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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Denkschriften gegen des Kaisers Flucht. XIX.
rücken, und dass, wenn der Feind in der Gegend von Tun-tsau oder
Ma-tau betroffen wird, Deine Majestät mit starker Streitmacht dem
ursprünglichen Beschlusse gemäss sich nach einem Orte nördlich von
Pe-kin verfügen und dort Stellung nehmen will. Sie bewundern die
darin gezeigte schreckenverbreitende Tapferkeit und die wohl er-
dachte Strategie. Aber der gemeine Haufen ist sehr langsam von Be-
griff; er schöpft leicht Verdacht und schätzt nicht leicht die Dinge
richtig; und man wird sagen, dass, da die Barbaren im Südosten der
Hauptstadt stehen, die Veränderung des Unternehmens der Jagdreise
in einen persönlichen Feldzug Deine Majestät bewegen sollte, zu Unter-
stützung San-ko-lin-sin's in Tun-tsau zu bleiben; dass das Einnehmen
einer Stellung nördlich von der Hauptstadt ein Abweg vom Kriegs-
schauplatz ist; und dass also, was dem Namen nach ein Feldzug, in
Wahrheit eine Jagdreise sei. Das Gemüth des Volkes würde dadurch
verwirrt, und den Truppen sänke der Muth.

Wenn die Ausdrücke Vertheidigung und Widerstand in der
That Flucht und Zerstreuung bedeuten, so wollen zwar Deine Minister
Deiner Majestät nicht die Betrachtung aufdrängen, dass auf diese Weise
die Tempel Deiner Ahnen und die Altäre der Schutzgeister verlassen
würden (d. h., dass das Reich verloren wäre), aber sie fragen, wo
könnte anders Deiner Majestät persönliche Sicherheit besser verbürgt
sein als in der Hauptstadt? Jenseit des Hu-pi-kau-Passes (in der
Grossen Mauer) ist der Aufenthalt der russischen Barbaren, und diese
strebten beständig, zu Förderung irgend welcher verrätherischen Ab-
sichten Mittheilungen an die Regierung in Pe-kin zu richten. Diese
Gegend wird auch von Banden berittener Räuber heimgesucht, die sich
plötzlich zu Hunderten und Tausenden zusammenschaaren um Kauf-
leute und Beamte anzugreifen, über die jedoch alle Berichte von den
östlichen Mandarinen unterdrückt werden.

Obgleich die Barbaren nahe bei Pe-kin stehen mögen, so ist
doch, da dessen Befestigungen stark, dessen Garnison zahlreich sind,
in ihr keine Gefahr zu fürchten. Warum sollte also Deine Majestät
in die Höhlen von Tigern und Wölfen gehen? Wenn behauptet wird,
dass Deiner Majestät Abreise die Pläne der Barbaren durchkreuzen
und sowohl die Kriegführung als den Friedensschluss erleichtern würde,
je nachdem (das Eine oder das Andere) zweckmässig wäre, so sollte
man auf der anderen Seite nicht vergessen, dass, wenn Unruhen
in der Hauptstadt entstehen, die Urheber unserer Bedrängniss nicht die
Barbaren, sondern wir selbst sein werden.

Es mögen Einige in der Umgebung von Deiner Majestät Person
sein, welche sagen, dass die wiederholten Versuche so vieler Deiner

Denkschriften gegen des Kaisers Flucht. XIX.
rücken, und dass, wenn der Feind in der Gegend von Tuṅ-tšau oder
Ma-tau betroffen wird, Deine Majestät mit starker Streitmacht dem
ursprünglichen Beschlusse gemäss sich nach einem Orte nördlich von
Pe-kiṅ verfügen und dort Stellung nehmen will. Sie bewundern die
darin gezeigte schreckenverbreitende Tapferkeit und die wohl er-
dachte Strategie. Aber der gemeine Haufen ist sehr langsam von Be-
griff; er schöpft leicht Verdacht und schätzt nicht leicht die Dinge
richtig; und man wird sagen, dass, da die Barbaren im Südosten der
Hauptstadt stehen, die Veränderung des Unternehmens der Jagdreise
in einen persönlichen Feldzug Deine Majestät bewegen sollte, zu Unter-
stützung Saṅ-ko-lin-sin’s in Tuṅ-tšau zu bleiben; dass das Einnehmen
einer Stellung nördlich von der Hauptstadt ein Abweg vom Kriegs-
schauplatz ist; und dass also, was dem Namen nach ein Feldzug, in
Wahrheit eine Jagdreise sei. Das Gemüth des Volkes würde dadurch
verwirrt, und den Truppen sänke der Muth.

