spreizten Fächers, sammeln sich die zerstreueten Wasserstrahlen in einem ausgewaschenen Trümmerbecken, und kaum vereint, jagen sie mit überstürzender Eile schräg hinab, zwischen Felsenthoren hindurch, um abermals in neuen kleineren Fällen dem Uebermuthe ihrer Ju¬ gendkraft die Zügel schießen zu lassen. (Abbildung aller bisher genannten Wasserfälle, mit Ausnahme des erst vor wenig Jahren zugänglich gemachten Berard-Falles, findet man in meinem, bei J. J. Weber in Leipzig 1854, ohne meinen Namen erschienenen: "Illustrirten Alpenführer." -- Berlepsch.)
Das Kaskaden-System wiederholt sich in großem Zuschnitt bei den Wasserfällen der Jurakalk-Alpen. Dort veranlassen Schichten¬ wechsel, verschiedenartig geneigte Hebung der Sedimente und Aus¬ stufung der Schichtenköpfe eine natürliche Treppenanlage in den Flußbetten der Voralpen, welche sich am bedeutsamsten in den vier¬ zehn Kaskaden-Etagen des weltberühmt gewordenen Gießbaches am Brienzer See (gegenüber von Brienz) ausprägen. Er ist dadurch, daß er ungemein bequem liegt, ein nobler, comfortabler Gasthof dicht neben einen seiner Sturzfälle gebaut wurde, und während des Sommers wöchentlich mehrmals hinter seinen Schaumwellen bei Nacht bengalische Flammen angezündet werden, welche die Wasser¬ massen in transparent glühende Feuerströme umwandeln, das Wan¬ derziel aller Touristen geworden. In noch größeren Cäsuren treten die Reichenbach-Fälle, zwischen Meyringen und Rosenlaui auf; sie vereinigen eine Musterkarte aller bisher beschriebenen Formen, frei¬ lich ohne allenthalben deren erschütternde Großartigkeit zu besitzen.
Es erübriget endlich noch, einer Gattung von Wasserfällen zu gedenken, die in großem Maßstabe, minder im Gebirge als viel¬ mehr am Fuße desselben vorkommen; diese sind die Laufen oder Stromschnellen. Schon die Bezeichnung sagt deutlich, daß sie weniger eigentliche Fälle, als beschleunigte, schräg-abjagende Flu߬ massen sind, gewissermaßen von der Natur gebaute, gigantische Wehre. Der renommirteste Laufen ist der weltbekannte Rheinfall
Der Waſſerfall.
ſpreizten Fächers, ſammeln ſich die zerſtreueten Waſſerſtrahlen in einem ausgewaſchenen Trümmerbecken, und kaum vereint, jagen ſie mit überſtürzender Eile ſchräg hinab, zwiſchen Felſenthoren hindurch, um abermals in neuen kleineren Fällen dem Uebermuthe ihrer Ju¬ gendkraft die Zügel ſchießen zu laſſen. (Abbildung aller bisher genannten Waſſerfälle, mit Ausnahme des erſt vor wenig Jahren zugänglich gemachten Bérard-Falles, findet man in meinem, bei J. J. Weber in Leipzig 1854, ohne meinen Namen erſchienenen: „Illuſtrirten Alpenführer.“ — Berlepſch.)
Das Kaskaden-Syſtem wiederholt ſich in großem Zuſchnitt bei den Waſſerfällen der Jurakalk-Alpen. Dort veranlaſſen Schichten¬ wechſel, verſchiedenartig geneigte Hebung der Sedimente und Aus¬ ſtufung der Schichtenköpfe eine natürliche Treppenanlage in den Flußbetten der Voralpen, welche ſich am bedeutſamſten in den vier¬ zehn Kaskaden-Etagen des weltberühmt gewordenen Gießbaches am Brienzer See (gegenüber von Brienz) ausprägen. Er iſt dadurch, daß er ungemein bequem liegt, ein nobler, comfortabler Gaſthof dicht neben einen ſeiner Sturzfälle gebaut wurde, und während des Sommers wöchentlich mehrmals hinter ſeinen Schaumwellen bei Nacht bengaliſche Flammen angezündet werden, welche die Waſſer¬ maſſen in transparent glühende Feuerſtröme umwandeln, das Wan¬ derziel aller Touriſten geworden. In noch größeren Cäſuren treten die Reichenbach-Fälle, zwiſchen Meyringen und Roſenlaui auf; ſie vereinigen eine Muſterkarte aller bisher beſchriebenen Formen, frei¬ lich ohne allenthalben deren erſchütternde Großartigkeit zu beſitzen.
