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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XIX. Denkschriften gegen des Kaisers Flucht.

Seit dem diebischen Eindringen der rebellischen Barbaren in
den Bezirk Tien-tsin sind, obwohl die kaiserlichen Rathschlüsse in
Geheimniss gehüllt und dem Publicum unbekannt waren, verworrene
Gerüchte jeder Art überall in Umlauf gewesen und haben grosse Be-
stürzung erweckt. Kürzlich berichtete die Zeitung, dass San-ko-lin-
sin
sich nach Yan-tsun, dann nach Tai-tsun zurückgezogen habe;
dann wieder, dass er seiner Stellung enthoben worden sei; ferner,
dass Seine Majestät Kwei-lian und Han-fu zu kaiserlichen Com-
missaren ernannt habe, um die Angelegenheiten zu ordnen. Dann
kamen unablässig Couriere mit der Schnelligkeit von 600 Li.52) Ein
Gerücht sagte, dass Frieden um jeden Preis beschlossen sei, ein
anderer, dass 20,000,000 Tael versprochen, die Baarzahlung von
2,000,000 Tael aber noch unentschieden sei; dann, dass mehrere Zehn-
tausend Mongolen-Krieger herbeigerufen seien, dass der Krieg be-
schlossen sei; ferner, dass dem Vorhaben Deiner Majestät, den Krieg
fortzusetzen, von einigen Personen Widerstand bereitet werde. Die
Verwirrung und Bestürzung waren unbeschreiblich; aber nichts be-
fremdete so sehr als das jetzt verbreitete Gerücht, dass Deine Ma-
jestät eine Reise nach Dzehol machen wolle. Das hat die schreck-
lichste Bestürzung verursacht; aber Dein Diener glaubt nicht daran.
Und doch, da mehrere Minister Deine Majestät wiederholt angefleht
haben zu Deinem Palast zurückzukehren, ohne eine günstige Antwort
zu erhalten, so kann man sich einer unbeschreiblichen Furcht nicht
entschlagen. Wenn das Gerücht wirklich wahr ist, so wird die Wirkung
sein wie ein gewaltsamer Ausbruch der Natur, und der Schaden muss
unersetzlich sein. In welchem Lichte betrachtet Deine Majestät sein
Volk, in welchem Lichte die Altäre Deiner Vorfahren, den Schrein der
Schutzgötter? Willst Du das Erbe Deiner Ahnen wie einen zer-
rissenen Schuh fortwerfen? Was würde in tausend nachfolgenden Ge-
nerationen die Geschichte von Deiner Majestät sagen? Niemals war
es erhört, dass ein Fürst eine Zeit der Gefahr und des Elendes zu
einer Jagdreise auswählen und glauben sollte, dadurch Unheil ab-
zuwenden. Wenn die Ruhe in der Hauptstadt gestört wird, -- was
würde dann verhindern, dass auch in Dzehol die Ruhe gestört würde?
Deine Majestät wird angefleht, ohne Verzug in Deinen Palast zurück-
zukehren, damit das Gemüth des Volkes beschwichtigt werde. Die
Hauptstadt ist streng bewacht, der Geist aller ihrer Bewohner auf die
höchste Spannung getrieben; selbst Frauen und Kinder sind ent-
schlossen bis zum Letzten zu kämpfen. Vor Allem steht jetzt San-ko-
lin-sin
an der Spitze mehrerer Zehntausende mongolischer Truppen,

52) Der gewöhnliche Ausdruck für die schnellste Art der Courier-Beförderung.
IV. 15
XIX. Denkschriften gegen des Kaisers Flucht.

Seit dem diebischen Eindringen der rebellischen Barbaren in
den Bezirk Tien-tsin sind, obwohl die kaiserlichen Rathschlüsse in
Geheimniss gehüllt und dem Publicum unbekannt waren, verworrene
Gerüchte jeder Art überall in Umlauf gewesen und haben grosse Be-
stürzung erweckt. Kürzlich berichtete die Zeitung, dass Saṅ-ko-lin-
sin
sich nach Yaṅ-tsun, dann nach Tai-tsun zurückgezogen habe;
dann wieder, dass er seiner Stellung enthoben worden sei; ferner,
dass Seine Majestät Kwei-liaṅ und Haṅ-fu zu kaiserlichen Com-
missaren ernannt habe, um die Angelegenheiten zu ordnen. Dann
kamen unablässig Couriere mit der Schnelligkeit von 600 Li.52) Ein
Gerücht sagte, dass Frieden um jeden Preis beschlossen sei, ein
anderer, dass 20,000,000 Tael versprochen, die Baarzahlung von
2,000,000 Tael aber noch unentschieden sei; dann, dass mehrere Zehn-
tausend Mongolen-Krieger herbeigerufen seien, dass der Krieg be-
schlossen sei; ferner, dass dem Vorhaben Deiner Majestät, den Krieg
fortzusetzen, von einigen Personen Widerstand bereitet werde. Die
Verwirrung und Bestürzung waren unbeschreiblich; aber nichts be-
fremdete so sehr als das jetzt verbreitete Gerücht, dass Deine Ma-
jestät eine Reise nach Džehol machen wolle. Das hat die schreck-
lichste Bestürzung verursacht; aber Dein Diener glaubt nicht daran.
Und doch, da mehrere Minister Deine Majestät wiederholt angefleht
haben zu Deinem Palast zurückzukehren, ohne eine günstige Antwort
zu erhalten, so kann man sich einer unbeschreiblichen Furcht nicht
entschlagen. Wenn das Gerücht wirklich wahr ist, so wird die Wirkung
sein wie ein gewaltsamer Ausbruch der Natur, und der Schaden muss
unersetzlich sein. In welchem Lichte betrachtet Deine Majestät sein
Volk, in welchem Lichte die Altäre Deiner Vorfahren, den Schrein der
Schutzgötter? Willst Du das Erbe Deiner Ahnen wie einen zer-
rissenen Schuh fortwerfen? Was würde in tausend nachfolgenden Ge-
nerationen die Geschichte von Deiner Majestät sagen? Niemals war
es erhört, dass ein Fürst eine Zeit der Gefahr und des Elendes zu
einer Jagdreise auswählen und glauben sollte, dadurch Unheil ab-
zuwenden. Wenn die Ruhe in der Hauptstadt gestört wird, — was
würde dann verhindern, dass auch in Džehol die Ruhe gestört würde?
Deine Majestät wird angefleht, ohne Verzug in Deinen Palast zurück-
zukehren, damit das Gemüth des Volkes beschwichtigt werde. Die
Hauptstadt ist streng bewacht, der Geist aller ihrer Bewohner auf die
höchste Spannung getrieben; selbst Frauen und Kinder sind ent-
schlossen bis zum Letzten zu kämpfen. Vor Allem steht jetzt Saṅ-ko-
lin-sin
an der Spitze mehrerer Zehntausende mongolischer Truppen,

