bewiesen, dass sie keinen Herrn über sich erkennten; sie hätten in ungebührlicher Weise die dem Throne zunächst stehenden Prinzen von Geblüt von der Kaiserin-Wittwe zu entfernen gesucht. -- Su- tsuen wird ausserdem beschuldigt, sich gegen alles geheiligte Her- kommen auf den kaiserlichen Thron gesetzt zu haben, auf unschick- liche Weise in den inneren kaiserlichen Gemächern ein- und aus- gegangen zu sein u. s. w. Ferner wird er des Versuches bezüchtigt, die beiden Kaiserinnen durch Ohrenbläsereien mit einander zu verfeinden.
Von den fünf anderen Mitgliedern des Regentschaftsrathes wurde nur Mu-yin, -- Tsae-yuen's Genosse bei den Verhandlungen in Tun-tsau -- nach den Militärposten in der Mongolei verbannt; allen übrigen erliess ein Gnadenact die von den Richtern ausge- sprochene Verbannung; nur ihrer Aemter wurden sie entsetzt.
Der Prinz von Kun erhielt den Titel eines Ei-tsin-wan oder Prinzen-Ministers, den Posten als Präsident und Schatzmeister des höchsten Gerichtshofes und andere Würden, welche ihm den gröss- ten Einfluss sicherten. Die ihm angetragene Gnade des erblichen Fürstentitels für seine Nachkommen schlug er aus, der junge Kaiser erklärte aber, "geleitet durch die Kaiserin-Wittwe", in einem amt- lichen Erlass, dass er nach erlangter Selbstständigkeit seinen Oheim zu dieser Ehre zwingen werde. Kwei-lian, Wen-sian und der Prinz von Tsun erhielten hohe einflussreiche Aemter.
Die verwittwete Kaiserin galt als eine Frau von strengem Rechtsgefühl, deren Charakter für die Zukunft gute Bürgschaft leistete; mit dem Prinzen von Kun scheint sie die Seele der Bewe- gung gewesen zu sein. In Pe-kin angelangt erklärte sie sogar öffentlich das Regentschaftsdecret für eine Fälschung: am Tage seiner Ausfertigung sei der Kaiser schon sprachlos gewesen, sie selbst keinen Augenblick von seiner Seite gewichen. --
Der Staatsstreich des Jahres 1861 bezeichnet für China den Beginn einer neuen Aera. Zum ersten Male griff der Westen ge- staltend in das Schicksal des Reiches ein, auf das die früheren Kriege nur zersetzend gewirkt hatten. Der alte Wahn von der Weltherrschaft des Himmelssohnes wurde durch die Einnahme seiner Hauptstadt gebrochen; zur Geltung kam die neue Ordnung aber erst durch den Staatsstreich, welcher deren Bekenner an das Ruder brachte. Damit wird nicht behauptet, dass der alte Dünkel ausge- rottet sei; aber die Thatkraft und Würde der europäischen Völker
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XIX. Der Staatsstreich in Pe-kiṅ.
bewiesen, dass sie keinen Herrn über sich erkennten; sie hätten in ungebührlicher Weise die dem Throne zunächst stehenden Prinzen von Geblüt von der Kaiserin-Wittwe zu entfernen gesucht. — Su- tšuen wird ausserdem beschuldigt, sich gegen alles geheiligte Her- kommen auf den kaiserlichen Thron gesetzt zu haben, auf unschick- liche Weise in den inneren kaiserlichen Gemächern ein- und aus- gegangen zu sein u. s. w. Ferner wird er des Versuches bezüchtigt, die beiden Kaiserinnen durch Ohrenbläsereien mit einander zu verfeinden.
Von den fünf anderen Mitgliedern des Regentschaftsrathes wurde nur Mu-yin, — Tsae-yuen’s Genosse bei den Verhandlungen in Tuṅ-tšau — nach den Militärposten in der Mongolei verbannt; allen übrigen erliess ein Gnadenact die von den Richtern ausge- sprochene Verbannung; nur ihrer Aemter wurden sie entsetzt.
Der Prinz von Kuṅ erhielt den Titel eines Ei-tšiṅ-waṅ oder Prinzen-Ministers, den Posten als Präsident und Schatzmeister des höchsten Gerichtshofes und andere Würden, welche ihm den gröss- ten Einfluss sicherten. Die ihm angetragene Gnade des erblichen Fürstentitels für seine Nachkommen schlug er aus, der junge Kaiser erklärte aber, »geleitet durch die Kaiserin-Wittwe«, in einem amt- lichen Erlass, dass er nach erlangter Selbstständigkeit seinen Oheim zu dieser Ehre zwingen werde. Kwei-liaṅ, Wen-siaṅ und der Prinz von Tšuṅ erhielten hohe einflussreiche Aemter.
