höhe sich fast ganz zu verflüchtigen scheinen, bis sie die Sohle ihres neuen Strombettes erreichen. Durch diesen Umstand wird er aber zugleich zum Proteus wie wenig andere und bietet in den verschiedenen Tages- und Jahreszeiten so wunderbare Metamor¬ phosen dar, daß er fortwährend ein anderer zu sein scheint und darum die verschiedenartigsten und entgegengesetztesten Kritiken über sich ergehen lassen mußte.
Auch er unterliegt, wie jeder andere Wasserfall, den bedingen¬ den Einwirkungen derjenigen Naturereignisse, welche seine Wasser¬ menge bereichern, vergrößern und somit seinem Sturz mehr Körper verleihen, oder im Gegentheil dieselbe vermindern, schwächen und das Schauspiel des Falles bei der außerordentlichen Höhe von mehr als achthundert Fuß fast in Nichts auflösen. Nach lange andauerndem Regenwetter, nach heftigen Gewittern und im Früh¬ sommer, wenn der Schnee von den Alpen geht, ist der Staubbach und alle seine in den Alpen vielfach zerstreuten Form-Genossen eine imposante, mitunter sogar schrecklich-schöne Erscheinung, die auf je¬ den Besucher tiefen Eindruck machen wird. Ists jedoch im Hoch¬ sommer nach wochenlanger Trockenheit, so begegnet es schon, daß man statt des berühmten Staubbach-Falles nur die hohe nasse Ge¬ birgswand zu sehen bekommt, über welche sonst die schöne Wasser¬ garbe herabzuschießen pflegt, -- vom eigentlichen Wasserfall aber keine Spur entdeckt. -- Nächst diesen Umständen, welche also über¬ haupt die Existenz des Wasserfalles bedingen, sind es noch andere, welchen Rechnung getragen werden muß. Selbst beim Vorhanden¬ sein genügender Wasserfülle ist es nicht gleichgültig, um welche Tageszeit man den Staubbach besucht. Liegt er im Schatten, ists Nachmittags, dann wird er bei Weitem nicht so voll und reich erscheinen, als am Vormittage, wenn die Sonnenstrahlen jeden Wassertropfen durchglänzen und die Milliarden der zu Wasserstaub aufgelösten, blinkenden Körperchen in einer Brillanz und funkelnden Pracht erscheinen lassen, die außerordentlich in ihrer Art sind.
Der Waſſerfall.
höhe ſich faſt ganz zu verflüchtigen ſcheinen, bis ſie die Sohle ihres neuen Strombettes erreichen. Durch dieſen Umſtand wird er aber zugleich zum Proteus wie wenig andere und bietet in den verſchiedenen Tages- und Jahreszeiten ſo wunderbare Metamor¬ phoſen dar, daß er fortwährend ein anderer zu ſein ſcheint und darum die verſchiedenartigſten und entgegengeſetzteſten Kritiken über ſich ergehen laſſen mußte.
