Galopsprünge und suchende Gebehrden. Nach einigen Wieder- holungen hatte der Mann verstanden; der Brief kam richtig in des Grafen Hände.
Ich lebte den Tag über von Apricosen und Eiern, denn Anderes war nicht aufzutreiben, und legte mich früh zur Ruhe. Die Lage schien günstig; denn nach Tsan's Besuch waren wir im Besitz des Hauses nicht gestört worden. Die Zuweisung des Mandarinen be- wies, dass die Regierung die Verbindung aufrecht halten wolle und nur noch die Erfüllung von Höflichkeitsformen erwarte; darauf hätte der Gesandte ungehindert nach Pe-kin gehen und seinen persönlichen Einfluss geltend machen können, der wohl zu glück- lichem Ende geführt hätte; doch sollte es anders kommen.
Am Tage nach unserer Abreise aus Tien-tsin -- den 22. Juni -- richteten die Commissare ein Schreiben an den Ge- sandten, in welchem sie zunächst auf die "Grossmächte" zurück- kamen. Früher hätten sie deren nur vier, nämlich England, Frank- reich, Russland, America gekannt, dann aber erfahren, dass auch Preussen dazu gehöre. Nun spreche der Gesandte in seiner Denk- schrift von dem ihnen gänzlich unbekannten Lande Oestreich; das sei nun schon die sechste; man könne nicht wissen, wie viel andere "Grossmächte" noch auftauchen und Gesandte schicken möchten. Preussen solle sich doch einstweilen mit der consularischen Ver- tretung begnügen; in einigen Jahren, wenn die Völker sich näher gekommen und die Rebellen besiegt wären, möge von der kaiser- lichen Gnade auch das Gesandtschaftsrecht zu erlangen sein. Von den übersandten 45 Artikeln verwärfen sie nur fünf; die übrigen könnten mit geringen Aenderungen stehen bleiben. -- Zugleich baten die Commissare den Gesandten wieder um eine Unterredung, die in der öffentlichen Halle von Tien-tsin am 24. Juni um neun Uhr Morgens stattfand.
Da die Chinesen um diese Stunde ihre Hauptmahlzeit halten, wurde ein reichliches Frühstück aufgetragen: zuerst Früchte und Süssigkeiten, dann Hammel-, Rinder- und Schweinebraten, zuletzt dünne Fleischbrühe. -- Den Commissaren machten die "Gross- mächte" Sorgen: wenn deren fünf in Europa, eine in America wäre, wie viele möchten die anderen Welttheile wohl bergen! Nach- dem Graf Eulenburg sie darüber beruhigt, gaben sie die mögliche Gewährung des Gesandtschaftsrechtes halb und halb zu, meinten
Verhandlungen in Tien-tsin. XV.
Galopsprünge und suchende Gebehrden. Nach einigen Wieder- holungen hatte der Mann verstanden; der Brief kam richtig in des Grafen Hände.
Ich lebte den Tag über von Apricosen und Eiern, denn Anderes war nicht aufzutreiben, und legte mich früh zur Ruhe. Die Lage schien günstig; denn nach Tšaṅ’s Besuch waren wir im Besitz des Hauses nicht gestört worden. Die Zuweisung des Mandarinen be- wies, dass die Regierung die Verbindung aufrecht halten wolle und nur noch die Erfüllung von Höflichkeitsformen erwarte; darauf hätte der Gesandte ungehindert nach Pe-kiṅ gehen und seinen persönlichen Einfluss geltend machen können, der wohl zu glück- lichem Ende geführt hätte; doch sollte es anders kommen.
