Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Lebensmittel. XV.
köstliche Weintrauben 4) vom letzten Jahre, die, in Eishäusern auf-
bewahrt, bis zum Herbst so fest und saftig wie frischgeschnittene
bleiben. Das Eis wird im Winter systematisch in viereckige Blöcke
geschnitten und in steilwandigen Gruben aufgeschichtet, die etwa
hundert Fuss lang, funfzig breit und zwanzig Fuss tief sind. Die
Früchte, -- Aepfel, Birnen und Weintrauben, -- packt man in
Eimer und ausgehöhlte Kürbisse, setzt sie in diese Gruben und
füllt auch die Zwischenräume mit Eis. Ein Mattendach mit einer
dichten Erdschicht darauf bedeckt das Ganze. Der Vorrath ist
unerschöpflich: selbst auf dem Markt liegt jeder Fisch und jedes
Stück Fleisch auf Eis; jede Fischerdschunke geht eisbeladen in
See und bringt ihren Fang eingefroren nach Tien-tsin; so gross
ist der Vorrath.

Wein und Bier brachten wir mit; Sodawasser bereitete ein
Engländer zu mässigem Preise; man trank es eimerweise, denn der
Durst war kaum zu löschen und das Wasser ungesund. Das Brun-
nenwasser des salpeterhaltigen Bodens kann Niemand trinken; so
ist denn Tien-tsin auf den Lehmbrei des Pei-ho und des Canales
angewiesen, welche allen Unrath der Stadt aufnehmen; auch faulende
Thierleichen und anderes Unsägliche schwimmen darin herum.
Nicht einmal kann das Wasser in ruhigem Fluss seine dicken Be-
standtheile ablagern, denn die Fluth staut es jeden Tag mehrere
Stunden zu Berg, und bei Ebbe strömt es gewaltsam durch die leh-
migen Ufer. Man klärt es gewöhnlich durch Umrühren mit einem
Rohr, dessen durchbrochenes Ende mit Alaun gefüllt ist, oder
wirft eine Handvoll davon in die grossen Wasserkrüge. Dadurch
werden aber die organischen Stoffe nicht zerstört. Vielfache unter der
Garnison grassirende Uebel, auch den Bandwurm, für den sich
kaum hinreichende Mengen des specifischen Mittels herbeischaffen
liessen, glaubten die Aerzte auf das Wasser schieben zu müssen.
Der Chinese trinkt instinctiv seinen Thee und bleibt gesund, da
Sieden des Wassers alle organischen Stoffe zerstört, während das
bei den Engländern so beliebte Versetzen mit Branntwein keinen
Schutz gewähren soll.

Unser erstes Bedürfniss in Tien-tsin waren Pferde; die
weite Ebene lockte zu Ausflügen, und in der Stadt watete man bei

4) Diese Trauben reifen in unmittelbarer Nähe von Tien-tsin; damit die
Weinstöcke den langen harten Winter überdauern, legt man sie im Herbst an den
Boden und bedeckt sie mehrere Fuss hoch mit Erde.

Lebensmittel. XV.
köstliche Weintrauben 4) vom letzten Jahre, die, in Eishäusern auf-
bewahrt, bis zum Herbst so fest und saftig wie frischgeschnittene
bleiben. Das Eis wird im Winter systematisch in viereckige Blöcke
geschnitten und in steilwandigen Gruben aufgeschichtet, die etwa
hundert Fuss lang, funfzig breit und zwanzig Fuss tief sind. Die
Früchte, — Aepfel, Birnen und Weintrauben, — packt man in
Eimer und ausgehöhlte Kürbisse, setzt sie in diese Gruben und
füllt auch die Zwischenräume mit Eis. Ein Mattendach mit einer
dichten Erdschicht darauf bedeckt das Ganze. Der Vorrath ist
unerschöpflich: selbst auf dem Markt liegt jeder Fisch und jedes
Stück Fleisch auf Eis; jede Fischerdschunke geht eisbeladen in
See und bringt ihren Fang eingefroren nach Tien-tsin; so gross
ist der Vorrath.

