weißgetünchten Kämmerlein, obwohl hart, war immerhin besser als ein feuchtes Alp-Heulager.
Ueberall, wo man sich gegenseitig durch das Mittel der Sprache verständigen kann, findet der nach Unterhaltung sich sehnende Rei¬ sende selbst beim einseitigsten und trockensten Gesellschafter irgend ein Hinterpförtchen, um ihn aus der Verschanzung des nüchternen Ja und Nein hinaus auf das Feld der Gedanken-Aeußerung zu drängen, und dort läßt sich von einem Jeden, und wäre es der ungebildetste Bauer, immer noch Etwas lernen. Aber auch dieses bescheidene Mittel hört auf, wenn man sich nicht gegenseitig ver¬ ständigen kann. So ging's auch mir. In meinen Schuljahren waren mir die Stunden des französischen Sprachunterrichtes immer die langweiligsten, und ich wäre hier gänzlich trostlos daran ge¬ wesen, wenn mich in späteren Jahren nicht die Nothwendigkeit ge¬ zwungen hätte, das in der Jugend Versäumte nachzuholen. Jetzt sprach ich nun zwar grammatikalisch Französisch, und die Wirthin, so wie einige der anwesenden Bauern, verstanden mich wohl, -- aber ich verstand ihr verschwimmend romanisch-französisches Patois nur unzusammenhängend, meist halb errathend. Dieses Hinderniß mußte überwunden werden; mit einer wahren Sündfluth von "comment s'appelle cela?" und "qu'est cela"? begann ich mir ein Vokabularium anzulegen. Das führte denn zu einem höchst komischen Vorfall. Zur Erlustigung sämmtlicher Gäste, die eben¬ falls wie ich an der Langeweile litten, begann ich nämlich Schule zu halten, aber in umgekehrtem Verhältniß, das heißt so, daß ich, der ich einziger Schüler, war und acht oder zehn trinkende und rauchende Lehrer um mich sitzen hatte, diesen meine Fragen vor¬ legte und Alle, wie aus einem Munde, mich beantwortend unterrich¬ teten. Da gabs denn tüchtig zu lachen. Ein paar Maß des schon erwähnten Yvorner Weines, der hier spottbillig ist, unter¬ stützten meine wißbegierigen Bestrebungen, und in meinem Tage¬ buche füllte sich Seite um Seite. Dieser Spaß vertrieb uns
Eine Nebel-Novelle.
weißgetünchten Kämmerlein, obwohl hart, war immerhin beſſer als ein feuchtes Alp-Heulager.
Ueberall, wo man ſich gegenſeitig durch das Mittel der Sprache verſtändigen kann, findet der nach Unterhaltung ſich ſehnende Rei¬ ſende ſelbſt beim einſeitigſten und trockenſten Geſellſchafter irgend ein Hinterpförtchen, um ihn aus der Verſchanzung des nüchternen Ja und Nein hinaus auf das Feld der Gedanken-Aeußerung zu drängen, und dort läßt ſich von einem Jeden, und wäre es der ungebildetſte Bauer, immer noch Etwas lernen. Aber auch dieſes beſcheidene Mittel hört auf, wenn man ſich nicht gegenſeitig ver¬ ſtändigen kann. So ging's auch mir. In meinen Schuljahren waren mir die Stunden des franzöſiſchen Sprachunterrichtes immer die langweiligſten, und ich wäre hier gänzlich troſtlos daran ge¬ weſen, wenn mich in ſpäteren Jahren nicht die Nothwendigkeit ge¬ zwungen hätte, das in der Jugend Verſäumte nachzuholen. Jetzt ſprach ich nun zwar grammatikaliſch Franzöſiſch, und die Wirthin, ſo wie einige der anweſenden Bauern, verſtanden mich wohl, — aber ich verſtand ihr verſchwimmend romaniſch-franzöſiſches Patois nur unzuſammenhängend, meiſt halb errathend. Dieſes Hinderniß mußte überwunden werden; mit einer wahren Sündfluth von „comment s'appelle cela?“ und „qu'est cela“? begann ich mir ein Vokabularium anzulegen. Das führte denn zu einem höchſt komiſchen Vorfall. Zur Erluſtigung ſämmtlicher Gäſte, die eben¬ falls wie ich an der Langeweile litten, begann ich nämlich Schule zu halten, aber in umgekehrtem Verhältniß, das heißt ſo, daß ich, der ich einziger Schüler, war und acht oder zehn trinkende und rauchende Lehrer um mich ſitzen hatte, dieſen meine Fragen vor¬ legte und Alle, wie aus einem Munde, mich beantwortend unterrich¬ teten. Da gabs denn tüchtig zu lachen. Ein paar Maß des ſchon erwähnten Yvorner Weines, der hier ſpottbillig iſt, unter¬ ſtützten meine wißbegierigen Beſtrebungen, und in meinem Tage¬ buche füllte ſich Seite um Seite. Dieſer Spaß vertrieb uns
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Eine Nebel-Novelle.
weißgetünchten Kämmerlein, obwohl hart, war immerhin beſſer als
ein feuchtes Alp-Heulager.
Ueberall, wo man ſich gegenſeitig durch das Mittel der Sprache
verſtändigen kann, findet der nach Unterhaltung ſich ſehnende Rei¬
ſende ſelbſt beim einſeitigſten und trockenſten Geſellſchafter irgend
ein Hinterpförtchen, um ihn aus der Verſchanzung des nüchternen
Ja und Nein hinaus auf das Feld der Gedanken-Aeußerung zu
drängen, und dort läßt ſich von einem Jeden, und wäre es der
ungebildetſte Bauer, immer noch Etwas lernen. Aber auch dieſes
beſcheidene Mittel hört auf, wenn man ſich nicht gegenſeitig ver¬
ſtändigen kann. So ging's auch mir. In meinen Schuljahren
waren mir die Stunden des franzöſiſchen Sprachunterrichtes immer
die langweiligſten, und ich wäre hier gänzlich troſtlos daran ge¬
weſen, wenn mich in ſpäteren Jahren nicht die Nothwendigkeit ge¬
zwungen hätte, das in der Jugend Verſäumte nachzuholen. Jetzt
ſprach ich nun zwar grammatikaliſch Franzöſiſch, und die Wirthin,
ſo wie einige der anweſenden Bauern, verſtanden mich wohl, —
aber ich verſtand ihr verſchwimmend romaniſch-franzöſiſches Patois
nur unzuſammenhängend, meiſt halb errathend. Dieſes Hinderniß
mußte überwunden werden; mit einer wahren Sündfluth von
„comment s'appelle cela?“ und „qu'est cela“? begann ich mir
ein Vokabularium anzulegen. Das führte denn zu einem höchſt
komiſchen Vorfall. Zur Erluſtigung ſämmtlicher Gäſte, die eben¬
falls wie ich an der Langeweile litten, begann ich nämlich Schule
zu halten, aber in umgekehrtem Verhältniß, das heißt ſo, daß ich,
der ich einziger Schüler, war und acht oder zehn trinkende und
rauchende Lehrer um mich ſitzen hatte, dieſen meine Fragen vor¬
legte und Alle, wie aus einem Munde, mich beantwortend unterrich¬
teten. Da gabs denn tüchtig zu lachen. Ein paar Maß des
ſchon erwähnten Yvorner Weines, der hier ſpottbillig iſt, unter¬
ſtützten meine wißbegierigen Beſtrebungen, und in meinem Tage¬
buche füllte ſich Seite um Seite. Dieſer Spaß vertrieb uns
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/150>, abgerufen am 28.11.2024.
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