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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Südliche Alpenthäler.
Alpen. Die Steigerung der landschaftlichen Schönheit ist eine so
stürmisch-wachsende, Augen und Sinne so völlig übernehmende,
wenn man vom Gotthard oder Bernhardin herabkommt, daß nach
dem Wonnerausch dieser Ouvertüre man begreiflich immer ein noch
lebhafteres Crescendo, ein Wachsen der Fülle landschaftlicher Pracht
und Herrlichkeit erwartet. Aber dies, -- ist man über das para¬
diesische Gebiet der piemontesischen und lombardischen Seen hin¬
aus, -- tritt nicht nur nicht in dem erwarteten Maße ein, sondern
im Gegentheil, vorläufig sogar ein Abfallen, eine Verminderung
jener wilden Sinnestürmer.

Unstreitig gehört das Herabsteigen von bedeutenden Alpen¬
höhen in die oft verschwenderisch-reich von der Natur ausgestatteten
südlichen Thäler zu den größten Reisegenüssen, die sich überhaupt
darbieten können. Man würde, um die ausgesuchtesten Eindrücke
vorzubereiten, die Scenerie der meisten großen Alpenstraßen nicht
raffinirter zusammenstellen können, als es im Alpenbau bereits der
Fall ist. Schon diesseit der Berge beginnt das Herabstimmen,
das Zurückdrängen der bangenden Seele in ihre innersten Tiefen.
Hier gähnt vorm Gotthard die wilde, leblose, trümmer-übersäete
Schöllenen-Schlucht und endet erst droben, wo bei der Teufels¬
brücke die Gneisschroffen eng zusammentreten. Nur für wenig
Augenblicke gestattet das idyllische Urseren-Thal ein Freiaufathmen, eine
kurze Friedensrast. --Ganz die gleichen Schreckenspforten verschließen
als Via mala und Roffla-Schlucht die beiden östlichen großen ita¬
lienischen Kommerzialstraßen über den Bernhardin und Splügen,
-- oder als Desile de Marengo den Paß über den Großen St.
Bernhard. Nun hebt bei allen diesen Pässen das eigentliche Stei¬
gen erst an, zu den baumlosen, halberstorbenen Höhen, immer im
Zickzack, immer einförmiger und kahler.

Es führt uns bald längs brausenden Gestaden
Durch Wüsten bald, durch jäher Klüfte Mitte,
Es bebt das Herz, es zittern uns're Tritte,
Und wir entsagen gern, um das nur baten.

Südliche Alpenthäler.
Alpen. Die Steigerung der landſchaftlichen Schönheit iſt eine ſo
ſtürmiſch-wachſende, Augen und Sinne ſo völlig übernehmende,
wenn man vom Gotthard oder Bernhardin herabkommt, daß nach
dem Wonnerauſch dieſer Ouvertüre man begreiflich immer ein noch
lebhafteres Crescendo, ein Wachſen der Fülle landſchaftlicher Pracht
und Herrlichkeit erwartet. Aber dies, — iſt man über das para¬
dieſiſche Gebiet der piemonteſiſchen und lombardiſchen Seen hin¬
aus, — tritt nicht nur nicht in dem erwarteten Maße ein, ſondern
im Gegentheil, vorläufig ſogar ein Abfallen, eine Verminderung
jener wilden Sinneſtürmer.

