Du warst mir ein gar trauter, lieber Geselle, komm, du schöner Tag, Zieh noch einmal an mir vorüber, Daß ich mich deiner freuen mag.
Lenau.
Ein südliches Vegetationsbild voll Leben, Anmuth und drängen¬ der Fülle, in festen markigen Formen, baut sich der Kastanienwald an den Böschungen der kleinen Seitenthäler auf, welche in die südlichen Abhänge der Alpen einschneiden. Lebhaft erinnert er, als hoher, hehrer Laubwald, an die prachtvollen Buchenhaine Deutschlands und Dänemarks; aber unter dem mächtig wirkenden Einflusse des wärmeren Klimas und der zauberhaften Verklärung südlicher Beleuchtung übertrifft er jene an Ueppigkeit und Farben¬ glanz. Er ist ein Epos, eine Odyssee der Baumwelt, kühn und er¬ greifend wie ein Harmonieengang Palestrinas, himmelaufjauchzend wie das Halleluja in Händels Messias.
Drüben, jenseit der Berge, im schwarzen, tiefsinnigen Bann¬ walde, der vergangenen Zeiten nachträumt, beschleichen unheimliche Gefühle den Eintretenden; Schwermuth überschleiert seine Einsam¬ keit, und der Alpengeist weht in kalter Größe an ihm vorüber.
Kaſtanienwald.
Du warſt mir ein gar trauter, lieber Geſelle, komm, du ſchöner Tag, Zieh noch einmal an mir vorüber, Daß ich mich deiner freuen mag.
Lenau.
Ein ſüdliches Vegetationsbild voll Leben, Anmuth und drängen¬ der Fülle, in feſten markigen Formen, baut ſich der Kaſtanienwald an den Böſchungen der kleinen Seitenthäler auf, welche in die ſüdlichen Abhänge der Alpen einſchneiden. Lebhaft erinnert er, als hoher, hehrer Laubwald, an die prachtvollen Buchenhaine Deutſchlands und Dänemarks; aber unter dem mächtig wirkenden Einfluſſe des wärmeren Klimas und der zauberhaften Verklärung ſüdlicher Beleuchtung übertrifft er jene an Ueppigkeit und Farben¬ glanz. Er iſt ein Epos, eine Odyſſee der Baumwelt, kühn und er¬ greifend wie ein Harmonieengang Paleſtrinas, himmelaufjauchzend wie das Halleluja in Händels Meſſias.
Drüben, jenſeit der Berge, im ſchwarzen, tiefſinnigen Bann¬ walde, der vergangenen Zeiten nachträumt, beſchleichen unheimliche Gefühle den Eintretenden; Schwermuth überſchleiert ſeine Einſam¬ keit, und der Alpengeiſt weht in kalter Größe an ihm vorüber.
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[0139]
Kaſtanienwald.
Du warſt mir ein gar trauter, lieber
Geſelle, komm, du ſchöner Tag,
Zieh noch einmal an mir vorüber,
Daß ich mich deiner freuen mag.
Lenau.
Ein ſüdliches Vegetationsbild voll Leben, Anmuth und drängen¬
der Fülle, in feſten markigen Formen, baut ſich der Kaſtanienwald
an den Böſchungen der kleinen Seitenthäler auf, welche in die
ſüdlichen Abhänge der Alpen einſchneiden. Lebhaft erinnert er,
als hoher, hehrer Laubwald, an die prachtvollen Buchenhaine
Deutſchlands und Dänemarks; aber unter dem mächtig wirkenden
Einfluſſe des wärmeren Klimas und der zauberhaften Verklärung
ſüdlicher Beleuchtung übertrifft er jene an Ueppigkeit und Farben¬
glanz. Er iſt ein Epos, eine Odyſſee der Baumwelt, kühn und er¬
greifend wie ein Harmonieengang Paleſtrinas, himmelaufjauchzend
wie das Halleluja in Händels Meſſias.
Drüben, jenſeit der Berge, im ſchwarzen, tiefſinnigen Bann¬
walde, der vergangenen Zeiten nachträumt, beſchleichen unheimliche
Gefühle den Eintretenden; Schwermuth überſchleiert ſeine Einſam¬
keit, und der Alpengeiſt weht in kalter Größe an ihm vorüber.
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/139>, abgerufen am 22.12.2024.
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