Die verwittwete Kaiserin galt als eine Frau von strengem Rechtsgefühl, deren Charakter für die Zukunft gute Bürgschaft leistete; mit dem Prinzen von Kuṅ scheint sie die Seele der Bewe- gung gewesen zu sein. In Pe-kiṅ angelangt erklärte sie sogar öffentlich das Regentschaftsdecret für eine Fälschung: am Tage seiner Ausfertigung sei der Kaiser schon sprachlos gewesen, sie selbst keinen Augenblick von seiner Seite gewichen. —
Der Staatsstreich des Jahres 1861 bezeichnet für China den Beginn einer neuen Aera. Zum ersten Male griff der Westen ge- staltend in das Schicksal des Reiches ein, auf das die früheren Kriege nur zersetzend gewirkt hatten. Der alte Wahn von der Weltherrschaft des Himmelssohnes wurde durch die Einnahme seiner Hauptstadt gebrochen; zur Geltung kam die neue Ordnung aber erst durch den Staatsstreich, welcher deren Bekenner an das Ruder brachte. Damit wird nicht behauptet, dass der alte Dünkel ausge- rottet sei; aber die Thatkraft und Würde der europäischen Völker
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XIX. Der Staatsstreich in Pe-kiṅ.
bewiesen, dass sie keinen Herrn über sich erkennten; sie hätten in
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von Geblüt von der Kaiserin-Wittwe zu entfernen gesucht. — Su-
tšuen wird ausserdem beschuldigt, sich gegen alles geheiligte Her-
kommen auf den kaiserlichen Thron gesetzt zu haben, auf unschick-
liche Weise in den inneren kaiserlichen Gemächern ein- und aus-
gegangen zu sein u. s. w. Ferner wird er des Versuches bezüchtigt,
die beiden Kaiserinnen durch Ohrenbläsereien mit einander zu
verfeinden.
Von den fünf anderen Mitgliedern des Regentschaftsrathes
wurde nur Mu-yin, — Tsae-yuen’s Genosse bei den Verhandlungen
in Tuṅ-tšau — nach den Militärposten in der Mongolei verbannt;
allen übrigen erliess ein Gnadenact die von den Richtern ausge-
sprochene Verbannung; nur ihrer Aemter wurden sie entsetzt.
Der Prinz von Kuṅ erhielt den Titel eines Ei-tšiṅ-waṅ oder
Prinzen-Ministers, den Posten als Präsident und Schatzmeister des
höchsten Gerichtshofes und andere Würden, welche ihm den gröss-
ten Einfluss sicherten. Die ihm angetragene Gnade des erblichen
Fürstentitels für seine Nachkommen schlug er aus, der junge Kaiser
erklärte aber, »geleitet durch die Kaiserin-Wittwe«, in einem amt-
lichen Erlass, dass er nach erlangter Selbstständigkeit seinen Oheim
zu dieser Ehre zwingen werde. Kwei-liaṅ, Wen-siaṅ und der
Prinz von Tšuṅ erhielten hohe einflussreiche Aemter.
Die verwittwete Kaiserin galt als eine Frau von strengem
Rechtsgefühl, deren Charakter für die Zukunft gute Bürgschaft
leistete; mit dem Prinzen von Kuṅ scheint sie die Seele der Bewe-
gung gewesen zu sein. In Pe-kiṅ angelangt erklärte sie sogar
öffentlich das Regentschaftsdecret für eine Fälschung: am Tage
seiner Ausfertigung sei der Kaiser schon sprachlos gewesen, sie
selbst keinen Augenblick von seiner Seite gewichen. —
Der Staatsstreich des Jahres 1861 bezeichnet für China den
Beginn einer neuen Aera. Zum ersten Male griff der Westen ge-
staltend in das Schicksal des Reiches ein, auf das die früheren
Kriege nur zersetzend gewirkt hatten. Der alte Wahn von der
Weltherrschaft des Himmelssohnes wurde durch die Einnahme seiner
Hauptstadt gebrochen; zur Geltung kam die neue Ordnung aber
erst durch den Staatsstreich, welcher deren Bekenner an das Ruder
brachte. Damit wird nicht behauptet, dass der alte Dünkel ausge-
rottet sei; aber die Thatkraft und Würde der europäischen Völker
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/225>, abgerufen am 16.07.2024.
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