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Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.

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Tiger in Singapore.
Der höchste Hügel in der Mitte der Insel, der eben erwähnte Bukit-
tima (530 engl. Fuss) besteht, wenn ich mich recht erinnere, aus
Granit, andere niedrigere aus Sandstein. Ursprüngliche Wälder,
voll Schlingpflanzen und Orchideen, nehmen noch einen bedeutenden
Theil des Areals ein, werden aber mit jedem Jahr mehr beschränkt
durch den sich ausdehnenden Anbau des Gambir und des Pfeffers.
Gerade diese Zunahme der Kultur hat hier eine sonderbare Folge
gehabt, nämlich die Zunahme der Häufigkeit des Tigers. Früher,
als Singapore nur wenige Einwohner zählte und diese alle dicht
beieinander wohnten, war der Tiger eine Seltenheit auf der Insel,
man sagt, es seien gar keine dagewesen; aber seitdem in neuerer
Zeit die Zerstreuung der Arbeiter in den genannten Pflanzungen und
das frei umherlaufende Vieh der kleineren Niederlassungen ihm
bequeme Beute bieten, ist sein Erscheinen auch häufig geworden.
Man behauptete zu unserer Zeit, dass auf der Insel (von etwa vier-
zehn Quadratmeilen mit rund 100,000 Einwohnern) täglich ein Mensch
von einem Tiger gefressen werde; jedenfalls ist in der Stadt selbst
die Nachricht, es sei ein Chinese in der Nachbarschaft auf diese
Art umgekommen oder es sei ein Tiger gefangen worden, durchaus
nichts Ungewöhnliches. Gleich in den ersten Tagen unseres Aufent-
halts sah ich ein lebendig gefangenes prachtvolles Exemplar und
hörte, dass ein Tiger den Abend zuvor in der Vorstadt einen Wagen
angefallen und einen Chinesen von da weggenommen habe; später
sah ich beim preussischen Consul einen allerliebsten jungen Tiger
von der Grösse eines mittleren Hundes, wie die alten gezeichnet,
zahm und spielerisch wie eine junge Katze. Während unseres
Aufenthaltes auf Bukit-tima aber fanden wir eines Morgens die
frischen Spuren, Tatzen von 20 Centim. Breite, auf unserm Wege und
hörten dann, dass ein Tiger des Abends in der Nachbarschaft eine
Kuh zerrissen. Doch wusste man keinen Fall zu erzählen, dass ein
Europäer von einem Tiger getödtet worden sei, diese kommen
freilich auch wenig aus der Stadt und dann meist in Gesellschaft.

Von dem genannten Herrn Pennyfather und einem früheren
Polizei-Inspektor, Herrn Franke, erhielt ich glaubwürdige Nach-
richten über dieses Thier; zu ihren Obliegenheiten gehörte auch die
Todtenschau und da ihre Distrikte ausserhalb der Stadt gelegen,
so hatten sie viele vom Tiger getödtete Menschen gesehen. Ihren
übereinstimmenden Erfahrungen nach ist es allgemeine Regel, dass
der Tiger seinem Opfer, meist einem in den genannten Pflan-

Tiger in Singapore.
Der höchste Hügel in der Mitte der Insel, der eben erwähnte Bukit-
tima (530 engl. Fuss) besteht, wenn ich mich recht erinnere, aus
Granit, andere niedrigere aus Sandstein. Ursprüngliche Wälder,
voll Schlingpflanzen und Orchideen, nehmen noch einen bedeutenden
Theil des Areals ein, werden aber mit jedem Jahr mehr beschränkt
durch den sich ausdehnenden Anbau des Gambir und des Pfeffers.
Gerade diese Zunahme der Kultur hat hier eine sonderbare Folge
gehabt, nämlich die Zunahme der Häufigkeit des Tigers. Früher,
als Singapore nur wenige Einwohner zählte und diese alle dicht
beieinander wohnten, war der Tiger eine Seltenheit auf der Insel,
man sagt, es seien gar keine dagewesen; aber seitdem in neuerer
Zeit die Zerstreuung der Arbeiter in den genannten Pflanzungen und
das frei umherlaufende Vieh der kleineren Niederlassungen ihm
bequeme Beute bieten, ist sein Erscheinen auch häufig geworden.
Man behauptete zu unserer Zeit, dass auf der Insel (von etwa vier-
zehn Quadratmeilen mit rund 100,000 Einwohnern) täglich ein Mensch
von einem Tiger gefressen werde; jedenfalls ist in der Stadt selbst
die Nachricht, es sei ein Chinese in der Nachbarschaft auf diese
Art umgekommen oder es sei ein Tiger gefangen worden, durchaus
nichts Ungewöhnliches. Gleich in den ersten Tagen unseres Aufent-
halts sah ich ein lebendig gefangenes prachtvolles Exemplar und
hörte, dass ein Tiger den Abend zuvor in der Vorstadt einen Wagen
angefallen und einen Chinesen von da weggenommen habe; später
sah ich beim preussischen Consul einen allerliebsten jungen Tiger
von der Grösse eines mittleren Hundes, wie die alten gezeichnet,
zahm und spielerisch wie eine junge Katze. Während unseres
Aufenthaltes auf Bukit-tima aber fanden wir eines Morgens die
frischen Spuren, Tatzen von 20 Centim. Breite, auf unserm Wege und
hörten dann, dass ein Tiger des Abends in der Nachbarschaft eine
Kuh zerrissen. Doch wusste man keinen Fall zu erzählen, dass ein
Europäer von einem Tiger getödtet worden sei, diese kommen
freilich auch wenig aus der Stadt und dann meist in Gesellschaft.

