vornehmen Beamten schickten ihm die angesehensten Bewohner des Ortes, wo er sich längere Zeit aufgehalten hätte, ein grosses Diner als Zeichen ihrer Verehrung; also ein Abschieds-Essen, an welchem die Gastgeber ihres geringen Ranges wegen nicht Theil nehmen. -- Graf Eulenburg bemühte sich bei jeder Gelegenheit, die Commissare über chinesische Sitten auszuforschen, brachte aber wenig heraus.
Nach dem Frühstück war Tsun-luen ganz weich gestimmt; er versprach, gewisse Artikel in der früheren Fassung wieder her- zustellen, und bat den Gesandten über die fünf von den Commissaren verworfenen Bestimmungen eine Denkschrift zu verfassen, billigte auch dessen Vorschlag, dass die Verhandlungen auf der Basis des politischen Vertrages einstweilen ohne Rücksicht auf jene fünf Ar- tikel geführt werden sollten. Stiesse man auf weitere Schwierig- keiten, so sollte an den Prinzen von Kun, eventuell an den Kaiser berichtet werden. -- Die vierstündige Unterredung bei 30° R. hatte also zum Resultat, dass man sich über den ersten Artikel nicht einigte. Tsun-luen gerieth jedesmal in lebhafte Erregung bei dem Gedanken, dass Preussen auf dem Wege der Verhandlungen fordere, was andere Staaten China nur durch Waffengewalt abzwangen. Betrachtet man seine Vergangenheit, so ist trotz aller Freundschafts- betheuerungen und aller scheinbaren Bonhommie kein Zweifel, dass Tsun-luen ganz und nur auf Täuschung ausging. Die günstigen Aussichten, die er gleich anfangs und nachher wiederholt den preussischen Forderungen machte, sollten nur eitele Hoffnungen erregen, und deren periodische Zerstörung allmälig die Kräfte des Geg- ners erschöpfen. Des Gesandten Energie sollte sich langsam zu Tode zappeln; sein Rückzug wäre Tsun-luen's höchster Triumph ge- wesen. Graf Eulenburg aber gewann eine Herrschaft über ihn, der er sich nicht zu entwinden vermochte. Ohne Anstand kann be- hauptet werden, dass es dessen persönliche Ueberlegenheit über alle an den Verhandlungen betheiligte Personen, seine eiserne Zähigkeit und Ruhe waren, welche zuletzt den Widerstand brachen und die Gegner sittlich überwanden. Leichte Arbeit war es nicht, auch abgesehen von der Unsicherheit des Erfolges und der grossen Verantwortung, die auf dem Gesandten lastete. Denn ermüdete die Art der Discussion, bei welcher von folgerechten Schlüssen und stufenweisem Fortbauen auf gewonnener Grundlage keine Rede war, schon an und für sich, so ermüdete sie doppelt durch die Art des Herrn Marques, der, ein gewissenhafter und fleissiger, aber keines-
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XVI. Conferenz.
vornehmen Beamten schickten ihm die angesehensten Bewohner des Ortes, wo er sich längere Zeit aufgehalten hätte, ein grosses Diner als Zeichen ihrer Verehrung; also ein Abschieds-Essen, an welchem die Gastgeber ihres geringen Ranges wegen nicht Theil nehmen. — Graf Eulenburg bemühte sich bei jeder Gelegenheit, die Commissare über chinesische Sitten auszuforschen, brachte aber wenig heraus.