Am Tage nach unserer Abreise aus Tien-tsin — den 22. Juni — richteten die Commissare ein Schreiben an den Ge- sandten, in welchem sie zunächst auf die »Grossmächte« zurück- kamen. Früher hätten sie deren nur vier, nämlich England, Frank- reich, Russland, America gekannt, dann aber erfahren, dass auch Preussen dazu gehöre. Nun spreche der Gesandte in seiner Denk- schrift von dem ihnen gänzlich unbekannten Lande Oestreich; das sei nun schon die sechste; man könne nicht wissen, wie viel andere »Grossmächte« noch auftauchen und Gesandte schicken möchten. Preussen solle sich doch einstweilen mit der consularischen Ver- tretung begnügen; in einigen Jahren, wenn die Völker sich näher gekommen und die Rebellen besiegt wären, möge von der kaiser- lichen Gnade auch das Gesandtschaftsrecht zu erlangen sein. Von den übersandten 45 Artikeln verwärfen sie nur fünf; die übrigen könnten mit geringen Aenderungen stehen bleiben. — Zugleich baten die Commissare den Gesandten wieder um eine Unterredung, die in der öffentlichen Halle von Tien-tsin am 24. Juni um neun Uhr Morgens stattfand.
Da die Chinesen um diese Stunde ihre Hauptmahlzeit halten, wurde ein reichliches Frühstück aufgetragen: zuerst Früchte und Süssigkeiten, dann Hammel-, Rinder- und Schweinebraten, zuletzt dünne Fleischbrühe. — Den Commissaren machten die »Gross- mächte« Sorgen: wenn deren fünf in Europa, eine in America wäre, wie viele möchten die anderen Welttheile wohl bergen! Nach- dem Graf Eulenburg sie darüber beruhigt, gaben sie die mögliche Gewährung des Gesandtschaftsrechtes halb und halb zu, meinten
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Verhandlungen in Tien-tsin. XV.
Galopsprünge und suchende Gebehrden. Nach einigen Wieder-
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Grafen Hände.
Ich lebte den Tag über von Apricosen und Eiern, denn Anderes
war nicht aufzutreiben, und legte mich früh zur Ruhe. Die Lage
schien günstig; denn nach Tšaṅ’s Besuch waren wir im Besitz des
Hauses nicht gestört worden. Die Zuweisung des Mandarinen be-
wies, dass die Regierung die Verbindung aufrecht halten wolle
und nur noch die Erfüllung von Höflichkeitsformen erwarte; darauf
hätte der Gesandte ungehindert nach Pe-kiṅ gehen und seinen
persönlichen Einfluss geltend machen können, der wohl zu glück-
lichem Ende geführt hätte; doch sollte es anders kommen.
Am Tage nach unserer Abreise aus Tien-tsin — den
22. Juni — richteten die Commissare ein Schreiben an den Ge-
sandten, in welchem sie zunächst auf die »Grossmächte« zurück-
kamen. Früher hätten sie deren nur vier, nämlich England, Frank-
reich, Russland, America gekannt, dann aber erfahren, dass auch
Preussen dazu gehöre. Nun spreche der Gesandte in seiner Denk-
schrift von dem ihnen gänzlich unbekannten Lande Oestreich; das
sei nun schon die sechste; man könne nicht wissen, wie viel andere
»Grossmächte« noch auftauchen und Gesandte schicken möchten.
Preussen solle sich doch einstweilen mit der consularischen Ver-
tretung begnügen; in einigen Jahren, wenn die Völker sich näher
gekommen und die Rebellen besiegt wären, möge von der kaiser-
lichen Gnade auch das Gesandtschaftsrecht zu erlangen sein. Von
den übersandten 45 Artikeln verwärfen sie nur fünf; die übrigen
könnten mit geringen Aenderungen stehen bleiben. — Zugleich
baten die Commissare den Gesandten wieder um eine Unterredung,
die in der öffentlichen Halle von Tien-tsin am 24. Juni um neun
Uhr Morgens stattfand.
Da die Chinesen um diese Stunde ihre Hauptmahlzeit halten,
wurde ein reichliches Frühstück aufgetragen: zuerst Früchte und
Süssigkeiten, dann Hammel-, Rinder- und Schweinebraten, zuletzt
dünne Fleischbrühe. — Den Commissaren machten die »Gross-
mächte« Sorgen: wenn deren fünf in Europa, eine in America
wäre, wie viele möchten die anderen Welttheile wohl bergen! Nach-
dem Graf Eulenburg sie darüber beruhigt, gaben sie die mögliche
Gewährung des Gesandtschaftsrechtes halb und halb zu, meinten
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/72>, abgerufen am 25.11.2024.
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