Zu allen Zeiten sind die Aerzte der Versuchung erlegen, ihre Handlungen von den Grundlagen ihres Wissens zu befreien und loszulösen, oder wenigstens weit über diese zu erheben. Heilmittel sind angewandt worden, ohne dass auch nur eine Spur von den durch sie im Organismus bewirkten Veränderungen bekannt gewesen wäre, und Operationen ausgeführt, ehe man von der Anatomie der Organe, in die man hineinschnitt, auch nur eine Ahnung hatte.
Indem die Thaten des Arztes dem ärztlichen Wissen vorauseilten, gestalteten sie sich grossartiger, als im Banne des Erkannten ihnen vergönnt und möglich gewesen wäre. Die Leistungen umwob nicht mit Unrecht der Nimbus des Wunders. Nicht anders geschieht es auch heute noch.
Wer da weiss, wie schwer es ist, im Reagensglase die Nährflüssigkeit vor dem Hineinfallen verunreinigender Hefezellen und Bacterien zu schützen, wird der nicht den Chirurgen bewundern, welcher durch Watte und Binden-Touren die Wunden seiner Patienten den Fäulniss- und Entzündungs-Erregern zu verschliessen meint, so sicher zu verschliessen, dass er keinen Anstand nimmt unter dem Schutze seiner Antiseptik eine probatorische Laparotomie oder eine Trepanation zur Unterstützung seiner Diagnose zu wagen?.
Hochgeehrte Versammlung!
Zu allen Zeiten sind die Aerzte der Versuchung erlegen, ihre Handlungen von den Grundlagen ihres Wissens zu befreien und loszulösen, oder wenigstens weit über diese zu erheben. Heilmittel sind angewandt worden, ohne dass auch nur eine Spur von den durch sie im Organismus bewirkten Veränderungen bekannt gewesen wäre, und Operationen ausgeführt, ehe man von der Anatomie der Organe, in die man hineinschnitt, auch nur eine Ahnung hatte.
Indem die Thaten des Arztes dem ärztlichen Wissen vorauseilten, gestalteten sie sich grossartiger, als im Banne des Erkannten ihnen vergönnt und möglich gewesen wäre. Die Leistungen umwob nicht mit Unrecht der Nimbus des Wunders. Nicht anders geschieht es auch heute noch.
Wer da weiss, wie schwer es ist, im Reagensglase die Nährflüssigkeit vor dem Hineinfallen verunreinigender Hefezellen und Bacterien zu schützen, wird der nicht den Chirurgen bewundern, welcher durch Watte und Binden-Touren die Wunden seiner Patienten den Fäulniss- und Entzündungs-Erregern zu verschliessen meint, so sicher zu verschliessen, dass er keinen Anstand nimmt unter dem Schutze seiner Antiseptik eine probatorische Laparotomie oder eine Trepanation zur Unterstützung seiner Diagnose zu wagen?.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0003"n="[3]"/><div><head>Hochgeehrte Versammlung!</head><lb/><p>Zu allen Zeiten sind die Aerzte der Versuchung erlegen,<lb/>
ihre <choice><sic>Handluungen</sic><corr>Handlungen</corr></choice> von den Grundlagen ihres Wissens zu<lb/>
befreien und loszulösen, oder wenigstens weit über diese zu<lb/>
erheben. Heilmittel sind angewandt worden, ohne dass auch<lb/>
nur eine Spur von den durch sie im Organismus bewirkten<lb/>
Veränderungen bekannt gewesen wäre, und Operationen<lb/>
ausgeführt, ehe man von der Anatomie der Organe, in die<lb/>
man hineinschnitt, auch nur eine Ahnung hatte. </p><p>Indem die Thaten des Arztes dem ärztlichen Wissen<lb/>
vorauseilten, gestalteten sie sich grossartiger, als im Banne<lb/>
des Erkannten ihnen vergönnt und möglich gewesen wäre.<lb/>
Die Leistungen umwob nicht mit Unrecht der Nimbus des<lb/>
Wunders. Nicht anders geschieht es auch heute noch. </p><p>Wer da weiss, wie schwer es ist, im Reagensglase die<lb/>
Nährflüssigkeit vor dem Hineinfallen verunreinigender Hefezellen<lb/>
und Bacterien zu schützen, wird der nicht den Chirurgen<lb/>
bewundern, welcher durch Watte und Binden-Touren<lb/>
die Wunden seiner Patienten den Fäulniss- und<lb/>
Entzündungs-Erregern zu verschliessen meint, so sicher zu<lb/>
verschliessen, dass er keinen Anstand nimmt unter dem Schutze<lb/>
seiner Antiseptik eine probatorische Laparotomie oder eine<lb/>
Trepanation zur Unterstützung seiner Diagnose zu wagen?. </p></div></body></text></TEI>
[[3]/0003]
Hochgeehrte Versammlung!
Zu allen Zeiten sind die Aerzte der Versuchung erlegen,
ihre Handlungen von den Grundlagen ihres Wissens zu
befreien und loszulösen, oder wenigstens weit über diese zu
erheben. Heilmittel sind angewandt worden, ohne dass auch
nur eine Spur von den durch sie im Organismus bewirkten
Veränderungen bekannt gewesen wäre, und Operationen
ausgeführt, ehe man von der Anatomie der Organe, in die
man hineinschnitt, auch nur eine Ahnung hatte.
Indem die Thaten des Arztes dem ärztlichen Wissen
vorauseilten, gestalteten sie sich grossartiger, als im Banne
des Erkannten ihnen vergönnt und möglich gewesen wäre.
Die Leistungen umwob nicht mit Unrecht der Nimbus des
Wunders. Nicht anders geschieht es auch heute noch.
Wer da weiss, wie schwer es ist, im Reagensglase die
Nährflüssigkeit vor dem Hineinfallen verunreinigender Hefezellen
und Bacterien zu schützen, wird der nicht den Chirurgen
bewundern, welcher durch Watte und Binden-Touren
die Wunden seiner Patienten den Fäulniss- und
Entzündungs-Erregern zu verschliessen meint, so sicher zu
verschliessen, dass er keinen Anstand nimmt unter dem Schutze
seiner Antiseptik eine probatorische Laparotomie oder eine
Trepanation zur Unterstützung seiner Diagnose zu wagen?.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bergmann, Ernst von: Die Schicksale der Transfusion im letzten Decennium. Rede, gehalten zur Feier des Stiftungstages der militär-ärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1883. Berlin, 1883, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bergmann_transfusion_1883/3>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.