Glieder verrenkend, vor dem Altar nieder. Andere rutschten auf den Knieen die mehrere hundert Schritt lange Steinbahn bis zum Tempel hinan, einen Ziegelstein vor sich umkantend, um dann den Körper nachzuziehen. -- Im innersten Heiligthum tobte das Volk ohne Scheu und Ehrfurcht, ein roher Haufen voll Schmutz und Elend.
Einigen Reiz bot bei günstigem Wetter ein Spaziergang auf der Ringmauer, da man, mit einigem Klettern über eingesunkene Stellen, um die ganze Stadt wandern konnte. Nach aussen schweift der Blick über die Vorstädte, den Mastenwald im Pei-ho und die grenzenlose Ebene; im Innern ragen aus dem Häusermeer nur das Thorgebäude im Mittelpunct, einige Tempelportale, Flaggenmasten und viele Mattendächer, welche im Sommer über Höfen und öffent- lichen Plätzen aufgebaut werden. Das hohe Mastengerüst trägt ein leichtes Rahmenwerk aus Bambus, auf welchem die Mattenbedachung liegt; an die Ost- und die Westseite lehnen schiefliegende Gerüste, deren Mattenwandung nach Bedürfniss durch Schnüre aufgerollt werden kann. Ohne diese Schutzdächer machte die brennende Sonne den Aufenthalt im Freien unmöglich. -- Man blickt von der Stadtmauer in viele Höfe, wo unter dem Staube Wein und Akazien grünen; besonders anziehend war die Aussicht vom Ost- thor in die belebte nach dem Mittelpunct der Stadt führende Hauptstrasse.7) In den Thorgebäuden und den Eckthürmen lagen Massen alter Pickelhauben, Säbel und Uniformstücke, modernde Klumpen von Rost und bunten Lappen.
Anfangs verleidete der mephitische Hauch des Stadtgra- bens die Spaziergänge auf der Mauer; General Staveley ersuchte den Tau-tae vergebens, die Pfütze räumen zu lassen. Im Mai sollten aber die öffentlichen Prüfungen des Bezirkes in der von den Engländern zur Kirche eingerichteten Examinationshalle stattfinden, und die Stadtbehörden baten, das Gebäude nach seiner Bestimmung benutzen zu dürfen. Das erlaubte General Staveley unter der Be- dingung, dass sie den Graben räumten. -- Die Prüfungen wurden gehalten; die Namen der Bestbestandenen prangten bald an allen Strassenecken, und unsere Nasen athmeten freier.
Da die in der Stadt liegenden Truppen zu ihrem Exercir- platz immer einen langen Weg durch übelriechende Gassen hatten,
7) S. das VI. Heft der "Ansichten aus Japan, China und Siam."
XV. Die Stadtmauer.
Glieder verrenkend, vor dem Altar nieder. Andere rutschten auf den Knieen die mehrere hundert Schritt lange Steinbahn bis zum Tempel hinan, einen Ziegelstein vor sich umkantend, um dann den Körper nachzuziehen. — Im innersten Heiligthum tobte das Volk ohne Scheu und Ehrfurcht, ein roher Haufen voll Schmutz und Elend.
Einigen Reiz bot bei günstigem Wetter ein Spaziergang auf der Ringmauer, da man, mit einigem Klettern über eingesunkene Stellen, um die ganze Stadt wandern konnte. Nach aussen schweift der Blick über die Vorstädte, den Mastenwald im Pei-ho und die grenzenlose Ebene; im Innern ragen aus dem Häusermeer nur das Thorgebäude im Mittelpunct, einige Tempelportale, Flaggenmasten und viele Mattendächer, welche im Sommer über Höfen und öffent- lichen Plätzen aufgebaut werden. Das hohe Mastengerüst trägt ein leichtes Rahmenwerk aus Bambus, auf welchem die Mattenbedachung liegt; an die Ost- und die Westseite lehnen schiefliegende Gerüste, deren Mattenwandung nach Bedürfniss durch Schnüre aufgerollt werden kann. Ohne diese Schutzdächer machte die brennende Sonne den Aufenthalt im Freien unmöglich. — Man blickt von der Stadtmauer in viele Höfe, wo unter dem Staube Wein und Akazien grünen; besonders anziehend war die Aussicht vom Ost- thor in die belebte nach dem Mittelpunct der Stadt führende Hauptstrasse.7) In den Thorgebäuden und den Eckthürmen lagen Massen alter Pickelhauben, Säbel und Uniformstücke, modernde Klumpen von Rost und bunten Lappen.
