an den Höhen der Felsenwände hinzischenden Blitze und das fürch¬ terlich prasselnde, Alles erschütternde Rollen des Donners dienen dann dem wüthenden Gewässer als schreckliche, aber auch furchtbar erhabene Begleitung. Eine Scene aus dem Final-Drama des Weltgerichtes scheint verwirklichet zu werden, wenn ein ähnliches Wetter wie das eben beschriebene über das Thal hereinbricht, und es bedarf jener Besonnenheit und stoischen Ruhe, die der Gebirgs¬ bewohner aus seinem täglichen Kampfe mit den Elementen gewinnt, um hier nicht die Geistesgegenwart zu verlieren und auf jeden An¬ griff gefaßt zu sein, der dem Thale durch Ueberschwemmung droht.
Schließen wir diese ausführliche Schilderung eines alpinen Wasserfalles, der unerschöpflichen Stoff darbietet, mit dem beruhi¬ genden, mild ansprechenden Bilde seiner Erscheinung im blassen Lichte des Mondenscheines.
Verliert sich die Sonne hinter die Berge, so werden durch die verschieden gezackten Erhöhungen der Felsenwand lange Striche von dunkelen Schatten hervorgebracht, welche die Wassersäule in einzelne Parzellen zu zerschneiden scheinen und den in der Be¬ schattung liegenden Theil des Falles fast gänzlich unsichtbar machen. Wenn endlich das helle Sonnenlicht in der Luft durchaus ver¬ schwunden ist, so breitet sich allmählig todte Blässe über die ganze Fluh aus, der Reichthum des Wassers scheint völlig zu versiegen und nur noch ein kleines unbedeutendes Bächlein über die Felsen hinabzuschleichen. Mit Einbruch der Nacht verliert sich das Ein¬ zelne des majestätischen Sturzes und seiner Bewegungen je mehr und mehr. Nur eine weiße Riesengestalt, ein geisterbleiches Nebel¬ bild, das in langfaltigem, starr herabhängendem Mantel unver¬ wandt an der Felsenmauer lehnt, überragt hoch die schweigend im Dunkel gelagerten braunen Friedenshütten der Menschen. Aber nicht lange währt diese unheimliche Uebergangsperiode; bald kehrt wieder Leben in die Gestalt. Ueber den ewigen Firnzinken der Jungfrau steigt der "blasse Freund der Noth und der Nacht, der
Der Wasserfall.
an den Höhen der Felſenwände hinziſchenden Blitze und das fürch¬ terlich praſſelnde, Alles erſchütternde Rollen des Donners dienen dann dem wüthenden Gewäſſer als ſchreckliche, aber auch furchtbar erhabene Begleitung. Eine Scene aus dem Final-Drama des Weltgerichtes ſcheint verwirklichet zu werden, wenn ein ähnliches Wetter wie das eben beſchriebene über das Thal hereinbricht, und es bedarf jener Beſonnenheit und ſtoiſchen Ruhe, die der Gebirgs¬ bewohner aus ſeinem täglichen Kampfe mit den Elementen gewinnt, um hier nicht die Geiſtesgegenwart zu verlieren und auf jeden An¬ griff gefaßt zu ſein, der dem Thale durch Ueberſchwemmung droht.
Schließen wir dieſe ausführliche Schilderung eines alpinen Waſſerfalles, der unerſchöpflichen Stoff darbietet, mit dem beruhi¬ genden, mild anſprechenden Bilde ſeiner Erſcheinung im blaſſen Lichte des Mondenſcheines.
Verliert ſich die Sonne hinter die Berge, ſo werden durch die verſchieden gezackten Erhöhungen der Felſenwand lange Striche von dunkelen Schatten hervorgebracht, welche die Waſſerſäule in einzelne Parzellen zu zerſchneiden ſcheinen und den in der Be¬ ſchattung liegenden Theil des Falles faſt gänzlich unſichtbar machen. Wenn endlich das helle Sonnenlicht in der Luft durchaus ver¬ ſchwunden iſt, ſo breitet ſich allmählig todte Bläſſe über die ganze Fluh aus, der Reichthum des Waſſers ſcheint völlig zu verſiegen und nur noch ein kleines unbedeutendes Bächlein über die Felſen hinabzuſchleichen. Mit Einbruch der Nacht verliert ſich das Ein¬ zelne des majeſtätiſchen Sturzes und ſeiner Bewegungen je mehr und mehr. Nur eine weiße Rieſengeſtalt, ein geiſterbleiches Nebel¬ bild, das in langfaltigem, ſtarr herabhängendem Mantel unver¬ wandt an der Felſenmauer lehnt, überragt hoch die ſchweigend im Dunkel gelagerten braunen Friedenshütten der Menſchen. Aber nicht lange währt dieſe unheimliche Uebergangsperiode; bald kehrt wieder Leben in die Geſtalt. Ueber den ewigen Firnzinken der Jungfrau ſteigt der „blaſſe Freund der Noth und der Nacht, der
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Der Wasserfall.
an den Höhen der Felſenwände hinziſchenden Blitze und das fürch¬
terlich praſſelnde, Alles erſchütternde Rollen des Donners dienen
dann dem wüthenden Gewäſſer als ſchreckliche, aber auch furchtbar
erhabene Begleitung. Eine Scene aus dem Final-Drama des
Weltgerichtes ſcheint verwirklichet zu werden, wenn ein ähnliches
Wetter wie das eben beſchriebene über das Thal hereinbricht, und
es bedarf jener Beſonnenheit und ſtoiſchen Ruhe, die der Gebirgs¬
bewohner aus ſeinem täglichen Kampfe mit den Elementen gewinnt,
um hier nicht die Geiſtesgegenwart zu verlieren und auf jeden An¬
griff gefaßt zu ſein, der dem Thale durch Ueberſchwemmung droht.
Schließen wir dieſe ausführliche Schilderung eines alpinen
Waſſerfalles, der unerſchöpflichen Stoff darbietet, mit dem beruhi¬
genden, mild anſprechenden Bilde ſeiner Erſcheinung im blaſſen
Lichte des Mondenſcheines.
Verliert ſich die Sonne hinter die Berge, ſo werden durch die
verſchieden gezackten Erhöhungen der Felſenwand lange Striche
von dunkelen Schatten hervorgebracht, welche die Waſſerſäule in
einzelne Parzellen zu zerſchneiden ſcheinen und den in der Be¬
ſchattung liegenden Theil des Falles faſt gänzlich unſichtbar machen.
Wenn endlich das helle Sonnenlicht in der Luft durchaus ver¬
ſchwunden iſt, ſo breitet ſich allmählig todte Bläſſe über die ganze
Fluh aus, der Reichthum des Waſſers ſcheint völlig zu verſiegen
und nur noch ein kleines unbedeutendes Bächlein über die Felſen
hinabzuſchleichen. Mit Einbruch der Nacht verliert ſich das Ein¬
zelne des majeſtätiſchen Sturzes und ſeiner Bewegungen je mehr
und mehr. Nur eine weiße Rieſengeſtalt, ein geiſterbleiches Nebel¬
bild, das in langfaltigem, ſtarr herabhängendem Mantel unver¬
wandt an der Felſenmauer lehnt, überragt hoch die ſchweigend im
Dunkel gelagerten braunen Friedenshütten der Menſchen. Aber
nicht lange währt dieſe unheimliche Uebergangsperiode; bald kehrt
wieder Leben in die Geſtalt. Ueber den ewigen Firnzinken der
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/184>, abgerufen am 16.02.2025.
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