Wenn die Ausdrücke Vertheidigung und Widerstand in der
That Flucht und Zerstreuung bedeuten, so wollen zwar Deine Minister
Deiner Majestät nicht die Betrachtung aufdrängen, dass auf diese Weise
die Tempel Deiner Ahnen und die Altäre der Schutzgeister verlassen
würden (d. h., dass das Reich verloren wäre), aber sie fragen, wo
könnte anders Deiner Majestät persönliche Sicherheit besser verbürgt
sein als in der Hauptstadt? Jenseit des Hu-pi-kau-Passes (in der
Grossen Mauer) ist der Aufenthalt der russischen Barbaren, und diese
strebten beständig, zu Förderung irgend welcher verrätherischen Ab-
sichten Mittheilungen an die Regierung in Pe-kiṅ zu richten. Diese
Gegend wird auch von Banden berittener Räuber heimgesucht, die sich
plötzlich zu Hunderten und Tausenden zusammenschaaren um Kauf-
leute und Beamte anzugreifen, über die jedoch alle Berichte von den
östlichen Mandarinen unterdrückt werden.

Obgleich die Barbaren nahe bei Pe-kiṅ stehen mögen, so ist
doch, da dessen Befestigungen stark, dessen Garnison zahlreich sind,
in ihr keine Gefahr zu fürchten. Warum sollte also Deine Majestät
in die Höhlen von Tigern und Wölfen gehen? Wenn behauptet wird,
dass Deiner Majestät Abreise die Pläne der Barbaren durchkreuzen
und sowohl die Kriegführung als den Friedensschluss erleichtern würde,
je nachdem (das Eine oder das Andere) zweckmässig wäre, so sollte
man auf der anderen Seite nicht vergessen, dass, wenn Unruhen
in der Hauptstadt entstehen, die Urheber unserer Bedrängniss nicht die
Barbaren, sondern wir selbst sein werden.

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[220/0234] Denkschriften gegen des Kaisers Flucht. XIX. rücken, und dass, wenn der Feind in der Gegend von Tuṅ-tšau oder Ma-tau betroffen wird, Deine Majestät mit starker Streitmacht dem ursprünglichen Beschlusse gemäss sich nach einem Orte nördlich von Pe-kiṅ verfügen und dort Stellung nehmen will. Sie bewundern die darin gezeigte schreckenverbreitende Tapferkeit und die wohl er- dachte Strategie. Aber der gemeine Haufen ist sehr langsam von Be- griff; er schöpft leicht Verdacht und schätzt nicht leicht die Dinge richtig; und man wird sagen, dass, da die Barbaren im Südosten der Hauptstadt stehen, die Veränderung des Unternehmens der Jagdreise in einen persönlichen Feldzug Deine Majestät bewegen sollte, zu Unter- stützung Saṅ-ko-lin-sin’s in Tuṅ-tšau zu bleiben; dass das Einnehmen einer Stellung nördlich von der Hauptstadt ein Abweg vom Kriegs- schauplatz ist; und dass also, was dem Namen nach ein Feldzug, in Wahrheit eine Jagdreise sei. Das Gemüth des Volkes würde dadurch verwirrt, und den Truppen sänke der Muth. Wenn die Ausdrücke Vertheidigung und Widerstand in der That Flucht und Zerstreuung bedeuten, so wollen zwar Deine Minister Deiner Majestät nicht die Betrachtung aufdrängen, dass auf diese Weise die Tempel Deiner Ahnen und die Altäre der Schutzgeister verlassen würden (d. h., dass das Reich verloren wäre), aber sie fragen, wo könnte anders Deiner Majestät persönliche Sicherheit besser verbürgt sein als in der Hauptstadt? Jenseit des Hu-pi-kau-Passes (in der Grossen Mauer) ist der Aufenthalt der russischen Barbaren, und diese strebten beständig, zu Förderung irgend welcher verrätherischen Ab- sichten Mittheilungen an die Regierung in Pe-kiṅ zu richten. Diese Gegend wird auch von Banden berittener Räuber heimgesucht, die sich plötzlich zu Hunderten und Tausenden zusammenschaaren um Kauf- leute und Beamte anzugreifen, über die jedoch alle Berichte von den östlichen Mandarinen unterdrückt werden. Obgleich die Barbaren nahe bei Pe-kiṅ stehen mögen, so ist doch, da dessen Befestigungen stark, dessen Garnison zahlreich sind, in ihr keine Gefahr zu fürchten. Warum sollte also Deine Majestät in die Höhlen von Tigern und Wölfen gehen? Wenn behauptet wird, dass Deiner Majestät Abreise die Pläne der Barbaren durchkreuzen und sowohl die Kriegführung als den Friedensschluss erleichtern würde, je nachdem (das Eine oder das Andere) zweckmässig wäre, so sollte man auf der anderen Seite nicht vergessen, dass, wenn Unruhen in der Hauptstadt entstehen, die Urheber unserer Bedrängniss nicht die Barbaren, sondern wir selbst sein werden. Es mögen Einige in der Umgebung von Deiner Majestät Person sein, welche sagen, dass die wiederholten Versuche so vieler Deiner

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/234>, abgerufen am 27.11.2024.