Auch er unterliegt, wie jeder andere Waſſerfall, den bedingen¬ den Einwirkungen derjenigen Naturereigniſſe, welche ſeine Waſſer¬ menge bereichern, vergrößern und ſomit ſeinem Sturz mehr Körper verleihen, oder im Gegentheil dieſelbe vermindern, ſchwächen und das Schauſpiel des Falles bei der außerordentlichen Höhe von mehr als achthundert Fuß faſt in Nichts auflöſen. Nach lange andauerndem Regenwetter, nach heftigen Gewittern und im Früh¬ ſommer, wenn der Schnee von den Alpen geht, iſt der Staubbach und alle ſeine in den Alpen vielfach zerſtreuten Form-Genoſſen eine impoſante, mitunter ſogar ſchrecklich-ſchöne Erſcheinung, die auf je¬ den Beſucher tiefen Eindruck machen wird. Iſts jedoch im Hoch¬ ſommer nach wochenlanger Trockenheit, ſo begegnet es ſchon, daß man ſtatt des berühmten Staubbach-Falles nur die hohe naſſe Ge¬ birgswand zu ſehen bekommt, über welche ſonſt die ſchöne Waſſer¬ garbe herabzuſchießen pflegt, — vom eigentlichen Waſſerfall aber keine Spur entdeckt. — Nächſt dieſen Umſtänden, welche alſo über¬ haupt die Exiſtenz des Waſſerfalles bedingen, ſind es noch andere, welchen Rechnung getragen werden muß. Selbſt beim Vorhanden¬ ſein genügender Waſſerfülle iſt es nicht gleichgültig, um welche Tageszeit man den Staubbach beſucht. Liegt er im Schatten, iſts Nachmittags, dann wird er bei Weitem nicht ſo voll und reich erſcheinen, als am Vormittage, wenn die Sonnenſtrahlen jeden Waſſertropfen durchglänzen und die Milliarden der zu Waſſerſtaub aufgelöſten, blinkenden Körperchen in einer Brillanz und funkelnden Pracht erſcheinen laſſen, die außerordentlich in ihrer Art ſind.
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Der Waſſerfall.
höhe ſich faſt ganz zu verflüchtigen ſcheinen, bis ſie die Sohle
ihres neuen Strombettes erreichen. Durch dieſen Umſtand wird
er aber zugleich zum Proteus wie wenig andere und bietet in den
verſchiedenen Tages- und Jahreszeiten ſo wunderbare Metamor¬
phoſen dar, daß er fortwährend ein anderer zu ſein ſcheint und
darum die verſchiedenartigſten und entgegengeſetzteſten Kritiken über
ſich ergehen laſſen mußte.
Auch er unterliegt, wie jeder andere Waſſerfall, den bedingen¬
den Einwirkungen derjenigen Naturereigniſſe, welche ſeine Waſſer¬
menge bereichern, vergrößern und ſomit ſeinem Sturz mehr Körper
verleihen, oder im Gegentheil dieſelbe vermindern, ſchwächen und
das Schauſpiel des Falles bei der außerordentlichen Höhe von
mehr als achthundert Fuß faſt in Nichts auflöſen. Nach lange
andauerndem Regenwetter, nach heftigen Gewittern und im Früh¬
ſommer, wenn der Schnee von den Alpen geht, iſt der Staubbach
und alle ſeine in den Alpen vielfach zerſtreuten Form-Genoſſen eine
impoſante, mitunter ſogar ſchrecklich-ſchöne Erſcheinung, die auf je¬
den Beſucher tiefen Eindruck machen wird. Iſts jedoch im Hoch¬
ſommer nach wochenlanger Trockenheit, ſo begegnet es ſchon, daß
man ſtatt des berühmten Staubbach-Falles nur die hohe naſſe Ge¬
birgswand zu ſehen bekommt, über welche ſonſt die ſchöne Waſſer¬
garbe herabzuſchießen pflegt, — vom eigentlichen Waſſerfall aber
keine Spur entdeckt. — Nächſt dieſen Umſtänden, welche alſo über¬
haupt die Exiſtenz des Waſſerfalles bedingen, ſind es noch andere,
welchen Rechnung getragen werden muß. Selbſt beim Vorhanden¬
ſein genügender Waſſerfülle iſt es nicht gleichgültig, um welche
Tageszeit man den Staubbach beſucht. Liegt er im Schatten, iſts
Nachmittags, dann wird er bei Weitem nicht ſo voll und reich
erſcheinen, als am Vormittage, wenn die Sonnenſtrahlen jeden
Waſſertropfen durchglänzen und die Milliarden der zu Waſſerſtaub
aufgelöſten, blinkenden Körperchen in einer Brillanz und funkelnden
Pracht erſcheinen laſſen, die außerordentlich in ihrer Art ſind.
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/176>, abgerufen am 24.11.2024.
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