Wein und Bier brachten wir mit; Sodawasser bereitete ein
Engländer zu mässigem Preise; man trank es eimerweise, denn der
Durst war kaum zu löschen und das Wasser ungesund. Das Brun-
nenwasser des salpeterhaltigen Bodens kann Niemand trinken; so
ist denn Tien-tsin auf den Lehmbrei des Pei-ho und des Canales
angewiesen, welche allen Unrath der Stadt aufnehmen; auch faulende
Thierleichen und anderes Unsägliche schwimmen darin herum.
Nicht einmal kann das Wasser in ruhigem Fluss seine dicken Be-
standtheile ablagern, denn die Fluth staut es jeden Tag mehrere
Stunden zu Berg, und bei Ebbe strömt es gewaltsam durch die leh-
migen Ufer. Man klärt es gewöhnlich durch Umrühren mit einem
Rohr, dessen durchbrochenes Ende mit Alaun gefüllt ist, oder
wirft eine Handvoll davon in die grossen Wasserkrüge. Dadurch
werden aber die organischen Stoffe nicht zerstört. Vielfache unter der
Garnison grassirende Uebel, auch den Bandwurm, für den sich
kaum hinreichende Mengen des specifischen Mittels herbeischaffen
liessen, glaubten die Aerzte auf das Wasser schieben zu müssen.
Der Chinese trinkt instinctiv seinen Thee und bleibt gesund, da
Sieden des Wassers alle organischen Stoffe zerstört, während das
bei den Engländern so beliebte Versetzen mit Branntwein keinen
Schutz gewähren soll.

Unser erstes Bedürfniss in Tien-tsin waren Pferde; die
weite Ebene lockte zu Ausflügen, und in der Stadt watete man bei

