Schleierfalles taufte. Die innere Partie des Staubbaches fällt abwärts der Mitte ihres Weges, als wollte sie versuchen sich an¬ zuhalten, auf eine schräg vorstehende Bank der Fluh, und rieselt von da in tausend blendenden Schaumstrahlen vollends an dem dunkeln Gestein nach dem Kessel hinab, während die äußere durch Schnelligkeit und Schwere die Luft unter sich pressend in Millionen Schaumbläschen immer mehr zerschellt und weit herum einen immer¬ währenden Thau zur Erde spritzt.
Es ist unterhaltend, das Wasser von seinem Ausströmen an der hohen Felsrinne bis zu seinem Zerstieben mit dem Blicke zu verfolgen. Erst bricht es so wüthend hervor, daß man vor dem furchtbaren Sturze erschrickt, -- aber kaum hundert Fuß gefallen, breitet sichs reichlich aus; die zusammengedrängte Säule zerfließt in einzelne schneeweiße Wölkchen, die man Wasser-Raketen nennen möchte, weil sie, forteilend gleich jenen flammenden Feuerköpfen, einen Schweif zurücklassen, der eine halbe Sekunde lang ihre Bahn bezeichnet, bis sie, völlig in Wasserfunken auseinandersprühend, sich zur Unsichtbarkeit verlieren.
Lieblich ist im Staubbach das mannigfaltige Spiel des Win¬ des. Das Wasser erregt durch sich selbst und seinen Fall bestän¬ digen Luftzug; doch diese Bewegung trägt allein die feinen Thau¬ tropfen ins Weite und kann nicht den Bach im Ganzen ergreifen. Sobald aber ein Windstoß den Gießen überfällt, so zeigen sich überraschende, seltsame Erscheinungen. Oft geschiehts, wenn der Föhnwind mit heftiger Gewalt gegen die Mündung des Baches stößt, daß dadurch das Wasser ganz zurückgetrieben wird und zu¬ weilen zwei Minuten lang fast kein Tropfen über den Berg her¬ abfällt. Zu anderen Zeiten führt der Luftzug ganze Schaaren durchsichtiger Wölkchen aus dem schwebenden Dunstnebel davon und bietet höchst ergötzliche Schauspiele dar. Am Lustigsten aber ists, wenn ein kräftiger Sturm den gesammten Bach droben in der Höhe erfaßt und entweder thaleinwärts oder thalauswärts so gänz¬
Der Waſſerfall.
Schleierfalles taufte. Die innere Partie des Staubbaches fällt abwärts der Mitte ihres Weges, als wollte ſie verſuchen ſich an¬ zuhalten, auf eine ſchräg vorſtehende Bank der Fluh, und rieſelt von da in tauſend blendenden Schaumſtrahlen vollends an dem dunkeln Geſtein nach dem Keſſel hinab, während die äußere durch Schnelligkeit und Schwere die Luft unter ſich preſſend in Millionen Schaumbläschen immer mehr zerſchellt und weit herum einen immer¬ währenden Thau zur Erde ſpritzt.
Es iſt unterhaltend, das Waſſer von ſeinem Ausſtrömen an der hohen Felsrinne bis zu ſeinem Zerſtieben mit dem Blicke zu verfolgen. Erſt bricht es ſo wüthend hervor, daß man vor dem furchtbaren Sturze erſchrickt, — aber kaum hundert Fuß gefallen, breitet ſichs reichlich aus; die zuſammengedrängte Säule zerfließt in einzelne ſchneeweiße Wölkchen, die man Waſſer-Raketen nennen möchte, weil ſie, forteilend gleich jenen flammenden Feuerköpfen, einen Schweif zurücklaſſen, der eine halbe Sekunde lang ihre Bahn bezeichnet, bis ſie, völlig in Waſſerfunken auseinanderſprühend, ſich zur Unſichtbarkeit verlieren.