Von dem genannten Herrn Pennyfather und einem früheren
Polizei-Inspektor, Herrn Franke, erhielt ich glaubwürdige Nach-
richten über dieses Thier; zu ihren Obliegenheiten gehörte auch die
Todtenschau und da ihre Distrikte ausserhalb der Stadt gelegen,
so hatten sie viele vom Tiger getödtete Menschen gesehen. Ihren
übereinstimmenden Erfahrungen nach ist es allgemeine Regel, dass
der Tiger seinem Opfer, meist einem in den genannten Pflan-

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[229/0247] Tiger in Singapore. Der höchste Hügel in der Mitte der Insel, der eben erwähnte Bukit- tima (530 engl. Fuss) besteht, wenn ich mich recht erinnere, aus Granit, andere niedrigere aus Sandstein. Ursprüngliche Wälder, voll Schlingpflanzen und Orchideen, nehmen noch einen bedeutenden Theil des Areals ein, werden aber mit jedem Jahr mehr beschränkt durch den sich ausdehnenden Anbau des Gambir und des Pfeffers. Gerade diese Zunahme der Kultur hat hier eine sonderbare Folge gehabt, nämlich die Zunahme der Häufigkeit des Tigers. Früher, als Singapore nur wenige Einwohner zählte und diese alle dicht beieinander wohnten, war der Tiger eine Seltenheit auf der Insel, man sagt, es seien gar keine dagewesen; aber seitdem in neuerer Zeit die Zerstreuung der Arbeiter in den genannten Pflanzungen und das frei umherlaufende Vieh der kleineren Niederlassungen ihm bequeme Beute bieten, ist sein Erscheinen auch häufig geworden. Man behauptete zu unserer Zeit, dass auf der Insel (von etwa vier- zehn Quadratmeilen mit rund 100,000 Einwohnern) täglich ein Mensch von einem Tiger gefressen werde; jedenfalls ist in der Stadt selbst die Nachricht, es sei ein Chinese in der Nachbarschaft auf diese Art umgekommen oder es sei ein Tiger gefangen worden, durchaus nichts Ungewöhnliches. Gleich in den ersten Tagen unseres Aufent- halts sah ich ein lebendig gefangenes prachtvolles Exemplar und hörte, dass ein Tiger den Abend zuvor in der Vorstadt einen Wagen angefallen und einen Chinesen von da weggenommen habe; später sah ich beim preussischen Consul einen allerliebsten jungen Tiger von der Grösse eines mittleren Hundes, wie die alten gezeichnet, zahm und spielerisch wie eine junge Katze. Während unseres Aufenthaltes auf Bukit-tima aber fanden wir eines Morgens die frischen Spuren, Tatzen von 20 Centim. Breite, auf unserm Wege und hörten dann, dass ein Tiger des Abends in der Nachbarschaft eine Kuh zerrissen. Doch wusste man keinen Fall zu erzählen, dass ein Europäer von einem Tiger getödtet worden sei, diese kommen freilich auch wenig aus der Stadt und dann meist in Gesellschaft. Von dem genannten Herrn Pennyfather und einem früheren Polizei-Inspektor, Herrn Franke, erhielt ich glaubwürdige Nach- richten über dieses Thier; zu ihren Obliegenheiten gehörte auch die Todtenschau und da ihre Distrikte ausserhalb der Stadt gelegen, so hatten sie viele vom Tiger getödtete Menschen gesehen. Ihren übereinstimmenden Erfahrungen nach ist es allgemeine Regel, dass der Tiger seinem Opfer, meist einem in den genannten Pflan-

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Zitationshilfe: Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/247>, abgerufen am 24.11.2024.