Nach dem Frühstück war Tsuṅ-luen ganz weich gestimmt; er versprach, gewisse Artikel in der früheren Fassung wieder her- zustellen, und bat den Gesandten über die fünf von den Commissaren verworfenen Bestimmungen eine Denkschrift zu verfassen, billigte auch dessen Vorschlag, dass die Verhandlungen auf der Basis des politischen Vertrages einstweilen ohne Rücksicht auf jene fünf Ar- tikel geführt werden sollten. Stiesse man auf weitere Schwierig- keiten, so sollte an den Prinzen von Kuṅ, eventuell an den Kaiser berichtet werden. — Die vierstündige Unterredung bei 30° R. hatte also zum Resultat, dass man sich über den ersten Artikel nicht einigte. Tsuṅ-luen gerieth jedesmal in lebhafte Erregung bei dem Gedanken, dass Preussen auf dem Wege der Verhandlungen fordere, was andere Staaten China nur durch Waffengewalt abzwangen. Betrachtet man seine Vergangenheit, so ist trotz aller Freundschafts- betheuerungen und aller scheinbaren Bonhommie kein Zweifel, dass Tsuṅ-luen ganz und nur auf Täuschung ausging. Die günstigen Aussichten, die er gleich anfangs und nachher wiederholt den preussischen Forderungen machte, sollten nur eitele Hoffnungen erregen, und deren periodische Zerstörung allmälig die Kräfte des Geg- ners erschöpfen. Des Gesandten Energie sollte sich langsam zu Tode zappeln; sein Rückzug wäre Tsuṅ-luen’s höchster Triumph ge- wesen. Graf Eulenburg aber gewann eine Herrschaft über ihn, der er sich nicht zu entwinden vermochte. Ohne Anstand kann be- hauptet werden, dass es dessen persönliche Ueberlegenheit über alle an den Verhandlungen betheiligte Personen, seine eiserne Zähigkeit und Ruhe waren, welche zuletzt den Widerstand brachen und die Gegner sittlich überwanden. Leichte Arbeit war es nicht, auch abgesehen von der Unsicherheit des Erfolges und der grossen Verantwortung, die auf dem Gesandten lastete. Denn ermüdete die Art der Discussion, bei welcher von folgerechten Schlüssen und stufenweisem Fortbauen auf gewonnener Grundlage keine Rede war, schon an und für sich, so ermüdete sie doppelt durch die Art des Herrn Marques, der, ein gewissenhafter und fleissiger, aber keines-
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XVI. Conferenz.
vornehmen Beamten schickten ihm die angesehensten Bewohner des
Ortes, wo er sich längere Zeit aufgehalten hätte, ein grosses Diner
als Zeichen ihrer Verehrung; also ein Abschieds-Essen, an welchem
die Gastgeber ihres geringen Ranges wegen nicht Theil nehmen. —
Graf Eulenburg bemühte sich bei jeder Gelegenheit, die Commissare
über chinesische Sitten auszuforschen, brachte aber wenig heraus.
Nach dem Frühstück war Tsuṅ-luen ganz weich gestimmt;
er versprach, gewisse Artikel in der früheren Fassung wieder her-
zustellen, und bat den Gesandten über die fünf von den Commissaren
verworfenen Bestimmungen eine Denkschrift zu verfassen, billigte
auch dessen Vorschlag, dass die Verhandlungen auf der Basis des
politischen Vertrages einstweilen ohne Rücksicht auf jene fünf Ar-
tikel geführt werden sollten. Stiesse man auf weitere Schwierig-
keiten, so sollte an den Prinzen von Kuṅ, eventuell an den Kaiser
berichtet werden. — Die vierstündige Unterredung bei 30° R. hatte
also zum Resultat, dass man sich über den ersten Artikel nicht
einigte. Tsuṅ-luen gerieth jedesmal in lebhafte Erregung bei dem
Gedanken, dass Preussen auf dem Wege der Verhandlungen fordere,
was andere Staaten China nur durch Waffengewalt abzwangen.
Betrachtet man seine Vergangenheit, so ist trotz aller Freundschafts-
betheuerungen und aller scheinbaren Bonhommie kein Zweifel, dass
Tsuṅ-luen ganz und nur auf Täuschung ausging. Die günstigen
Aussichten, die er gleich anfangs und nachher wiederholt den
preussischen Forderungen machte, sollten nur eitele Hoffnungen
erregen, und deren periodische Zerstörung allmälig die Kräfte des Geg-
ners erschöpfen. Des Gesandten Energie sollte sich langsam zu Tode
zappeln; sein Rückzug wäre Tsuṅ-luen’s höchster Triumph ge-
wesen. Graf Eulenburg aber gewann eine Herrschaft über ihn, der
er sich nicht zu entwinden vermochte. Ohne Anstand kann be-
hauptet werden, dass es dessen persönliche Ueberlegenheit über
alle an den Verhandlungen betheiligte Personen, seine eiserne
Zähigkeit und Ruhe waren, welche zuletzt den Widerstand brachen
und die Gegner sittlich überwanden. Leichte Arbeit war es nicht,
auch abgesehen von der Unsicherheit des Erfolges und der grossen
Verantwortung, die auf dem Gesandten lastete. Denn ermüdete die
Art der Discussion, bei welcher von folgerechten Schlüssen und
stufenweisem Fortbauen auf gewonnener Grundlage keine Rede war,
schon an und für sich, so ermüdete sie doppelt durch die Art des
Herrn Marques, der, ein gewissenhafter und fleissiger, aber keines-
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/97>, abgerufen am 23.11.2024.
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