Unſtreitig gehört das Herabſteigen von bedeutenden Alpen¬
höhen in die oft verſchwenderiſch-reich von der Natur ausgeſtatteten
ſüdlichen Thäler zu den größten Reiſegenüſſen, die ſich überhaupt
darbieten können. Man würde, um die ausgeſuchteſten Eindrücke
vorzubereiten, die Scenerie der meiſten großen Alpenſtraßen nicht
raffinirter zuſammenſtellen können, als es im Alpenbau bereits der
Fall iſt. Schon dieſſeit der Berge beginnt das Herabſtimmen,
das Zurückdrängen der bangenden Seele in ihre innerſten Tiefen.
Hier gähnt vorm Gotthard die wilde, lebloſe, trümmer-überſäete
Schöllenen-Schlucht und endet erſt droben, wo bei der Teufels¬
brücke die Gneisſchroffen eng zuſammentreten. Nur für wenig
Augenblicke geſtattet das idylliſche Urſeren-Thal ein Freiaufathmen, eine
kurze Friedensraſt. —Ganz die gleichen Schreckenspforten verſchließen
als Via mala und Roffla-Schlucht die beiden öſtlichen großen ita¬
lieniſchen Kommerzialſtraßen über den Bernhardin und Splügen,
— oder als Deſilé de Marengo den Paß über den Großen St.
Bernhard. Nun hebt bei allen dieſen Päſſen das eigentliche Stei¬
gen erſt an, zu den baumloſen, halberſtorbenen Höhen, immer im
Zickzack, immer einförmiger und kahler.

Es führt uns bald längs brauſenden Geſtaden
Durch Wüſten bald, durch jäher Klüfte Mitte,
Es bebt das Herz, es zittern unſ're Tritte,
Und wir entſagen gern, um das nur baten.
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[106/0132] Südliche Alpenthäler. Alpen. Die Steigerung der landſchaftlichen Schönheit iſt eine ſo ſtürmiſch-wachſende, Augen und Sinne ſo völlig übernehmende, wenn man vom Gotthard oder Bernhardin herabkommt, daß nach dem Wonnerauſch dieſer Ouvertüre man begreiflich immer ein noch lebhafteres Crescendo, ein Wachſen der Fülle landſchaftlicher Pracht und Herrlichkeit erwartet. Aber dies, — iſt man über das para¬ dieſiſche Gebiet der piemonteſiſchen und lombardiſchen Seen hin¬ aus, — tritt nicht nur nicht in dem erwarteten Maße ein, ſondern im Gegentheil, vorläufig ſogar ein Abfallen, eine Verminderung jener wilden Sinneſtürmer. Unſtreitig gehört das Herabſteigen von bedeutenden Alpen¬ höhen in die oft verſchwenderiſch-reich von der Natur ausgeſtatteten ſüdlichen Thäler zu den größten Reiſegenüſſen, die ſich überhaupt darbieten können. Man würde, um die ausgeſuchteſten Eindrücke vorzubereiten, die Scenerie der meiſten großen Alpenſtraßen nicht raffinirter zuſammenſtellen können, als es im Alpenbau bereits der Fall iſt. Schon dieſſeit der Berge beginnt das Herabſtimmen, das Zurückdrängen der bangenden Seele in ihre innerſten Tiefen. Hier gähnt vorm Gotthard die wilde, lebloſe, trümmer-überſäete Schöllenen-Schlucht und endet erſt droben, wo bei der Teufels¬ brücke die Gneisſchroffen eng zuſammentreten. Nur für wenig Augenblicke geſtattet das idylliſche Urſeren-Thal ein Freiaufathmen, eine kurze Friedensraſt. —Ganz die gleichen Schreckenspforten verſchließen als Via mala und Roffla-Schlucht die beiden öſtlichen großen ita¬ lieniſchen Kommerzialſtraßen über den Bernhardin und Splügen, — oder als Deſilé de Marengo den Paß über den Großen St. Bernhard. Nun hebt bei allen dieſen Päſſen das eigentliche Stei¬ gen erſt an, zu den baumloſen, halberſtorbenen Höhen, immer im Zickzack, immer einförmiger und kahler. Es führt uns bald längs brauſenden Geſtaden Durch Wüſten bald, durch jäher Klüfte Mitte, Es bebt das Herz, es zittern unſ're Tritte, Und wir entſagen gern, um das nur baten.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/132>, abgerufen am 28.11.2024.