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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenrose.

Also die Volkssage von der Entstehung der Alpenrose. --

"Keine Blume des Hochgebirges ist von Dichtern so gefeiert
worden, keine so poetisch in das Leben der Bergbewohner einge¬
drungen wie die Alpenrose; aber auch keine erweckt in der Vorstel¬
lung des Gebirgsunkundigen so unklare und unrichtige Bilder, wie
eben diese. An den Namen "Rose" sich haltend, hätte er ein
Recht, diesen auf eine alpine Verwandte der vielgefeierten Blumen¬
königin zu übertragen, und das Hochgebirge würde ihn nicht ein¬
mal Lügen strafen. Im Gegentheil haben die Alpen der Rose
einen neuen, poetischen Glanz verliehen; denn gerade sie sind es,
wo die "Rose (fast) ohne Dornen" glüht, und somit das Sprüch¬
wort seine Wahrheit verliert. Das ist die wirkliche "Rose der
Alpen", die reizende Rosa alpina, die nicht selten in den lichten
Hochwaldungen der montanen und subalpinen Region vorkommt
und bis zur Gränze der Weinrebe hinabsteigt. Sie bildet Sträuche
und blüht im Juni und Juli. -- Dennoch wird nicht sie gemeint,
wenn im Gebirge von "Alpenrosen" die Rede ist, ebensowenig
wie man an wirkliche Veilchen denken darf, wenn das Alpenveilchen
(Cyclamen Europaeum) genannt wird. Der poetische Sinn des
Volkes hat Alpen- oder Bergrose diejenige Pflanze genannt, die
in der Botanik "Rhododendron", also zu deutsch "Rosenbaum"
heißt. Indessen giebt auch diese Bezeichnung keine richtige Vor¬
stellung von der Wirklichkeit. Im Gegentheil verbindet sich damit
eine neue Verwechslung; denn ursprünglich kam dieser poetische
Name dem Oleander zu, und Linne war es, der ihn von diesem
Prachtstrauche des Südens willkürlich auf unseren Alpenstrauch
übertrug. (K. Müller.) -- Im Volksmunde hört man die Bezeichnung
"Alpenrose" eigentlich wenig; fast jede Thalschaft hat ihren eigenen
Namen dafür. So nennt man sie im Berner Oberlande "Bären¬
blust", im Entlibuch und Unterwaldnerlande "Hühnerblume" (weil
die Berghühner sich darin aufhalten), in Uri "Juupe", im Glarner
Thal "Rafauslen", im Aargau "Herznägeli", im Tyroler Ziller¬

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Alpenroſe.