Anfangs verleidete der mephitische Hauch des Stadtgra- bens die Spaziergänge auf der Mauer; General Staveley ersuchte den Tau-tae vergebens, die Pfütze räumen zu lassen. Im Mai sollten aber die öffentlichen Prüfungen des Bezirkes in der von den Engländern zur Kirche eingerichteten Examinationshalle stattfinden, und die Stadtbehörden baten, das Gebäude nach seiner Bestimmung benutzen zu dürfen. Das erlaubte General Staveley unter der Be- dingung, dass sie den Graben räumten. — Die Prüfungen wurden gehalten; die Namen der Bestbestandenen prangten bald an allen Strassenecken, und unsere Nasen athmeten freier.
Da die in der Stadt liegenden Truppen zu ihrem Exercir- platz immer einen langen Weg durch übelriechende Gassen hatten,
7) S. das VI. Heft der »Ansichten aus Japan, China und Siam.«
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XV. Die Stadtmauer.
Glieder verrenkend, vor dem Altar nieder. Andere rutschten auf
den Knieen die mehrere hundert Schritt lange Steinbahn bis zum
Tempel hinan, einen Ziegelstein vor sich umkantend, um dann den
Körper nachzuziehen. — Im innersten Heiligthum tobte das Volk
ohne Scheu und Ehrfurcht, ein roher Haufen voll Schmutz
und Elend.
Einigen Reiz bot bei günstigem Wetter ein Spaziergang auf
der Ringmauer, da man, mit einigem Klettern über eingesunkene
Stellen, um die ganze Stadt wandern konnte. Nach aussen schweift
der Blick über die Vorstädte, den Mastenwald im Pei-ho und die
grenzenlose Ebene; im Innern ragen aus dem Häusermeer nur das
Thorgebäude im Mittelpunct, einige Tempelportale, Flaggenmasten
und viele Mattendächer, welche im Sommer über Höfen und öffent-
lichen Plätzen aufgebaut werden. Das hohe Mastengerüst trägt ein
leichtes Rahmenwerk aus Bambus, auf welchem die Mattenbedachung
liegt; an die Ost- und die Westseite lehnen schiefliegende Gerüste,
deren Mattenwandung nach Bedürfniss durch Schnüre aufgerollt
werden kann. Ohne diese Schutzdächer machte die brennende
Sonne den Aufenthalt im Freien unmöglich. — Man blickt von
der Stadtmauer in viele Höfe, wo unter dem Staube Wein und
Akazien grünen; besonders anziehend war die Aussicht vom Ost-
thor in die belebte nach dem Mittelpunct der Stadt führende
Hauptstrasse. 7) In den Thorgebäuden und den Eckthürmen lagen
Massen alter Pickelhauben, Säbel und Uniformstücke, modernde
Klumpen von Rost und bunten Lappen.
Anfangs verleidete der mephitische Hauch des Stadtgra-
bens die Spaziergänge auf der Mauer; General Staveley ersuchte
den Tau-tae vergebens, die Pfütze räumen zu lassen. Im Mai
sollten aber die öffentlichen Prüfungen des Bezirkes in der von den
Engländern zur Kirche eingerichteten Examinationshalle stattfinden,
und die Stadtbehörden baten, das Gebäude nach seiner Bestimmung
benutzen zu dürfen. Das erlaubte General Staveley unter der Be-
dingung, dass sie den Graben räumten. — Die Prüfungen wurden
gehalten; die Namen der Bestbestandenen prangten bald an allen
Strassenecken, und unsere Nasen athmeten freier.
Da die in der Stadt liegenden Truppen zu ihrem Exercir-
platz immer einen langen Weg durch übelriechende Gassen hatten,
7) S. das VI. Heft der »Ansichten aus Japan, China und Siam.«
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/43>, abgerufen am 24.11.2024.
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