Lieblich iſt im Staubbach das mannigfaltige Spiel des Win¬ des. Das Waſſer erregt durch ſich ſelbſt und ſeinen Fall beſtän¬ digen Luftzug; doch dieſe Bewegung trägt allein die feinen Thau¬ tropfen ins Weite und kann nicht den Bach im Ganzen ergreifen. Sobald aber ein Windſtoß den Gießen überfällt, ſo zeigen ſich überraſchende, ſeltſame Erſcheinungen. Oft geſchiehts, wenn der Föhnwind mit heftiger Gewalt gegen die Mündung des Baches ſtößt, daß dadurch das Waſſer ganz zurückgetrieben wird und zu¬ weilen zwei Minuten lang faſt kein Tropfen über den Berg her¬ abfällt. Zu anderen Zeiten führt der Luftzug ganze Schaaren durchſichtiger Wölkchen aus dem ſchwebenden Dunſtnebel davon und bietet höchſt ergötzliche Schauſpiele dar. Am Luſtigſten aber iſts, wenn ein kräftiger Sturm den geſammten Bach droben in der Höhe erfaßt und entweder thaleinwärts oder thalauswärts ſo gänz¬
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Der Waſſerfall.
Schleierfalles taufte. Die innere Partie des Staubbaches fällt
abwärts der Mitte ihres Weges, als wollte ſie verſuchen ſich an¬
zuhalten, auf eine ſchräg vorſtehende Bank der Fluh, und rieſelt
von da in tauſend blendenden Schaumſtrahlen vollends an dem
dunkeln Geſtein nach dem Keſſel hinab, während die äußere durch
Schnelligkeit und Schwere die Luft unter ſich preſſend in Millionen
Schaumbläschen immer mehr zerſchellt und weit herum einen immer¬
währenden Thau zur Erde ſpritzt.
Es iſt unterhaltend, das Waſſer von ſeinem Ausſtrömen an
der hohen Felsrinne bis zu ſeinem Zerſtieben mit dem Blicke zu
verfolgen. Erſt bricht es ſo wüthend hervor, daß man vor dem
furchtbaren Sturze erſchrickt, — aber kaum hundert Fuß gefallen,
breitet ſichs reichlich aus; die zuſammengedrängte Säule zerfließt
in einzelne ſchneeweiße Wölkchen, die man Waſſer-Raketen nennen
möchte, weil ſie, forteilend gleich jenen flammenden Feuerköpfen,
einen Schweif zurücklaſſen, der eine halbe Sekunde lang ihre Bahn
bezeichnet, bis ſie, völlig in Waſſerfunken auseinanderſprühend, ſich
zur Unſichtbarkeit verlieren.
Lieblich iſt im Staubbach das mannigfaltige Spiel des Win¬
des. Das Waſſer erregt durch ſich ſelbſt und ſeinen Fall beſtän¬
digen Luftzug; doch dieſe Bewegung trägt allein die feinen Thau¬
tropfen ins Weite und kann nicht den Bach im Ganzen ergreifen.
Sobald aber ein Windſtoß den Gießen überfällt, ſo zeigen ſich
überraſchende, ſeltſame Erſcheinungen. Oft geſchiehts, wenn der
Föhnwind mit heftiger Gewalt gegen die Mündung des Baches
ſtößt, daß dadurch das Waſſer ganz zurückgetrieben wird und zu¬
weilen zwei Minuten lang faſt kein Tropfen über den Berg her¬
abfällt. Zu anderen Zeiten führt der Luftzug ganze Schaaren
durchſichtiger Wölkchen aus dem ſchwebenden Dunſtnebel davon
und bietet höchſt ergötzliche Schauſpiele dar. Am Luſtigſten aber
iſts, wenn ein kräftiger Sturm den geſammten Bach droben in der
Höhe erfaßt und entweder thaleinwärts oder thalauswärts ſo gänz¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/180>, abgerufen am 16.02.2025.
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