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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Der Staatsstreich in Pe-kin. XIX.
haben sich Geltung verschafft, die Chinesen können sich nicht mehr
dem Einfluss einer Gesittung entziehen, deren Ueberlegenheit sie
unwillig anerkennen, deren Vortheile sie aber gern benutzen. Die
schnelle Besiegung der Tae-pin mit Hülfe europäischer Waffen, --
ein Gedanke, den Hien-fun noch entrüstet zurückwies -- lieferte
in den folgenden Jahren einen schlagenden Beweis für den gewal-
tigen Umschwung in der öffentlichen Meinung.

Unzweifelhaft förderte das Verhalten der fremden Diplomaten
in Pe-kin wesentlich die Katastrophe vom 1. November, welche
gewissermaassen den Schlussact der englischen Kriege bildet. Der
Prinz von Kun überzeugte sich, dass der Frieden mit den Fremden
auf ihre Bedingungen nicht nur möglich, sondern der Wohlfahrt
des Reiches förderlich, ja die einzige Bürgschaft für Besiegung der
Rebellen sei. Blieben die Männer des Regentschaftsrathes am Ruder,
so begann die Arbeit der Fremden von Frischem, ein neuer Krieg
war unvermeidlich und führte muthmaasslich zum Sturze der Dynastie,
wie der vom Prinzen Kun im Vertrauen auf die Redlichkeit und Macht
der Fremden ausgeführte Staatsstreich zu ihrer Befestigung führte.

Wie schwach die Stellung des grossen Tsin-Hauses im Herbst
1860 war, mögen folgende im Sommerpalast erbeutete Denkschriften
zeigen, welche Hien-fun's Flucht nach Dzehol beleuchten. San-
ko-lin-sin
empfahl dieselbe nach dem Fall von Ta-ku, weil
er die Fremden im offenen Felde zu schlagen hoffte. Ob der
Gedanke von ihm ausging, weiss man nicht; von seiner politischen
Tragweite hatte der Mongolenfürst wohl keinen Begriff. San-ko-
lin-sin
's
Stellung zur Kriegsfrage ist niemals ganz aufgeklärt wor-
den. 1859 galt er als Anstifter des Widerstandes; dass er da-
mals sowohl wie 1860 in Ta-ku die Operationen leitete, ist sicher.
Für seine Erbitterung gegen die Fremden zeugt auch unwiderleglich
sein Auftreten gegen Herrn Parkes vor der Schlacht von Tsan-kia-
wan
. An demselben Tage gewann aber San-ko-lin-sin Achtung
vor den Alliirten, empfahl gleich darauf den Frieden und blieb dieser
Gesinnung auch später treu. Den Wunsch, sich des Thrones zu
bemächtigen, haben die Fremden ihm gewiss mit Unrecht angedichtet.

San-ko-lin-sin's Denkschrift.50)

"Dein Knecht San-ko-lin-sin überreicht knieend eine Denk-
schrift. In der Ueberzeugung, dass der Barbaren veränderliche Ge-

50) Rein formelle Phrasen sind in diesem und den folgenden Documenten unter-
drückt. Die Jahreszahlen sind in die christliche Zeitrechnung übersetzt.

Der Staatsstreich in Pe-kiṅ. XIX.
haben sich Geltung verschafft, die Chinesen können sich nicht mehr
dem Einfluss einer Gesittung entziehen, deren Ueberlegenheit sie
unwillig anerkennen, deren Vortheile sie aber gern benutzen. Die
schnelle Besiegung der Tae-piṅ mit Hülfe europäischer Waffen, —
ein Gedanke, den Hien-fuṅ noch entrüstet zurückwies — lieferte
in den folgenden Jahren einen schlagenden Beweis für den gewal-
tigen Umschwung in der öffentlichen Meinung.

Unzweifelhaft förderte das Verhalten der fremden Diplomaten
in Pe-kiṅ wesentlich die Katastrophe vom 1. November, welche
gewissermaassen den Schlussact der englischen Kriege bildet. Der
Prinz von Kuṅ überzeugte sich, dass der Frieden mit den Fremden
auf ihre Bedingungen nicht nur möglich, sondern der Wohlfahrt
des Reiches förderlich, ja die einzige Bürgschaft für Besiegung der
Rebellen sei. Blieben die Männer des Regentschaftsrathes am Ruder,
so begann die Arbeit der Fremden von Frischem, ein neuer Krieg
war unvermeidlich und führte muthmaasslich zum Sturze der Dynastie,
wie der vom Prinzen Kuṅ im Vertrauen auf die Redlichkeit und Macht
der Fremden ausgeführte Staatsstreich zu ihrer Befestigung führte.