4) Diese Trauben reifen in unmittelbarer Nähe von Tien-tsin; damit die
Weinstöcke den langen harten Winter überdauern, legt man sie im Herbst an den
Boden und bedeckt sie mehrere Fuss hoch mit Erde.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0030" n="16"/><fw place="top" type="header">Lebensmittel. XV.</fw><lb/>
köstliche Weintrauben <note place="foot" n="4)">Diese Trauben reifen in unmittelbarer Nähe von <hi rendition="#k"><placeName>Tien-tsin</placeName></hi>; damit die<lb/>
Weinstöcke den langen harten Winter überdauern, legt man sie im Herbst an den<lb/>
Boden und bedeckt sie mehrere Fuss hoch mit Erde.</note> vom letzten Jahre, die, in Eishäusern auf-<lb/>
bewahrt, bis zum Herbst so fest und saftig wie frischgeschnittene<lb/>
bleiben. Das Eis wird im Winter systematisch in viereckige Blöcke<lb/>
geschnitten und in steilwandigen Gruben aufgeschichtet, die etwa<lb/>
hundert Fuss lang, funfzig breit und zwanzig Fuss tief sind. Die<lb/>
Früchte, &#x2014; Aepfel, Birnen und Weintrauben, &#x2014; packt man in<lb/>
Eimer und ausgehöhlte Kürbisse, setzt sie in diese Gruben und<lb/>
füllt auch die Zwischenräume mit Eis. Ein Mattendach mit einer<lb/>
dichten Erdschicht darauf bedeckt das Ganze. Der Vorrath ist<lb/>
unerschöpflich: selbst auf dem Markt liegt jeder Fisch und jedes<lb/>
Stück Fleisch auf Eis; jede Fischerdschunke geht eisbeladen in<lb/>
See und bringt ihren Fang eingefroren nach <hi rendition="#k"><placeName>Tien-tsin</placeName></hi>; so gross<lb/>
ist der Vorrath.</p><lb/>
          <p>Wein und Bier brachten wir mit; Sodawasser bereitete ein<lb/>
Engländer zu mässigem Preise; man trank es eimerweise, denn der<lb/>
Durst war kaum zu löschen und das Wasser ungesund. Das Brun-<lb/>
nenwasser des salpeterhaltigen Bodens kann Niemand trinken; so<lb/>
ist denn <hi rendition="#k"><placeName>Tien-tsin</placeName></hi> auf den Lehmbrei des <hi rendition="#k"><placeName>Pei-ho</placeName></hi> und des Canales<lb/>
angewiesen, welche allen Unrath der Stadt aufnehmen; auch faulende<lb/>
Thierleichen und anderes Unsägliche schwimmen darin herum.<lb/>
Nicht einmal kann das Wasser in ruhigem Fluss seine dicken Be-<lb/>
standtheile ablagern, denn die Fluth staut es jeden Tag mehrere<lb/>
Stunden zu Berg, und bei Ebbe strömt es gewaltsam durch die leh-<lb/>
migen Ufer. Man klärt es gewöhnlich durch Umrühren mit einem<lb/>
Rohr, dessen durchbrochenes Ende mit Alaun gefüllt ist, oder<lb/>
wirft eine Handvoll davon in die grossen Wasserkrüge. Dadurch<lb/>
werden aber die organischen Stoffe nicht zerstört. Vielfache unter der<lb/>
Garnison grassirende Uebel, auch den Bandwurm, für den sich<lb/>
kaum hinreichende Mengen des specifischen Mittels herbeischaffen<lb/>
liessen, glaubten die Aerzte auf das Wasser schieben zu müssen.<lb/>
Der Chinese trinkt instinctiv seinen Thee und bleibt gesund, da<lb/>
Sieden des Wassers alle organischen Stoffe zerstört, während das<lb/>
bei den Engländern so beliebte Versetzen mit Branntwein keinen<lb/>
Schutz gewähren soll.</p><lb/>
          <p>Unser erstes Bedürfniss in <hi rendition="#k"><placeName>Tien-tsin</placeName></hi> waren Pferde; die<lb/>
weite Ebene lockte zu Ausflügen, und in der Stadt watete man bei<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0030] Lebensmittel. XV. köstliche Weintrauben 4) vom letzten Jahre, die, in Eishäusern auf- bewahrt, bis zum Herbst so fest und saftig wie frischgeschnittene bleiben. Das Eis wird im Winter systematisch in viereckige Blöcke geschnitten und in steilwandigen Gruben aufgeschichtet, die etwa hundert Fuss lang, funfzig breit und zwanzig Fuss tief sind. Die Früchte, — Aepfel, Birnen und Weintrauben, — packt man in Eimer und ausgehöhlte Kürbisse, setzt sie in diese Gruben und füllt auch die Zwischenräume mit Eis. Ein Mattendach mit einer dichten Erdschicht darauf bedeckt das Ganze. Der Vorrath ist unerschöpflich: selbst auf dem Markt liegt jeder Fisch und jedes Stück Fleisch auf Eis; jede Fischerdschunke geht eisbeladen in See und bringt ihren Fang eingefroren nach Tien-tsin; so gross ist der Vorrath. Wein und Bier brachten wir mit; Sodawasser bereitete ein Engländer zu mässigem Preise; man trank es eimerweise, denn der Durst war kaum zu löschen und das Wasser ungesund. Das Brun- nenwasser des salpeterhaltigen Bodens kann Niemand trinken; so ist denn Tien-tsin auf den Lehmbrei des Pei-ho und des Canales angewiesen, welche allen Unrath der Stadt aufnehmen; auch faulende Thierleichen und anderes Unsägliche schwimmen darin herum. Nicht einmal kann das Wasser in ruhigem Fluss seine dicken Be- standtheile ablagern, denn die Fluth staut es jeden Tag mehrere Stunden zu Berg, und bei Ebbe strömt es gewaltsam durch die leh- migen Ufer. Man klärt es gewöhnlich durch Umrühren mit einem Rohr, dessen durchbrochenes Ende mit Alaun gefüllt ist, oder wirft eine Handvoll davon in die grossen Wasserkrüge. Dadurch werden aber die organischen Stoffe nicht zerstört. Vielfache unter der Garnison grassirende Uebel, auch den Bandwurm, für den sich kaum hinreichende Mengen des specifischen Mittels herbeischaffen liessen, glaubten die Aerzte auf das Wasser schieben zu müssen. Der Chinese trinkt instinctiv seinen Thee und bleibt gesund, da Sieden des Wassers alle organischen Stoffe zerstört, während das bei den Engländern so beliebte Versetzen mit Branntwein keinen Schutz gewähren soll. Unser erstes Bedürfniss in Tien-tsin waren Pferde; die weite Ebene lockte zu Ausflügen, und in der Stadt watete man bei 4) Diese Trauben reifen in unmittelbarer Nähe von Tien-tsin; damit die Weinstöcke den langen harten Winter überdauern, legt man sie im Herbst an den Boden und bedeckt sie mehrere Fuss hoch mit Erde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/30
Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/30>, abgerufen am 23.11.2024.