Es erübriget endlich noch, einer Gattung von Waſſerfällen zu gedenken, die in großem Maßſtabe, minder im Gebirge als viel¬ mehr am Fuße deſſelben vorkommen; dieſe ſind die Laufen oder Stromſchnellen. Schon die Bezeichnung ſagt deutlich, daß ſie weniger eigentliche Fälle, als beſchleunigte, ſchräg-abjagende Flu߬ maſſen ſind, gewiſſermaßen von der Natur gebaute, gigantiſche Wehre. Der renommirteſte Laufen iſt der weltbekannte Rheinfall
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Der Waſſerfall.
ſpreizten Fächers, ſammeln ſich die zerſtreueten Waſſerſtrahlen in
einem ausgewaſchenen Trümmerbecken, und kaum vereint, jagen ſie
mit überſtürzender Eile ſchräg hinab, zwiſchen Felſenthoren hindurch,
um abermals in neuen kleineren Fällen dem Uebermuthe ihrer Ju¬
gendkraft die Zügel ſchießen zu laſſen. (Abbildung aller bisher
genannten Waſſerfälle, mit Ausnahme des erſt vor wenig Jahren
zugänglich gemachten Bérard-Falles, findet man in meinem, bei
J. J. Weber in Leipzig 1854, ohne meinen Namen erſchienenen:
„Illuſtrirten Alpenführer.“ — Berlepſch.)
Das Kaskaden-Syſtem wiederholt ſich in großem Zuſchnitt bei
den Waſſerfällen der Jurakalk-Alpen. Dort veranlaſſen Schichten¬
wechſel, verſchiedenartig geneigte Hebung der Sedimente und Aus¬
ſtufung der Schichtenköpfe eine natürliche Treppenanlage in den
Flußbetten der Voralpen, welche ſich am bedeutſamſten in den vier¬
zehn Kaskaden-Etagen des weltberühmt gewordenen Gießbaches am
Brienzer See (gegenüber von Brienz) ausprägen. Er iſt dadurch,
daß er ungemein bequem liegt, ein nobler, comfortabler Gaſthof
dicht neben einen ſeiner Sturzfälle gebaut wurde, und während des
Sommers wöchentlich mehrmals hinter ſeinen Schaumwellen bei
Nacht bengaliſche Flammen angezündet werden, welche die Waſſer¬
maſſen in transparent glühende Feuerſtröme umwandeln, das Wan¬
derziel aller Touriſten geworden. In noch größeren Cäſuren treten
die Reichenbach-Fälle, zwiſchen Meyringen und Roſenlaui auf; ſie
vereinigen eine Muſterkarte aller bisher beſchriebenen Formen, frei¬
lich ohne allenthalben deren erſchütternde Großartigkeit zu beſitzen.
Es erübriget endlich noch, einer Gattung von Waſſerfällen zu
gedenken, die in großem Maßſtabe, minder im Gebirge als viel¬
mehr am Fuße deſſelben vorkommen; dieſe ſind die Laufen oder
Stromſchnellen. Schon die Bezeichnung ſagt deutlich, daß ſie
weniger eigentliche Fälle, als beſchleunigte, ſchräg-abjagende Flu߬
maſſen ſind, gewiſſermaßen von der Natur gebaute, gigantiſche
Wehre. Der renommirteſte Laufen iſt der weltbekannte Rheinfall
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/190>, abgerufen am 16.02.2025.
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