Wie schwach die Stellung des grossen Tšiṅ-Hauses im Herbst
1860 war, mögen folgende im Sommerpalast erbeutete Denkschriften
zeigen, welche Hien-fuṅ’s Flucht nach Džehol beleuchten. Saṅ-
ko-lin-sin
empfahl dieselbe nach dem Fall von Ta-ku, weil
er die Fremden im offenen Felde zu schlagen hoffte. Ob der
Gedanke von ihm ausging, weiss man nicht; von seiner politischen
Tragweite hatte der Mongolenfürst wohl keinen Begriff. Saṅ-ko-
lin-sin
’s
Stellung zur Kriegsfrage ist niemals ganz aufgeklärt wor-
den. 1859 galt er als Anstifter des Widerstandes; dass er da-
mals sowohl wie 1860 in Ta-ku die Operationen leitete, ist sicher.
Für seine Erbitterung gegen die Fremden zeugt auch unwiderleglich
sein Auftreten gegen Herrn Parkes vor der Schlacht von Tšaṅ-kia-
wan
. An demselben Tage gewann aber Saṅ-ko-lin-sin Achtung
vor den Alliirten, empfahl gleich darauf den Frieden und blieb dieser
Gesinnung auch später treu. Den Wunsch, sich des Thrones zu
bemächtigen, haben die Fremden ihm gewiss mit Unrecht angedichtet.

Saṅ-ko-lin-sin’s Denkschrift.50)

»Dein Knecht Saṅ-ko-lin-sin überreicht knieend eine Denk-
schrift. In der Ueberzeugung, dass der Barbaren veränderliche Ge-

50) Rein formelle Phrasen sind in diesem und den folgenden Documenten unter-
drückt. Die Jahreszahlen sind in die christliche Zeitrechnung übersetzt.
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[212/0226] Der Staatsstreich in Pe-kiṅ. XIX. haben sich Geltung verschafft, die Chinesen können sich nicht mehr dem Einfluss einer Gesittung entziehen, deren Ueberlegenheit sie unwillig anerkennen, deren Vortheile sie aber gern benutzen. Die schnelle Besiegung der Tae-piṅ mit Hülfe europäischer Waffen, — ein Gedanke, den Hien-fuṅ noch entrüstet zurückwies — lieferte in den folgenden Jahren einen schlagenden Beweis für den gewal- tigen Umschwung in der öffentlichen Meinung. Unzweifelhaft förderte das Verhalten der fremden Diplomaten in Pe-kiṅ wesentlich die Katastrophe vom 1. November, welche gewissermaassen den Schlussact der englischen Kriege bildet. Der Prinz von Kuṅ überzeugte sich, dass der Frieden mit den Fremden auf ihre Bedingungen nicht nur möglich, sondern der Wohlfahrt des Reiches förderlich, ja die einzige Bürgschaft für Besiegung der Rebellen sei. Blieben die Männer des Regentschaftsrathes am Ruder, so begann die Arbeit der Fremden von Frischem, ein neuer Krieg war unvermeidlich und führte muthmaasslich zum Sturze der Dynastie, wie der vom Prinzen Kuṅ im Vertrauen auf die Redlichkeit und Macht der Fremden ausgeführte Staatsstreich zu ihrer Befestigung führte. Wie schwach die Stellung des grossen Tšiṅ-Hauses im Herbst 1860 war, mögen folgende im Sommerpalast erbeutete Denkschriften zeigen, welche Hien-fuṅ’s Flucht nach Džehol beleuchten. Saṅ- ko-lin-sin empfahl dieselbe nach dem Fall von Ta-ku, weil er die Fremden im offenen Felde zu schlagen hoffte. Ob der Gedanke von ihm ausging, weiss man nicht; von seiner politischen Tragweite hatte der Mongolenfürst wohl keinen Begriff. Saṅ-ko- lin-sin’s Stellung zur Kriegsfrage ist niemals ganz aufgeklärt wor- den. 1859 galt er als Anstifter des Widerstandes; dass er da- mals sowohl wie 1860 in Ta-ku die Operationen leitete, ist sicher. Für seine Erbitterung gegen die Fremden zeugt auch unwiderleglich sein Auftreten gegen Herrn Parkes vor der Schlacht von Tšaṅ-kia- wan. An demselben Tage gewann aber Saṅ-ko-lin-sin Achtung vor den Alliirten, empfahl gleich darauf den Frieden und blieb dieser Gesinnung auch später treu. Den Wunsch, sich des Thrones zu bemächtigen, haben die Fremden ihm gewiss mit Unrecht angedichtet. Saṅ-ko-lin-sin’s Denkschrift. 50) »Dein Knecht Saṅ-ko-lin-sin überreicht knieend eine Denk- schrift. In der Ueberzeugung, dass der Barbaren veränderliche Ge- 50) Rein formelle Phrasen sind in diesem und den folgenden Documenten unter- drückt. Die Jahreszahlen sind in die christliche Zeitrechnung übersetzt.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/226>, abgerufen am 24.11.2024.