52) Der gewöhnliche Ausdruck für die schnellste Art der Courier-Beförderung.
IV. 15
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[225/0239] XIX. Denkschriften gegen des Kaisers Flucht. Seit dem diebischen Eindringen der rebellischen Barbaren in den Bezirk Tien-tsin sind, obwohl die kaiserlichen Rathschlüsse in Geheimniss gehüllt und dem Publicum unbekannt waren, verworrene Gerüchte jeder Art überall in Umlauf gewesen und haben grosse Be- stürzung erweckt. Kürzlich berichtete die Zeitung, dass Saṅ-ko-lin- sin sich nach Yaṅ-tsun, dann nach Tai-tsun zurückgezogen habe; dann wieder, dass er seiner Stellung enthoben worden sei; ferner, dass Seine Majestät Kwei-liaṅ und Haṅ-fu zu kaiserlichen Com- missaren ernannt habe, um die Angelegenheiten zu ordnen. Dann kamen unablässig Couriere mit der Schnelligkeit von 600 Li. 52) Ein Gerücht sagte, dass Frieden um jeden Preis beschlossen sei, ein anderer, dass 20,000,000 Tael versprochen, die Baarzahlung von 2,000,000 Tael aber noch unentschieden sei; dann, dass mehrere Zehn- tausend Mongolen-Krieger herbeigerufen seien, dass der Krieg be- schlossen sei; ferner, dass dem Vorhaben Deiner Majestät, den Krieg fortzusetzen, von einigen Personen Widerstand bereitet werde. Die Verwirrung und Bestürzung waren unbeschreiblich; aber nichts be- fremdete so sehr als das jetzt verbreitete Gerücht, dass Deine Ma- jestät eine Reise nach Džehol machen wolle. Das hat die schreck- lichste Bestürzung verursacht; aber Dein Diener glaubt nicht daran. Und doch, da mehrere Minister Deine Majestät wiederholt angefleht haben zu Deinem Palast zurückzukehren, ohne eine günstige Antwort zu erhalten, so kann man sich einer unbeschreiblichen Furcht nicht entschlagen. Wenn das Gerücht wirklich wahr ist, so wird die Wirkung sein wie ein gewaltsamer Ausbruch der Natur, und der Schaden muss unersetzlich sein. In welchem Lichte betrachtet Deine Majestät sein Volk, in welchem Lichte die Altäre Deiner Vorfahren, den Schrein der Schutzgötter? Willst Du das Erbe Deiner Ahnen wie einen zer- rissenen Schuh fortwerfen? Was würde in tausend nachfolgenden Ge- nerationen die Geschichte von Deiner Majestät sagen? Niemals war es erhört, dass ein Fürst eine Zeit der Gefahr und des Elendes zu einer Jagdreise auswählen und glauben sollte, dadurch Unheil ab- zuwenden. Wenn die Ruhe in der Hauptstadt gestört wird, — was würde dann verhindern, dass auch in Džehol die Ruhe gestört würde? Deine Majestät wird angefleht, ohne Verzug in Deinen Palast zurück- zukehren, damit das Gemüth des Volkes beschwichtigt werde. Die Hauptstadt ist streng bewacht, der Geist aller ihrer Bewohner auf die höchste Spannung getrieben; selbst Frauen und Kinder sind ent- schlossen bis zum Letzten zu kämpfen. Vor Allem steht jetzt Saṅ-ko- lin-sin an der Spitze mehrerer Zehntausende mongolischer Truppen, 52) Der gewöhnliche Ausdruck für die schnellste Art der Courier-Beförderung. IV. 15

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/239>, abgerufen am 24.11.2024.