her¬
umtummelt und ganz beſonders geſchäftige Thätigkeit entwickelt,
wenn durch Einwirkung der Sonnenwärme ein Theil der zu Eis
gebundenen Waſſertheilchen ſchmilzt und den Firn heftig durch¬
feuchtet. Nie erſcheinen ſie im Gletſcher und nie im friſch gefalle¬
nen ſandig-trockenen Schnee, ſondern ſtets im Firn und am liebſten
an jenen ſonnigen Abhängen, wo friſcher Schnee ſich raſch in Firn
(körniger, griſſelicher Eisſchnee) verwandelt. Eine Generation mag
vielleicht einige Monate in voller Aktivität leben, während welcher
ſie in brennendem Hochroth, einem Mittelton zwiſchen Karmin und
Zinnober, den Firn bis gegen zwei Zoll tief durchdringt, aber durch
die vorherrſchend weiße Farbe des Firnſchnees in ihrem Farben-Effekt
geſchwächt, nur roſaroth erſcheint. Nach Vollendung ihrer Lebens¬
friſt und unbekannten Lebensaufgabe geht ſie in bräunlichen und
zuletzt ſchwarzen Moder über, der nach und nach verſinkt oder den
Firn ſtrichweiſe durchfurcht.

Der Engländer Shuttleworth, mit hinlänglichen für wiſſen¬

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[179/0207] Rother Schnee. bläschen, Blüthenſtaub, Gallert-Algen, ſchleimige Haut- oder Ader¬ mooſe, und man nannte ſie Protococcus nivalis oder Schnee-Schleipe. Der Kanonikus Lamon vom großen St. Bernhardskloſter forſchte der Erſcheinung weiter nach und äußerte in der Verſammlung ſchwei¬ zeriſcher Naturforſcher zu Lauſanne 1828 zuerſt die Vermuthung, daß die rothen Kügelchen Thiere, Infuſorien ſein möchten. Der gute ſpekulative Bernhardinermönch mußte gehäſſige Anfeindungen und ſpottende Erwiederungen genug ertragen; denn ſeine Hypotheſen fanden wenig Glauben, und Hugi, in ſeiner Alpenreiſe, wies „mit dem höchſten Unwillen“ dieſe neueſten Entdeckungen zurück, indem er nochmals den ganzen vegetabiliſchen Aufbau dieſer im Eis wur¬ zelnden vermeintlichen Pflänzchen ſammt Aeſten, Zweigen und ar¬ terienartig verlaufenden Zäſerchen genau beſchrieb. Aber der Mönch hatte dennoch recht. Es lebt eine vielgeſtaltige, wunderbar orga¬ niſirte Fauna von Infuſorien in den Kryſtallpaläſten des Firn¬ ſchnees von 7000 bis 9000 Fuß überm Meere, die dort ſich her¬ umtummelt und ganz beſonders geſchäftige Thätigkeit entwickelt, wenn durch Einwirkung der Sonnenwärme ein Theil der zu Eis gebundenen Waſſertheilchen ſchmilzt und den Firn heftig durch¬ feuchtet. Nie erſcheinen ſie im Gletſcher und nie im friſch gefalle¬ nen ſandig-trockenen Schnee, ſondern ſtets im Firn und am liebſten an jenen ſonnigen Abhängen, wo friſcher Schnee ſich raſch in Firn (körniger, griſſelicher Eisſchnee) verwandelt. Eine Generation mag vielleicht einige Monate in voller Aktivität leben, während welcher ſie in brennendem Hochroth, einem Mittelton zwiſchen Karmin und Zinnober, den Firn bis gegen zwei Zoll tief durchdringt, aber durch die vorherrſchend weiße Farbe des Firnſchnees in ihrem Farben-Effekt geſchwächt, nur roſaroth erſcheint. Nach Vollendung ihrer Lebens¬ friſt und unbekannten Lebensaufgabe geht ſie in bräunlichen und zuletzt ſchwarzen Moder über, der nach und nach verſinkt oder den Firn ſtrichweiſe durchfurcht. Der Engländer Shuttleworth, mit hinlänglichen für wiſſen¬ 12*

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/207>, abgerufen am 24.11.2024.