Alſo die Volksſage von der Entſtehung der Alpenroſe. —

„Keine Blume des Hochgebirges iſt von Dichtern ſo gefeiert
worden, keine ſo poetiſch in das Leben der Bergbewohner einge¬
drungen wie die Alpenroſe; aber auch keine erweckt in der Vorſtel¬
lung des Gebirgsunkundigen ſo unklare und unrichtige Bilder, wie
eben dieſe. An den Namen „Roſe“ ſich haltend, hätte er ein
Recht, dieſen auf eine alpine Verwandte der vielgefeierten Blumen¬
königin zu übertragen, und das Hochgebirge würde ihn nicht ein¬
mal Lügen ſtrafen. Im Gegentheil haben die Alpen der Roſe
einen neuen, poetiſchen Glanz verliehen; denn gerade ſie ſind es,
wo die „Roſe (faſt) ohne Dornen“ glüht, und ſomit das Sprüch¬
wort ſeine Wahrheit verliert. Das iſt die wirkliche „Roſe der
Alpen“, die reizende Rosa alpina, die nicht ſelten in den lichten
Hochwaldungen der montanen und ſubalpinen Region vorkommt
und bis zur Gränze der Weinrebe hinabſteigt. Sie bildet Sträuche
und blüht im Juni und Juli. — Dennoch wird nicht ſie gemeint,
wenn im Gebirge von „Alpenroſen“ die Rede iſt, ebenſowenig
wie man an wirkliche Veilchen denken darf, wenn das Alpenveilchen
(Cyclamen Europaeum) genannt wird. Der poetiſche Sinn des
Volkes hat Alpen- oder Bergroſe diejenige Pflanze genannt, die
in der Botanik „Rhododendron“, alſo zu deutſch „Roſenbaum“
heißt. Indeſſen giebt auch dieſe Bezeichnung keine richtige Vor¬
ſtellung von der Wirklichkeit. Im Gegentheil verbindet ſich damit
eine neue Verwechslung; denn urſprünglich kam dieſer poetiſche
Name dem Oleander zu, und Linné war es, der ihn von dieſem
Prachtſtrauche des Südens willkürlich auf unſeren Alpenſtrauch
übertrug. (K. Müller.) — Im Volksmunde hört man die Bezeichnung
„Alpenroſe“ eigentlich wenig; faſt jede Thalſchaft hat ihren eigenen
Namen dafür. So nennt man ſie im Berner Oberlande „Bären¬
bluſt“, im Entlibuch und Unterwaldnerlande „Hühnerblume“ (weil
die Berghühner ſich darin aufhalten), in Uri „Juupe“, im Glarner
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[99/0125] Alpenroſe. Alſo die Volksſage von der Entſtehung der Alpenroſe. — „Keine Blume des Hochgebirges iſt von Dichtern ſo gefeiert worden, keine ſo poetiſch in das Leben der Bergbewohner einge¬ drungen wie die Alpenroſe; aber auch keine erweckt in der Vorſtel¬ lung des Gebirgsunkundigen ſo unklare und unrichtige Bilder, wie eben dieſe. An den Namen „Roſe“ ſich haltend, hätte er ein Recht, dieſen auf eine alpine Verwandte der vielgefeierten Blumen¬ königin zu übertragen, und das Hochgebirge würde ihn nicht ein¬ mal Lügen ſtrafen. Im Gegentheil haben die Alpen der Roſe einen neuen, poetiſchen Glanz verliehen; denn gerade ſie ſind es, wo die „Roſe (faſt) ohne Dornen“ glüht, und ſomit das Sprüch¬ wort ſeine Wahrheit verliert. Das iſt die wirkliche „Roſe der Alpen“, die reizende Rosa alpina, die nicht ſelten in den lichten Hochwaldungen der montanen und ſubalpinen Region vorkommt und bis zur Gränze der Weinrebe hinabſteigt. Sie bildet Sträuche und blüht im Juni und Juli. — Dennoch wird nicht ſie gemeint, wenn im Gebirge von „Alpenroſen“ die Rede iſt, ebenſowenig wie man an wirkliche Veilchen denken darf, wenn das Alpenveilchen (Cyclamen Europaeum) genannt wird. Der poetiſche Sinn des Volkes hat Alpen- oder Bergroſe diejenige Pflanze genannt, die in der Botanik „Rhododendron“, alſo zu deutſch „Roſenbaum“ heißt. Indeſſen giebt auch dieſe Bezeichnung keine richtige Vor¬ ſtellung von der Wirklichkeit. Im Gegentheil verbindet ſich damit eine neue Verwechslung; denn urſprünglich kam dieſer poetiſche Name dem Oleander zu, und Linné war es, der ihn von dieſem Prachtſtrauche des Südens willkürlich auf unſeren Alpenſtrauch übertrug. (K. Müller.) — Im Volksmunde hört man die Bezeichnung „Alpenroſe“ eigentlich wenig; faſt jede Thalſchaft hat ihren eigenen Namen dafür. So nennt man ſie im Berner Oberlande „Bären¬ bluſt“, im Entlibuch und Unterwaldnerlande „Hühnerblume“ (weil die Berghühner ſich darin aufhalten), in Uri „Juupe“, im Glarner Thal „Rafauslen“, im Aargau „Herznägeli“, im Tyroler Ziller¬ 7*

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/125>, abgerufen am 22.11.2024.